Fürstenkrone 80 – Adelsroman. Gabriela Stein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriela Stein
Издательство: Bookwire
Серия: Fürstenkrone
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740920807
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Brief ihrer Mutter.

      Und während sie ihn mit klopfendem Herzen entfaltete, begegnete ihr auch hier das klare, geradlinige Schriftbild Elises. Ein Schriftbild, das besagte, dass diese Zeilen nichts Schockierendes enthalten konnten.

      So dachte Gloria noch, als sie das Vermächtnis ihrer Mama zu lesen begann und sich schlagartig die klare Ordnung ihres bisherigen Lebens mit Unsicherheit auflud.

      Meine liebe Gloria, stand dort, wenn Du diese Zeilen liest, dann wird es mich wahrscheinlich nicht mehr geben. Es sei denn, ich bringe zuvor den Mut auf, Dich mit einer Wahrheit zu konfrontieren, die Dich nicht nur erstaunen wird, sondern auch wundern – vielleicht sogar schmerzen. Aber ich denke, Du solltest Deine wirklichen Wurzeln kennen, wie jeder Mensch sie kennen sollte.

      So lass Dir denn sagen, dass Albert de Vries nicht Dein leiblicher Vater ist. Und doch war er mehr Dein Vater, als ein leiblicher es je hätte sein können. Denn er übernahm freiwillig diese Aufgabe. In ihm verband sich Großzügigkeit mit Liebe und menschliches Verständnis mit grenzenloser Herzenswärme.

      So warst Du sein ganzer Stolz, sein Lebensinhalt und auch seine Lebensleistung – aber ich denke, das weißt du.

      Gloria ließ das schicksalhafte Geständnis ihrer Mutter sinken und blickte maßlos betroffen Henry Kröger an. Jenen still abwartenden Freund und Berater, dem sicherlich nichts Menschliches fremd war.

      »Albert de Vries war nicht mein leiblicher Vater, Onkel Henry … Wusstest du das?«

      »Ja, mein Kind.«

      »Aber wieso erfahre ich das erst heute? Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt – und somit seit Langem erwachsen. Sollte man nicht bei einem Menschen dieses Alters Verständnis für menschliche Lebensläufe voraussetzen können?«

      Mit zunehmender Betroffenheit erhob sich Gloria jetzt und ließ den halb gelesenen Brief auf dem Tisch zurück. Trat dann an eines der hohen Fenster, welche zur Außenalster hinausgingen. Boote glitten auf dem glänzenden Wasser dahin, traumschön und voller Harmonie.

      Noch wusste sie nicht, was sie mehr schockierte: War es die Tatsache, dass ihr geliebter Vater nicht ihr Vater gewesen war – oder aber die lange Zeit des Verschweigens?

      Henry Kröger erhob sich nun ebenfalls.

      »Weißt du, mein Kind, die Angelegenheit ist komplizierter, als du ahnst. So gibt es Versprechen, welche einen hohen moralischen Wert und bindenden Charakter besitzen. Albert de Vries war dein Vater mit allen rechtlichen Konsequenzen geworden – und er wollte diese Tatsache auch für alle Zeit so behandelt wissen. Deine Mutter hat sich daran gehalten.«

      »O bitte, Onkel Henry!« Glorias blonder Kopf flog zu ihm herum. »Papa ist seit fünf Jahren tot – und damit so lange, wie diese Zeilen auf Offenlegung warten!« Ihre blauen Augen sprachen von Unverständnis.

      »Komm, nimm wieder Platz, mein Kind, ich werde versuchen, dir die ganze Geschichte nahezubringen.« Der lebenserfahrene Mann griff nach ihrem Arm und führte sie zurück zu jenem Tisch, auf dem der Brief noch immer lag und wartete.

      »Deine Mama jobbte als blutjunge Studentin im Kunsthaus de Vries, als sie von einem Mann aus dem Hochadel schwanger wurde«, berichtete Henry Kröger. »Seinen Namen wirst du den Zeilen vor dir entnehmen können. Von vornherein war es eine Beziehung ohne Zukunft.«

      Er begann nun in groben Umrissen eine Situation zu skizzieren, die kompliziert war und die man sich so keinesfalls aussuchte: Ein verheirateter Fürst mit einer kränklichen Ehefrau. Bedrängt von den Zwängen seines Standes und einem großen Gefühl. Eine junge Frau, die die Ehe nicht zerstören wollte – und sich zurückzog, als sie merkte, dass ihre Liebe zu dem zärtlichen Fürsten nicht ohne Folgen geblieben war.

      »Albert de Vries. Er war damals doppelt so alt wie deine schöne Mama – und er war Junggeselle. Dazu war er ein integerer und liebenswürdiger Mensch. Dass er außerdem noch ein erfolgreicher Geschäftsmann war, sicherte in der Folge nicht nur den Lebensweg deiner Mutter ab, sondern auch den deinen.«

      »Also eine Vernunftehe?«, fragte Gloria sachlich.

      »Nein, das würde ich so nicht sagen. Albert de Vries war zwar sehr viel älter als deine Mama, aber er besaß Charme und Esprit – gekoppelt mit einem guten Aussehen.«

      Bewusst ließ sich Henry Kröger viel Zeit mit seiner Sicht der Dinge. Er war um Entspannung bemüht und stellte fest:

      »Die Ehe deiner Eltern war doch sehr glücklich, nicht wahr?« Sein Lächeln traf sie und erwartete eine Bestätigung.

      Gloria nickte nachdenklich. Bilder tauchten in ihrer Erinnerung auf, die von großer Harmonie sprachen. Ja, sie hatte eine wunderbare Kindheit gehabt, eine sorgenfreie Jugend und glückliche Studienzeit.

      Und doch! Man hatte sie bis heute um gravierende Wahrheiten gebracht! Um ihre väterliche Herkunft! Das war unverzeihlich und warf einen Schatten auf diese wunderbaren Eltern. Auf diesen liebenswerten Ersatzvater – und auf eine Mutter, welche sich offensichtlich seinem Diktat gebeugt hatte.

      Still fragte sich Gloria, wie lange sie wohl noch auf diese Aufdeckung hätte warten müssen, wenn die Mutter nicht auf so tragische Weise bei einem Autounfall ums Leben gekommen wäre?

      Erst mit ihrem Tod war für den Anwalt und Notar Dr. Henry Kröger der Zeitpunkt gekommen, ihr, Gloria, das späte Geständnis auszuhändigen – dem Willen der Mutter entsprechend, aber nicht dem ihres Ersatzvaters.

      Zunehmend begann sie mit Abstand an ihn zu denken, enttäuscht über seinen Besitzanspruch. Tat das ein wirklich großzügiger Mensch?

      »Weißt du, Onkel Henry, es ist schon eigenartig, so um eine längst fällige Wahrheit betrogen worden zu sein.« Gloria lachte bitter auf. »Und ausgerechnet meine Eltern haben mich stets zur Offenheit angehalten. Ich sollte durchsichtig für sie bleiben, während sie sich selbst ganz andere Regeln setzten.«

      Henry Kröger wirkte nachdenklich. »Manchmal sind es die menschlichen Urängste in uns, Geliebtes zu verlieren«, sinnierte er. »Wobei die verschwiegenen Gründe deiner Mutter noch etwas anders gelagert sein könnten.« Er deutete auf den Brief. »Vielleicht solltest du erst einmal weiterlesen, mein Kind.«

      Aufmunternd nickte er ihr zu. »Hol dir die Antwort und sei offen für die Tatsache, dass es da noch einen Menschen gibt, der dir auf einer ganz bestimmten Ebene sehr nahe steht.«

      So nahm Gloria schließlich die späte Beichte ihrer Mutter wieder auf und las:

      Dein leiblicher Vater ist Carl-Philipp Fürst zu Thornbach und Seeland. Ein Mann aus dem Hochadel und aus einem ebenso bekannten wie hoch angesehenen Geschlecht in Schleswig-Holstein. Schloss Thornbach liegt in der Holsteinischen Schweiz, jener bezaubernden Landschaft um den Plöner See herum. Und so besonders wie diese Landschaft ist auch Dein Vater. Eine Durchlaucht von großer Noblesse, integrem Charakter und weltmännischer Ausstrahlung.

      Gloria verzog das Gesicht. Direkt peinlich, wie beeindruckt ihre Mama von diesem Mann immer noch gewesen war. Hochadel, integrer Charakter, mein Gott! Dieser Herr aus höchsten Kreisen verführte kleine Studentinnen und zeugte außereheliche Kinder!

      Ein faszinierender Mann, welcher seinerzeit sofort meine Gefühle auf sich zog, las sie weiter. Uns verband eine große Liebe, von kurzer Dauer zwar, aber nachhaltig in Wirkung und Ergebnis. Denn Dein Leben ging aus dieser Begegnung hervor – Du, mein ganzes Glück, mein Stolz und meine dankbare Erinnerung an etwas, das einem nur einmal im Leben begegnet …

      Gloria ließ das Blatt sinken und blickte über den Tisch hinweg Henry Kröger an.

      »Meine Entstehungsgeschichte ist so banal, wie all diese Geschichten um die Liebe banal sind«, sagte sie und war versucht, sich das Ende dieser Beichte zu schenken. Doch dann senkte sie wieder den Blick auf die Zeilen und las laut:

      »Fürst Thornbach besaß Familie. Eine Frau und einen Sohn.«

      Gloria seufzte. Ja, natürlich – wie konnte es auch anders sein! Wichtig war jetzt nur noch, wie dieser hochwohlgeborene Vertreter von Glanz und Unantastbarkeit das Malheurchen, nämlich sie,