Die Göttin nebenan. Nicolas Scheerbarth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicolas Scheerbarth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956953002
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Die Tapete zeigte einen dunklen Goldton. Zwei echte Perserteppiche in passenden Farben lagen auf dem frisch versiegelten, dunklen Parkett. An den Seitenwände zogen sich neben und auch über den breiten Durchgängen in die Nachbarräume die erwähnten Bücherregale fast bis zur Decke; die Rückwand wurde von einem ausladenden, antiken Vitrinenschrank beherrscht. Es wäre eine schamlose Untertreibung gewesen, "Sitzgruppe" zu nennen, was den größten Teil des Raums einnahm - eine Sitzlandschaft aus mehreren breiten Couchs, die in S-Form aufgestellt waren. Auf den Sitzflächen, den Lehnen und auch auf dem Boden lagen überall große, dicke Kissen. Die Stoffe waren, in vollendeter Harmonie zu Wand und Teppichen, in Gold- und dunkleren, glänzenden Brauntönen gehalten, und vollends zu einem Raum wie aus Tausendundeiner Nacht wurde er durch die schweren, bauchigen Übervorhänge an den hohen Fenstern und Terrassentüren sowie einer passenden Stoffbahn, die sich von der Decke herabwölbte und dem Salon etwas von der Atmosphäre eines von Hollywooddesignern entworfenen Fürstenzeltes gaben.

      Johanna bot mir einen Platz an und fragte, ob ich etwas trinken wolle. Ich bat um ein Glas Saft oder Wasser. Es stellte sich heraus, dass der Kühlschrank in der Küche leer war. Johanna entschuldigte sich; sie müsse in den Keller gehen und erst einmal schauen, wo der Lieferant die Getränke in dem Einzugschaos abgestellt habe.

      ***

      Ich entspannte mich und ließ die neue Atmosphäre dieses doch so vertrauten Hauses auf mich wirken. Noch war manches unklar. Offenbar hatte ich es mit einem reinen Frauenhaushalt zu tun; von einem Partner oder Vater war eben keine Rede gewesen. Die Information, Johanna sei mit Mutter und Schwester hier eingezogen, hatte ich unwillkürlich mit den mir bereits bekannten beiden Frauen ergänzt, doch auch das konnte ein Irrtum sein. Die Zahl und auch die Art der Bücher ließen mich darauf schließen, dass meine neuen Nachbarn von ganz anderem geistigen Horizont waren als ihr Vorgänger und seine Frau. Außer der - allerdings beeindruckenden - Kollektion von Fotobänden hatte ich früher hier nie eine Bücher in größerer Zahl gesehen.

      So wie ich saß, mit dem Rücken zum Speisezimmer, konnte ich durch die offenen Doppeltüren in zwei weitere Räume auf der Gartenseite der Villa sehen. Der direkt angrenzende Raum war in grüne Töne gehalten wie dieser hier in Gold und Braun. Der dritte, deutlich kleinere Raum war der dunkelste von allen, da er nur durch ein Fenster Licht erhielt. Seitlich stieß der Raum an die Garage, die scheinbar irgendwann nachträglich dort angebaut worden, denn wir hatten einmal beim Renovieren die Spuren eines zugemauerten Fensters dort gefunden. Seine Farben waren, soweit ich es von hier aus sehen konnte Silbergrau und Schwarz.

      Und dort, hinter dem zweiten Durchgang, nahm ich auch plötzlich eine Bewegung wahr. Ich sah einen Schatten halb im Türrahmen auftauchen und wieder verschwinden, und dann hörte ich auch Geräusche - das Schaben von Kartons und dazu ein leises metallisches Klirren. Im ersten Moment erschrak ich fast etwas, doch dann fiel mir die Freundin ein, die ja hier irgendwo sein musste. Und ich sollte auch nicht lange zu warten haben, bis sich das Rätsel lüftete ...

      Ein oder zwei Minuten vergingen. Dann hörte ich dumpfes Geräusch und gleich darauf einen saftigen Fluch, der in meinen Ohren noch an Wirkung gewann, da ihn eine sehr helle, jung klingende Mädchenstimme ausstieß.

      Dann kam sie um die Ecke und geradewegs auf mich zu ...

      ... und ich war mehr als froh zu sitzen. Wenn mich auch mein Erlebnis von gestern abend, die Einrichtung des Hauses oder das Äußere von Johanna auf Einiges vorbereitet hatten - die Freundin übertraf es bei weitem!

      Sie war so groß und ebenso schlank wie Johanna, eigentlich wirklich mager und knochig zu nennen. Das sah ich auf den ersten Blick. Denn sie war praktisch nackt. Das Klirren, das ich gehört hatte, kam von den Ketten, die sie neben einigen Lederbändern zur Befestigung als einzige "Kleidung" trug. Um ihre Hüfte, um die Brust und den Hals war je eine Kette gewickelt, andere liefen nach oben und unten, über die Schultern und unter dem Schambein hindurch. Doch die Ketten waren längst nicht das einzige Metall; ich sah Piercings an allen möglichen Stellen von den Brustwarzen bis hinunter zu den Schamlippen, die sich zwischen zwei Ketten kahl rasiert und nackt hervorwölbten. Sie besaß ein hübsches, junges Gesicht, das allerdings momentan im Zorn verzerrt war. Fast keine Überraschung mehr war die passende Haartracht: Sie bestand aus einem schmalen, relativ kurz geschnittenen, pink und schwarz gefärbten Irokesenkamm auf dem ansonsten völlig kahl geschorenen Schädel.

      Das Verblüffende, ja Surreale dieser Erscheinung wurde noch unterstrichen von der entspannten Selbstverständlichkeit, mit der die junge Frau auf mich zu trat.

      "Du bist dieser Nachbar, hm?" begrüßte sie mich, nicht unfreundlich, doch mit einer leise mitschwingenden Ungeduld. "Weißt du, wo Johanna steckt?"

      "Ähm ..." meinte ich lahm. Ich hatte immer angenommen, es sei eine bloße Metapher, wenn es einem die Sprache verschlug. Jetzt merkte ich, dass dies ein Irrtum war.

      "Sie ... ich glaube ... sie wollte ... in den Keller," stotterte ich.

      "Na toll! Kannst du mir mal eben helfen? Ich pack das alleine nicht. Dieses Ding ist viel zu schwer, und ich ... äh, ach so, ich bin die Nina!"

      Sie streckte mir eine Hand entgegen. Langsam setzte mein Denken wieder ein.

      "Natürlich, klar!" meinte ich, stemmte mich aus der bequemen, aber tiefen Sitzposition empor und ergriff ihre Hand.

      "Robert," stellte ich mich vor. Ihre Hand war schmal, doch lang und kräftig, und als ich schon loslassen wollte, packte sie noch einmal zu.

      "Du hast einen angenehmen Händedruck," sagte sie, lächelte mich kurz an und ließ dann meine Hand los.

      Ich folgte ihr in den kleinen, silbern und schwarz eingerichteten Raum. Auch hier reichten die Bücherregale bis zur Decke, also in eine Höhe von gut über drei Metern. Vor einem stand eine hohe Leiter, und am Fuß der Leiter ein großer Korb voller Bücher. Nina deutete auf den Korb.

      "Der da! Der muss da rauf! Man kann ihn festmachen oben. Siehst du diese Haken? Die kann man an der Leiter einhängen. Aber ich krieg ihn so voll nicht rauf, und dann muss ich für jedes Buch einzeln rauf und runter ..."

      "Gut, dann wollen wir's mal gemeinsam versuchen. Steig du hoch und schau, dass die Haken richtig eingehängt werden. Ich werd den Korb schon hoch genug bekommen."

      Sie tat, wie ich ihr gehießen hatte, und ich machte mich bereit, den Korb emporzuwuchten. Dabei war ich fast dankbar, mich auf eine so einfache, praktische Aufgabe konzentrieren zu können. Sie lenkte mich wenigstens teilweise von der Wirkung ab, die die pure sexuelle Ausstrahlung der jungen Frau auf mich hatte.

      Das Anheben und Einhängen des Korbes erwies sich schwieriger als gedacht. Er war nicht nur sehr schwer, sondern auch ungleichmäßig gepackt. Und er war nicht wirklich für solche Aufgaben vorgesehen; es war ein einfacher Wäschekorb, und zum Einhängen dienten zwei Haken, die wie Fleischerhaken aussahen und lose an seiner Seite herabhingen. Den ersten konnte Nina relativ rasch einhängen, doch der zweite verrutschte und drohte herauszufallen. Bei dem Versuch, den Haken zu erwischen, verlor sie selbst das Gleichgewicht. Ich fing sie auf, musste nun die Leiter mit meinem Körper stützen, hielt mit einem Arm den Wäschekorb und mit dem anderen Nina selbst, die sich nach vorn beugte, um den zweiten Haken zu befestigen. Dabei drückte sie sich gegen mich - ihre Scham genau auf mein linkes Ohr.

      "Ah, ihr kennt euch schon!" hörte ich die dunkle, kühle, jetzt leicht belustigt klingende Stimme von Johanna aus der Richtung des Durchgangs.

      Nina vollendete ihre Aufgabe, den Korb fertig einzuhängen, ohne sich im Geringsten an der Position meines Ohres oder der Anwesenheit ihrer Freundin zu stören.

      "So! Kannst mich loslassen," meinte sie in einem Ton ruhiger Selbstverständlichkeit, als hätte ich ihr beim Bergwandern an einer rutschigen Stelle die Hand gereicht.

      Johanna gab mir das große Glas Apfelsaft, das sie mitgebracht hatte. Dann gingen wir alle drei zurück in den goldfarbenen Salon und setzten uns, ich auf meinen ursprünglichen Platz, die beiden jungen Frauen auf die Couch gegenüber.

      Ein wenig verwundert über Johannas Reaktion war ich schon, wenn auch in einem positiven Sinn. Sicher war die Situation eben eindeutig und harmlos gewesen, harmlos