Reise Know-How ReiseSplitter: Von Kasachstan in die Südsee – Wie ich mal eben vom Weg abkam. Katharina Bahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Bahn
Издательство: Bookwire
Серия: Reisegeschichte
Жанр произведения: Путеводители
Год издания: 0
isbn: 9783831751716
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      Hinter uns liegen nun also Deutschland, Polen, Litauen und Lettland mit jeweils nur einer Übernachtung. Ich hätte mir gerne schon am Anfang der Reise mehr Zeit gelassen, um richtig in diese Länder einzutauchen. Doch es ist Pauls Reise und ich bin nur die Mitfahrerin. Er ist der Chef, er entscheidet. Weißrussland und die Ukraine waren ebenfalls als Route Richtung Kasachstan im Gespräch, beides ist aber aufgrund von Visaschwierigkeiten gescheitert. Mit eigenem Fahrzeug diese Länder zu bereisen ist komplizierter als mit einem Flugzeug.

      Wir erreichen die lettisch-russische Grenze. Autos und Lkw werden am laufenden Band in zwei verschiedenen Reihen abgefertigt. In der Pkw-Schlange entdecke ich nur noch ein weiteres Auto mit deutschem Kennzeichen. Das Prozedere der Pass- und Fahrzeugkontrolle dauert etwa eineinhalb Stunden. Dann dürfen wir unseren Landy (auch „der Dicke“ oder „die dicke Bergziege“ genannt) über die Grenze rollen lassen. Das erste Schild sagt uns: Moskau, 592 Kilometer. Unser Weg wird uns aber viel weiter südlich an der russischen Hauptstadt vorbeiführen. Das nächste Straßenschild gibt mir das Gefühl, auf einem anderen Planeten angekommen zu sein – ein wildes Geflecht aus Städtenamen, Richtungen, Landesgrenzen und Autobahnabkürzungen. Wer denkt sich so was aus?

      Trotzdem finden wir den richtigen Weg nach Smolensk. Wir erkunden die Stadt inklusive der historischen Stadtmauer und einer prunkvollen Kathedrale. Ein erboster Russe macht mir klar, dass frau hier in der Kirche eine Kopfbedeckung tragen muss. Falsch machen ist manchmal die beste Art, etwas dazuzulernen.

      In einem historischen Turmrestaurant essen wir zu Abend. Schwere Vorhänge trennen uns vom Tageslicht. In dem kleinen Raum stehen hohe, dunkelrote Sessel an massiven Holztischen. An einem von diesen sind mehrere charismatische Herren in ein intensives Gespräch vertieft. Der Tisch voll mit halbleeren Tellern und Gläsern. Die Szenerie ist in gedämpftes Licht getaucht und könnte aus einem alten Agentenfilm stammen. Die Kellner sind ausgesprochen freundlich. Mit wenigen Brocken Englisch helfen sie uns beim Bestellen und fragen nach dem Essen, ob sie ein Foto mit uns machen dürfen.

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      Am nächsten Morgen verlassen wir Smolensk. Vor uns liegen 450 Kilometer nach Tula. Wir bewegen uns grob in Richtung der kasachischen Grenze und umfahren bewusst den Großraum Moskau. Ich fahre. Heute wechseln wir uns nicht ab. Unseren Rhythmus was das Fahren angeht, müssen wir erst noch finden. Sechseinhalb Stunden pflüge ich mich mit unserem Landy über schlechte Straßen vorwärts. Unsere einzigen Zwischenstopps: eine Kirchenruine mitten im Nirgendwo (ein tolles Fotomotiv) und eine der gruseligsten Toiletten meines Lebens an einer heruntergekommenen Tankstelle. Das WC ist von außen ein hübsches, bunt gekacheltes Häuschen, von innen brechreizauslösend. Augen zu und durch.

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       Eine Kirchenruine mitten im russischen Nirgendwo zwischen Smolensk und Tula

      Auf der Suche nach unserem Hotel halten wir vor der Stadt wieder an einer Tankstelle. Diese ist hochmodern und pieksauber – hier habe ich vermutlich nichts zu befürchten. Ich meine mal aufgeschnappt zu haben, dass das russische Wort „Banja“ Toilette heißt– also frage ich danach. Ich werde ungläubig von der kleinen Kassiererin angestarrt. Später sollte ich herausfinden, dass „Banja“ so viel wie Sauna bedeutet.

      Das Hotel finden wir leider immer noch nicht, also halten wir erneut, um nach dem Weg zu fragen. Unsere Nerven liegen blank und wir kriegen uns das erste Mal in die Wolle. Bisher war Paul stets souverän und lässig – egal ob beim Planen, Fahren oder Navigieren. Doch heute ist auch er gereizt, sogar hysterisch, wie ich finde. Durchatmen. Vor uns liegen noch acht Monate und drei Wochen. Wir einigen uns darauf, uns in Zukunft öfter beim Fahren abzuwechseln.

      Im Hotel Imperator falle ich erschöpft in mein Bett. Der nächste große Ritt liegt schon in greifbarer Nähe. Über 600 Kilometer nach Penza.

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      Die Polizei stoppt uns. Ich sitze am Steuer. Der Beamte mit dem kantigen Gesicht und der überdimensionalen Pelzmütze will meinen Führerschein sehen. „Katharina?“ Er zögert. Im Stillen hege ich einen hoffnungsvollen Gedanken: Ob ich mit meinem Namen hier vielleicht einen Pluspunkt gewonnen habe? Er kassiert meinen Führerschein ein und spricht kurz mit Paul. Dann nimmt er mich mit in sein spartanisch eingerichtetes Büro an der nächsten Straßenecke. Paul raunt mir noch schnell zu, dass der Polizist 10 US-Dollar von uns will. Die Begründung ist, dass wir ohne Licht gefahren sind – am helllichten Tag. Flink lasse ich einen Schein in meiner Hosentasche verschwinden. Als wir uns in dem kleinen Polizeibüro gegenübersitzen, stelle ich fest, dass der Mann offensichtlich zum Lachen in den Keller geht. Er verzieht jedenfalls keine Miene, als er das gesamte Ausmaß seiner ausgiebigen Deutschkenntnisse auf den Tisch packt: „Schreiben oder nicht schreiben?“ Ich gucke irritiert. „Was?“ Er wiederholt mit monotoner Stimme: „Schreiben oder nicht schreiben?“ Ich stehe komplett auf der Leitung. Er wiederholt sich. Wir starren uns an. Dann probiert er es mit einer Zeichnung auf seinem Klemmbrett. Er kritzelt etwas, streicht es durch und schreibt daneben „10 $“. Jetzt fällt bei mir der Groschen. 10 Dollar, wenn er keinen Bericht schreibt. Begeistert, weil ich das Rätsel der russischen Sphinx mir gegenüber gelöst habe, hole ich den Geldschein aus meiner Tasche und packe ihn grinsend auf den Tisch. Der Polizist wird schlagartig nervös, fuchtelt mit den Händen, winkt ab. Also stecke ich den Schein wieder weg (und bin wieder irritiert). Er deutet auf die Ecke oben rechts hinter mir. Ich drehe mich um und blicke direkt in eine kleine Kamera, die auf den zerfurchten Schreibtisch gerichtet ist. Ich verstehe. Seine Lösung des Problems amüsiert mich zwar zutiefst, aber ich verkneife mir das Lachen: Er legt sein Klemmbrett auf den Tisch – hebt es zu einer Seite an –, lässt mich den Schein darunter legen und zu ihm rüberschieben. Auf dem gleichen Weg bekomme ich von ihm meinen Führerschein zurück. Ich darf gehen.

      Die nächste seltsame Begegnung lässt nicht lange auf sich warten. An einer Art Rasthof suche ich die Toilette. Die einzige Kabine hinter einer Holztür wird von einer übertrieben geschminkten, jungen Russin bewacht. Sie zeigt auf ein Schild: 15 Rubel. Ich verstehe und krame in all meinen Jacken- und Hosentaschen nach Münzen. Was ich darin neben Taschentüchern, Krümeln und zerknitterten Quittungen finde, sind insgesamt 14 Rubel. Die pflichtbewusste Dame schüttelt den Kopf und zeigt wieder auf das Schild. Keine Gnade. 15 Rubel. Ich suche noch mal weiter und finde einen Euro. Sie schüttelt wieder den Kopf. Ich versuche meine drückende Blase und damit wachsende Ungeduld zu ignorieren. So ruhig wie möglich erkläre ich, dass ein Euro etwa 75 Rubeln entspricht und sie damit jetzt (für – Herrgott noch mal – einmal Pinkeln, denke ich genervt, sage ich aber nicht) fast 100 Rubel einnehmen wird. Sie lässt mich durch. Für 14 Rubel und einen Euro. Danke.

      In Penza beziehen wir das Hotel Avia und haben einen Bärenhunger. Im Restaurant sind wir die einzigen Gäste und die Speisekarte ist nur auf Russisch. Ich zeige planlos auf eines der vergilbten Bilder und sende ein kurzes Stoßgebet in die Küche und an meinen Magen.

      Unsere ersten acht Tage sind um. Eine erste Zwischenbilanz – diese Art des Reisens macht wahnsinnig viel Spaß. Paul und ich müssen uns hier und da als Reiseteam noch etwas finden, aber kommen gut miteinander aus. Und Russland, dieses unfassbar riesige Land, ist einfach faszinierend. Ich glaube, man muss sehr viel mehr Zeit hier verbringen, um dieses Land und seine Leute zu begreifen. Ich bedaure, dass wir Russland schon bald wieder verlassen werden.

      April

      Camping mit Welpenschutz

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      Aus dem Radio trällert Édith Piaf: „Non, je ne regrette rien.“ Wie passend. Wir rollen über schlechte Straßen vorbei an Holzhäusern und Wellblechhütten und ich bereue nichts. So arbeiten wir uns etappenweise durch das weite Russland vorwärts. Zwischen Penza und Toljatti liegen 350 Kilometer, ein Katzensprung für