Auf den Kern gebracht. Martina Meier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Meier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741602
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sind. Sie unterrichtet Deutsch und Kunst in den Niederlanden und hat zwei Kinder. Am liebsten verbringt sie ihre Ferien mit ihrer Familie irgendwo am Meer.

      *

      Des Gärtners Traum

      Ein Apfelkern, man glaubt es kaum,

      ist eines Gärtners größter Traum.

      Warum? Das wollt ihr sicher wissen,

      sodass wir es hier erzählen müssen.

      Der Kern ist klein und braun und rund,

      bitter schmeckt er in deinem Mund.

      Doch du sollst ihn ja nicht essen,

      eher seine Größe messen.

      Du wirst sehen, er ist sehr klein,

      doch manchmal trügt eben der Schein.

      Nimmst du ihn raus aus seinem Häuschen,

      macht er auf deiner Hand ein Päuschen.

      Sieh ihn dir genauer an,

      dann siehst du, wie er glänzen kann.

      Steck ihn in die Erde rein

      und bedeck ihn leicht und fein.

      Wie der Gärtner hätt’s getan,

      und schon fängt das Wunder an.

      Wasser braucht der kleine Wicht,

      und natürlich Sonnenlicht.

      Schau von Tag zu Tag vorbei,

      noch siehst du keine Zauberei.

      Nur das Wasser nicht vergessen,

      das ist für deinen Freund das Essen.

      Hast du ihn länger dann in Obhut,

      zeigt er dir, wie gut’s ihm tut,

      ein zartes Grün wird er dann recken,

      aber bitte nicht erschrecken.

      Denn das Grün ist noch sehr fein

      und auch wirklich winzig klein.

      Hier beginnt des Gärtners Traum,

      denn nun wächst ein Apfelbaum.

      Wasser bringen kannst auch du,

      und wenn die Sonne scheint dazu,

      wird er größer und auch stark.

      So wie es auch der Gärtner mag.

      Ganz langsam nun und immer weiter,

      wird er dann auch breiter.

      Wächst und gedeiht, ganz ohne Hast,

      bildet er nun Ast für Ast.

      Von Tag zu Tag du kannst es sehen,

      wird er in die Höhe gehen.

      So wächst der Baum von Jahr zu Jahr,

      so wie auch du, das weißt du ja.

      Der kleine Wicht wird nun recht groß

      und bald schon geht die Blüte los.

      Des Gärtners Traum, er ist ganz nah,

      vielleicht auch schon in diesem Jahr.

      Er braucht auch weiter Sonnenschein,

      doch trinken kann er nun allein.

      Der Regen wird’s schon richten,

      bald werden sich die Blüten lichten.

      Kurz bevor der Sommer geht,

      dein Bäumchen nun voll Früchte steht.

      Verstehst du nun des Gärtners Traum

      vom prall gefüllten Apfelbaum?

      Ich glaube schon, denn du weißt ja,

      wie winzig und wie klein er war.

      „Klettre ruhig auf deinen Baum,

      und probier vom Apfeltraum.“

      Julia Schultheis ist 33 Jahre alt, verheiratet und hat eine fünf Jahre alte Tochter. Wenn sie nicht gerade mit dieser beschäftigt ist, verbringt sie ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Momentan wohnt sie in Lich und arbeitet als MTA im Röhnklinikum Gießen. Eine Kurzgeschichte hat sie bereits in der Weihnachtsanthologie von Papierfresserchens MTM-Verlag veröffentlicht.

      *

      Martin

      Es war einmal ein großer, alter, knorriger Apfelbaum. Er stand am Hang mit Blick auf eine Bucht. Der bewaldete und zum Teil sehr steile, zerklüftete Hang führte direkt ans Wasser. Vorne verengten sich die Felsen, dahinter, so weit das Auge reichte, der Ozean. Oben auf der grünen Ebene, einzeln der Baum. Daneben eine alte Holzbank. Steinalt war sie, schon viele Menschen hatten hier gesessen, den Sonnenuntergang und ganz selten den Sonnenaufgang genossen.

      Ich besuchte ihn oft. Er war einer jener magischen Bäume. Sein Herzstück war Martin, ein knallroter Apfel, behütet im Inneren des Baumes. Er machte ihn lebendig, ihn denkend und fühlend wie einen Menschen. Martin kam nur noch selten heraus. Bei mir machte er eine Ausnahme. Er erzählte mir nämlich immer gern Geschichten und tollte dabei wie verrückt auf dem Baum herum. Wie ein übermütiger kleiner Hund mit dünnen Armen und Beinen und den tiefschwarzen Augen.

      Martin hatte schon viel gesehen, Gutes und Schlechtes. Alt und weise war er. Aber auch noch voller Energie ... und trotzdem einsam. Früher, in jungen Jahren, als er noch in der Blüte gestanden hatte, da hatte der Baum viele Blätter, Blüten und Früchte getrieben. Seine Äpfel waren beliebt gewesen bei Jung und Alt. Knackig und süß waren sie gewesen. So mancher junger Bursche war gewagt in den Ästen herumgeklettert, um seine Liebste zu beeindrucken. Je weiter oben, desto mutiger der Bursche und umso höher die Chance, von seiner Liebsten beachtet zu werden. Martin erzählte mir von dem Lachen, den glücklichen Gesichtern.

      Heute war der Baum kahl. Keine Früchte mehr, schon seit Jahren nicht. Die Blätter waren von Jahr zu Jahr weniger geworden. Traurig klang Martin nun.

      „Große Dürren und regenreiche Jahre sind schuld“, vertraute er mir an.

      Doch das Schlimmste war der Verlust seiner Freunde. „Sieh dich um“, sagte er. Die weite grüne Ebene – so leer. Als er ausgewachsen war, war alles voll mit Bäumen gewesen. Jenen magischen Bäumen mit einem lebendigen Apfel als Herzstück. Ein dichter Wald, bevölkert mit Tieren, die bei ihnen Schutz und Nahrung gesucht hatten. Als die Menschen die Sprache der Bäume verlernt hatten, hatten sie begonnen, die Bäume zu fällen. Die Tiere waren verschwunden.

      Nur Martin hatten sie stehen lassen. So tolle Früchte, das wäre ja schade. Und als Schattenspender war er zu gebrauchen.

      „Da kann ich dir Geschichten erzählen“, freute er sich. Lachend hüpfte er auf den Ästen herum. Sommer! Die schönsten Monate! Vieles war hier geschehen. Die vielen Paare, die er schon gesehen hatte. Manchen hatte er geholfen. Den einen oder anderen geärgert.

      „Einer“, erzählte er lachend, „ein hochnäsiger Bursche. Er prahlte, er wäre der Beste und könnte den höchsten Apfel pflücken. Von ganz oben bei den dünnsten Ästen. Er kletterte unter der Ehrfurcht seiner Freunde und seiner Liebsten nach oben. Der Baum bewegte sich leicht im Wind. Der Bursche griff ins Leere und fiel herab. Das Gelächter war groß. Aber aufgeben war nicht drin. In seiner Eitelkeit verletzt, rief der Bursche: Wartet nur, euch werde ich es zeigen! Fürwahr, das tat er. Wieder und wieder kletterte er hinauf. Ich schüttelte ihn noch einige Male ab“, lachte Martin. Vergnügt hüpfte er auf seinem Ast herum. „Aber seine Lektion hatte der Bursche gelernt und so ließ