Fürstenkrone 179 – Adelsroman. Louisa Rosenhagen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louisa Rosenhagen
Издательство: Bookwire
Серия: Fürstenkrone
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740965723
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sagen, das musste Sina nicht auch noch gedruckt lesen. Ihre Erzählungen waren voller Herz und Romantik, und die Kinder gingen jede Wette ein, dass sehr viele Leute sie sehr gern lesen würden.

      Wie es im Leben nun einmal so ist: Irgendwann gehen die Gedanken der Kinder eigene Wege, sie entwickeln eigene Vorstellungen und eigene Pläne.

      Und genau das war auch der Grund, weshalb die Stegen-Kinder in diesen Tagen gar nicht rechtzeitig genug aus der Schule nach Hause kommen konnten, um in den Briefkasten zu schauen.

      Davon wusste ihre Mutter jedoch nichts. Sie hatte keine Ahnung davon, was ihre Liebsten hinter ihrem Rücken angezettelt hatten. Und welche weiteren Ereignisse damit verknüpft sein würden, und welche Personen dabei noch eine Rolle spielen würden, davon hatten sie allesamt keine Ahnung.

      Vielleicht, aber nur vielleicht, gab es ja doch irgendwo eine gute Fee, die gern zauberte, aber ebenso gern auch ein bisschen Verwirrung stiftete? Die mit schimmerndem Feenstaub einen Weg in die Zukunft malte, dabei aber auch leise kichernd einen Umweg einbaute?

      Zumindest in manchen von Sinas Geschichten waren solche Feen zu finden.

      In diesem Moment allerdings, an diesem ganz gewöhnlichen Dienstagmorgen, war weit und breit nichts von Feenstaub zu sehen. Nur ganz gewöhnlicher, irdischer Staub, der beseitigt werden musste, lag auf den Bücherborden, Wäsche musste gewaschen, das Essen vorbereitet und die Blumen gegossen werden.

      Nach ihrer letzten Tasse Kaffee wirbelte Sina durch das kleine Haus, um mit wenigen routinierten Handgriffen die nötige Ordnung herzustellen. Ihre Kinder sollten es gemütlich haben, wenn sie aus der Schule kamen, und auch für sie sollte es schön sein, wenn ihre Arbeit im Geschäft beendet war. Ihr Tag war straff geplant, jeder Handgriff musste sitzen.

      Beim Abstauben der Familienfotos blieb Sinas Blick für einen Moment an einem Bild hängen, das sie neben einem Pferd zeigte. Es war eine schöne braune Stute vom Gestüt Eichenhof, zu dem Wolfgang und sie früher oft gefahren waren. Sina war gern geritten und hatte auch manchmal an ein eigenes Pferd gedacht, aber dieser Traum war, wie so mancher andere auch, längst begraben worden.

      Sie rückte das Bild gerade, das eben beim Abstauben verrutscht war, gab Kitty frisches Wasser, warf noch einen letzten prüfenden Blick in ihre Küche – Herd aus?, Kaffeemaschine aus?, Spülmaschine an?, – und verließ das Haus, um neuen Bräuten zu ihren weißen Rüschenträumen zu verhelfen.

      *

      Der zunehmende Mond stand als blasse, verschwommene Sichel hinter dem Dunst am Nachthimmel, ab und zu war das schwache Blinken eines Sterns zu erahnen, ansonsten herrschte Dunkelheit. Die Wälder standen als dunkle Wände beiderseits der Landstraße.

      Irgendwann tauchten zur linken Hand gerodete Flächen auf, die zu Feldern urbar gemacht worden waren, hinter denen sich weite Wiesen und Weideflächen erstreckten. Es war so dunkel, dass man die Gebäude, die hinter diesen Grünflächen lagen, nicht erkennen konnte. Ein einziges Licht erhellte ein edel gestaltetes Schild, das auf die Zufahrt zum Reiterhotel des Gestüts Eichenhof hinwies.

      Auf der einsamen Landstraße war zu dieser Zeit weit nach Mitternacht nur ein einziges Auto unterwegs. Es war ein alter Wagen, an dem man herumgeschraubt hatte, mit riesigen Lautsprecherboxen, die den Fahrer mit wummernden Bässen zudröhnten. Jetzt allerdings hatte er auf strenge Anweisung seines Auftraggebers keine Musik angestellt.

      Das Auto fuhr an der Zufahrt zum Gestüt vorbei, bog in einen Forstweg ein und hielt. Jemand stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. Im Schein des aufflackernden Feuerzeugs konnte man ein sehr junges männliches Gesicht erkennen. Es war mager und kantig zugleich, einige dünne Haarsträhnen fielen in die Stirn, und die blassen grünlichen Augen waren geringschätzig zusammengekniffen. Alles in allem wirkte dieses Gesicht weder besonders intelligent noch vertrauenerweckend.

      Eichenhof! Wie es ihm zum Hals heraushing! Pferdemist und Heugabeln und diese Riesenviecher, um die hier ein Aufstand gemacht wurde, den er absolut bescheuert fand. Die quatschten sogar mit ihren Gäulen! Und mit ihren blöden Kötern auch.

      Und dann die Leute! Benahmen sich so, als wäre es eine Auszeichnung, für diesen Grafen Holdt und dessen scharfe Braut zu arbeiten. Als ob Ausmisten und den Gäulen die Hufe auskratzen dadurch angenehmer würde, dass man es ›im Team‹ erledigte. Teamarbeit, er könnte k…, wenn er das Wort nur hörte. Jeder für sich allein und für den eigenen Vorteil, das war schon immer seine Devise gewesen.

      Dumm war nur, dass er sich jetzt ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt und sich verschätzt hatte. Dieser Luca Freder, der in letzter Zeit in Ravenhorst ganz groß in Immobilien machte, hatte ihm einen Job auf dem Bau angeboten. Und prompt dabei erwischt, als er einige der Materialien zur Seite schaffte.

      Es hatte eine kräftige Abreibung gegeben, aber keine Anzeige. Freder folgte seinen eigenen Vorstellungen. Auf Eichenhof hatten sie doch alle so eine starke soziale Ader, da würden sie sicher einem Praktikanten, der schon ein paarmal wegen Kleinigkeiten mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, eine Chance geben.

      Und das wiederum war Freders Chance, sozusagen ferngesteuert seine dreckigen Finger in die Geschäfte Eichenhofs zu stecken.

      Der Junge hatte seine Zigarette aufgeraucht, trat den Stummel nachlässig im Gras aus und machte sich auf den Weg. Er musste schnell sein, damit nicht einer der verdammten Köter auf ihn aufmerksam wurde.

      *

      Durch das geöffnete Fenster des Giebelzimmers drangen das Licht und die Geräusche eines sehr frühen Sommermorgens. Das vielstimmige Konzert der Vögel zum Tagesbeginn war bereits verstummt. Vereinzeltes Wiehern drang von den Weiden herüber, und von der Landstraße hörte man ganz leise das Geräusch der Autos, die schon so früh unterwegs waren.

      Die beiden in dem breiten Bett unter der Dachschräge schliefen noch. Der Mann lag auf dem Rücken. Seine blonden Haare waren zerzaust, die herabgerutschte Decke entblößte breite Schultern und einen muskulösen Brustkorb, über den ein schlanker Arm gebreitet lag.

      Die junge Frau neben ihm schlief auf dem Bauch, den Kopf mit den kurzen schwarzen Haaren tief in ihr Kissen gekuschelt. Einen Arm hatte sie unter ihrem Kissen abgewinkelt, den anderen zärtlich über die Brust des Mannes gelegt.

      Die beiden Schlafenden waren Hagen von Holdt, der Gestütsbesitzer, und Bea Winter, seine große Liebe. Bea war als Oberstallmeisterin auf das Anwesen gekommen und hatte sein Herz im Sturm erobert. Für sie beide hatte es auch schon harte Zeiten gegeben, aber dadurch waren sie nur noch tiefer miteinander verbunden.

      Beide liebten die Arbeit mit den Pferden und wollten das Besondere, das Eichenhof ausmachte, bewahren. Das Gestüt war ein alter Familienbetrieb, der sich seit vier Generationen der Zucht und Ausbildung edler Pferde verschrieben hatte.

      Die Zeiten waren hart, und Hagen von Holdt hatte schwer zu kämpfen, um sein Gestüt über Wasser zu halten. Ohne diese Frau an seiner Seite, und ohne seine fähigen und engagierten Mitarbeiter, wäre es wohl kaum möglich gewesen.

      Hagens Schlaf begann sich zu verflüchtigen. Er bewegte den Kopf zur Seite, und seine Augenlider flatterten. Ohne wirklich wach zu sein, schien er irgendwelche Signale aufzufangen, die ihn beunruhigten.

      Dann drang scharfes Hundebellen an sein Ohr, zwei Pferde wieherten, er hörte schnellen Hufschlag und saß senkrecht im Bett! Auch Bea fuhr in die Höhe. »Was ist los?«, fragte sie blinzelnd.

      Hagen von Holdt war schon an der Tür. »Keine Ahnung, Merlin schlägt an!«

      Das Fenster des Schlafzimmers ging nach hinten auf die Gärten hinaus. Sie hatten die Geräusche nur hören, aber nicht sehen können, was die Ursache für den Lärm war. Das Fenster des anderen Zimmers öffnete sich zum Gestüt, und Hagen sah seinen Collie Merlin, dessen scharfes Gebell die beiden anderen Hunde auf den Plan rief. Außerdem galoppierte gerade eine dunkelbraune Stute über den Hof, die zu dieser Zeit an diesem Ort absolut nichts zu suchen hatte!

      »Verdammt!«, fluchte Hagen, war mit einem Satz drüben im Schlafzimmer und schlüpfte in Rekordzeit in seine Kleider. »Pferde sind ausgebrochen!«

      Auch Bea fuhr hoch und war in Sekundenschnelle