Hagemanns Welt. Mathias Meyer-Langenhoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mathias Meyer-Langenhoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741763
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hier“, verkündete sie triumphierend, „ist Tanzmusik, da ist alles drauf, was wir brauchen, langsamer Walzer, Quickstepp, Slowfox …!“

      „Woher hast du die?“, fragte ich ehrlich überrascht. Elsa, die sonst nur Jazz hörte, besaß eine CD von Kurt Edelhagen und seinem Orchester, der originelle Titel: „Super Tanzmusik“.

      „Die hab ich mal vor Urzeiten gekauft“, lächelte sie.

      Von diesem Tag an musste ich regelmäßig mit ihr und Emma nach dem Abendbrot tanzen. Kollektive Familienfolter. Langsamer Walzer mit Elsa, langsamer Walzer mit Emma, Quickstepp mit Elsa, Quickstepp mit Emma, Foxtrott mit Emma, Foxtrott mit Elsa, alles unter den spöttischen Augen von Dorle und Greta. Mein Leben wurde zur Hölle. Ich probierte zu entrinnen, gab einen Arztbesuch vor, hatte einen wichtigen Termin mit einem Verleger, Schmerzen am Fuß, mein Oberschenkel zwickte, aber es war aussichtslos: Zu den Klängen der Musik von Kurt Edelhagen nötigten mich Frau und Tochter Abend für Abend zu wahrhaft widernatürlichen Bewegungen.

      „Du wirst immer besser“, log Emma, während sie mich am Vorabend des Abschlussballs auf das Parkett unseres Wohnzimmers führte. Elsa sah argwöhnisch zu und dirigierte uns mit harter Kommandostimme. In der Nacht quälte mich zum wiederholten Male ein Albtraum. Auf dem Abschlussball hatte ich mich als Turniertänzer ausgegeben und großspurig erklärt, ich wolle den anwesenden Grobmotorikern zeigen, wie man sich elegant bewege. Emma weigerte sich, aber ich zerrte sie auf das Parkett. Neugierig sahen die Ballgäste zu, lediglich Elsa wandte sich mit Grausen ab. Plötzlich stolperte ich, Emma und ich kamen zu Fall und landeten bäuchlings vor den Füßen des Tanzlehrers. Er schüttelte den Kopf.

      „Turniertänzer?“, grinste er. „Sogar eine Holsteiner Milchkuh tanzt besser als Sie.“ Emma weinte. Nachdem wir uns wieder aufgerappelt hatten, schrie sie mich wutentbrannt an: „Es reicht, Papa, verschwinde endlich aus meinem Leben, ich will dich nie mehr sehen, du bist das Letzte!“ Dann erwachte ich.

      „Was ist los mit dir?“, meinte Elsa, „du schläfst so unruhig, träumst du schon wieder vom Urlaub auf Ameland?“

      „Nein, nein“, murmelte ich, „es geht um den Tanzkurs.“

      „Willst du reden?“, fragte meine Frau mitleidig.

      „Besser nicht, heute Abend ist es ja soweit.“

      „Na gut. Was ziehst du eigentlich an?“

      Diese Frage trieb mir den Schweiß auf die Stirn, wollte sie schon wieder mit mir einkaufen gehen?

      „Ich werde mir nachher was Passendes kaufen, alleine!“, stellte ich klar.

      „Ja, ja“, lächelte Elsa, „ich habe sowieso keine Zeit, ich gehe mit Emma zum Friseur. Bring bitte eine Schachtel Konfekt mit.“

      „Warum das?“, staunte ich. Mich mit dem Kauf von Pralinen zu beauftragen, hieß, den Bock zum Gärtner zu machen: Ich bin Schokoladenjunkie.

      „Natürlich nicht für dich“, stellte Elsa klar, „aber Emma muss für ihren Tanzpartner ein Geschenk mitbringen.“

      „Das ist nicht wahr, oder?“ Ich rieb mir verwundert die Augen. „Was ist denn mit der Jugend los? Ich habe damals die meisten Tanzkurstermine geschwänzt, statt zum Abschlussball zu gehen, habe ich mit Freunden zur Musik von Deep Purple Luftgitarre gespielt.“

      „Ja, ja, du alter Revoluzzer“, lächelte meine Frau milde. „Times, they are changing, das musst auch du begreifen. Übrigens würde dir ein anthrazitgrauer Anzug gut stehen.“

      Ich besuchte also erneut das beste Herrenmodengeschäft der Stadt. Zwar hatte ich mir fest vorgenommen, die mir bereits bekannte Verkäuferin mit Missachtung zu strafen, aber leider kam sie mir sofort entgegen.

      „Guten Morgen, Herr Hagemann“, strahlte sie, „schön, Sie zu sehen. Heute allein? Wie geht es Ihrer Gattin?“

      Mein Blick fiel auf das Namenschild am Revers ihrer Kostümjacke: Frau Schmidtlein. Ich glaube, sie stellte noch hundert weitere Fragen.

      Beantworten musste ich keine, sie plapperte unentwegt, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Nach gefühlten zwei Stunden gelang es mir endlich, den Grund meines Besuchs anzusprechen.

      „Wie schön“ strahlte sie, „das ist sicher auch für Sie ein großer Tag?“

      „Nun ja, in jedem Fall brauche ich einen Anzug.“

      „Als meine Tochter Abschlussball hatte, war ich schon tagelang vorher aufgeregt.“

      Ich fürchtete, nun würde sie wieder losplappern.

      „Frau Schmidtlein, zeigen Sie mir die Anzüge!“

      „Sie glauben gar nicht, wie schön unsere Tochter aussah. Sie trug ein langes, rotes Ballkleid, sündhaft teuer, aber herrlich, und dann …!“

      Ich, nachdrücklicher: „Frau Schmidtlein, ich möchte auf der Stelle einen Anzug anprobieren!“

      „Soll ich Ihnen erzählen, was passierte, als mein Mann mit ihr tanzte?“

      „Nein, Frau Schmidtlein, auf keinen Fall!“

      Endlich gelang es mir, ihren Wortschwall zu stoppen, sie hielt tatsächlich einen kurzen Augenblick den Mund.

      „Entschuldigen Sie, Herr Hagemann, ich wollte sie nicht verwirren.“

      Eine Stunde später war ich im Besitz eines sündhaft teuren, anthrazitgrauen Kammgarnanzuges, besaß ein neues weißes Hemd und topmoderne, zum Anzug passende Kaschmirsocken, Frau Schmidtlein strahlte.

      „Sie sehen wunderbar aus, Herr Hagemann, Ihre Frau und Ihre Tochter werden zufrieden sein.“ Mein Blick verfinsterte sich, erschrocken hielt sie sich den Mund zu. „Oh, jetzt habe ich schon wieder etwas Falsches gesagt, der Anzug muss natürlich nur Ihnen gefallen und nicht Ihrer Frau.“ Sie wedelte entschuldigend mit den Händen.

      „Schon gut“, murmelte ich.

      „Mein Mann hat übrigens beim Tanz mit unserer Tochter vor Rührung geweint“, begann sie wieder, „es hat keiner gemerkt, aber ich kenne ja meinen Manfred.“

      Ich verließ fluchtartig den Laden. „So ein Weichei, heult auf dem Abschlussball seiner Tochter, lächerlich, würde mir nie passieren.“ Der anschließende Kauf der Pralinenschachtel verlief komplikationslos. In der Confiserie wurden mir keine Fragen gestellt. Emma und Elsa waren mit meinem Anzug zufrieden, obwohl mir das natürlich völlig gleichgültig war, denn wie hatte Frau Schmidtlein so treffend bemerkt, er musste ja nur mir gefallen. Kurz vor acht kam das Taxi, Dorle und Greta geleiteten uns grinsend zur Tür, wünschten Emma und Elsa viel Spaß und mir alles Gute.

      „Wo soll’s denn hingehen?“, fragte der Taxifahrer.

      „Zur Tanzschule Lobsang“, antwortete Elsa.

      „Abschlussball“, nickte er verständnisvoll, „war ich letztes Jahr mit meinem Sohn auch, nicht einfach.“

      Ich neugierig: „Was wollen Sie damit sagen?“

      „Besser nichts“, antwortete er mit einem Blick in den Rückspiegel, „Ihre Frau und Ihre Tochter gucken schon böse.“

      „Richtig“, meinte Elsa streng, „wir können uns auch ein anderes Taxi rufen!“

      Ich zog es vor, nicht weiter nachzuhaken. Als wir die Tanzschule erreichten, stiegen Emma und Elsa aus, während ich bezahlte.

      „Und, was ist jetzt?“, drängte ich.

      „Was ist was?“, fragte der Taxifahrer.

      „Warum ist der Abschlussball nicht einfach?“

      „Wollen Sie das wirklich wissen?“

      „Ja, verdammt noch mal, nun reden Sie schon!“

      Ein breites Grinsen in seinem Gesicht.

      „Tanzen