Eine Urlaubsliebe. Ewald Arenz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ewald Arenz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783747201572
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denke«, erwiderte er mit leichter Selbstironie, »die junge Dame mag keine Schundromane.«

      Die Baroness warf ihm einen kurzen Blick zu und lächelte das erste Mal. Peter wurde es warm ums Herz, man konnte es nicht anders sagen. Der Buchhändler nahm die beiden Bücher, sah sie kritisch an, pustete über den Schnitt und stellte sie wieder in die Regale. Die Baroness und Peter beobachteten ihn. Wenn man in den nächsten Raum hineinsah, konnte man durch die Fenster erkennen, wie der verwilderte Garten in der Vormittagssonne leuchtete.

      »Wollen wir ein bisschen Bücher kaufen?«, fragte er sie.

      »Ich denke, wir leihen sie erst einmal aus und sehen, ob sie uns gefallen«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln. Und dann gingen sie durch die Räume, machten sich gegenseitig auf Bücher aufmerksam, zeigten sich Kuriositäten und lachten, wenn sie beide gleichzeitig nach einem Buch griffen. Der Buchhändler hatte sich in seinen Sessel zurückgezogen und las Zeitung.

      »Hast du’s gelesen?«, fragte Peter unvermittelt, noch halb lachend. Die Baroness sah ihn nicht an.

      »Und du?«, fragte sie nach einem Augenblick zurück.

      »Ich«, sagte Peter in gehobenem Ton, »habe ja wohl zuerst gefragt. Die Genfer Konvention verlangt, dass du mir Auskunft gibst!«

      »Die Genfer Konvention«, sagte die Baroness lässig, »ist eine Erfindung der sowjetischen Feindpropaganda und gilt in dieser Stadt sowieso nicht, weil hier ich alleine bestimme.«

      Sie griff nach einem gewaltigen Bildband über Afrika.

      »Wenn du mir liebst, käufst du diesem hier!«, sagte sie in dem Kinderton, der Peter immer lachen machte.

      »Mein liebes Kind«, sagte er daher, »ich weiß nicht, ob dir der Begriff Privatinsolvenz vertraut ist. Boshaftes, gieriges Natterngezücht!«

      Die Baroness sah sich um, ob der Buchhändler in der Nähe war, aber in diesem Raum waren nur Bücher und die Sonne und ein wenig flirrender Staub, deshalb küsste sie Peter flüchtig auf den Mund.

      »Dies«, sagte sie und stieß ihn weg, als er sie wieder küssen wollte, »wollen wir nicht zur Gewohnheit werden lassen. Und jetzt kaufen wir Bücher.«

      Eine halbe Stunde später, als sie den Buchladen mit zwei Tüten voller skurriler Kinderbücher, Romane und Bildbände (darunter der Afrikaband) verließen, sagte der Buchhändler, in der Tür stehend: »Nur zur Information – es handelt sich hier nicht um einen Leasingvertrag. Sie können die Bücher jetzt für immer behalten. Bis zum nächsten Mal!«

      Peter drehte sich noch einmal zu ihm um: »Was bringt Sie auf den Gedanken, wir würden noch mal wiederkommen?«

      Der Buchhändler lächelte das erste Mal offen und frei.

      »Alle kommen sie wieder«, sagte er heiter, »alle.«

      Peter und die Baroness gingen eine Zeit lang schweigend durch die sonnenhellen Straßen. Der Tag fühlte sich leicht an, und es war ein Vergnügen, die Baroness neben sich zu wissen. Peter sah sie von der Seite an. Sie lächelte nicht, aber ihr Gesicht war entspannt und sie sah sehr schön aus.

      »Willst du wirklich wissen, ob ich’s gelesen habe?«, fragte er dann.

      Die Baroness antwortete nicht, sondern ging noch ein Stück, bis sie auf der Mitte der Brücke waren. Dort stellte sie die Tüten ab und schwang sich auf die Mauer.

      »Lübbest du mir noch?«, fragte sie nachlässig und lehnte sich an eine der warmen Sandsteinkugeln, die in regelmäßigen Abständen auf der Mauer standen.

      Peter sah sie an und dachte, dass es vielleicht völlig unwichtig war, was man voneinander wusste, solange es Tage wie diesen gab.

      »Große Lübbe«, antwortete er, »mit Lübbelchen obendrauf.«

      »So wie das Geglitzer da unten?«, fragte sie weich und zeigte auf den Fluss, der in der Sonne gleichmäßig durch die Stadt mit dem wunderbaren Buchladen floss.

      »Wie das Geglitzer«, sagte Peter, und dann küsste er die Baroness auf den Mund.

      Mittsommerliebe

      1

      Als ich fünfzehn war, kam ich zum ersten Mal in die Stadt. Meine Mutter nahm mich mit. Natürlich war ich schon vorher dort gewesen. Aber richtig, ich meine, so, dass ich ohne sie alleine in Nürnberg unterwegs sein durfte – das war neu.

      Es war ein paar Tage vor dem Mittsommerfest. Bei uns im Dorf waren die großen Räder bereits fertig; und während der Zugfahrt konnte ich sehen, dass sie in manchen Dörfern auch schon Räder aufgestellt und die Hürden aufgebaut hatten.

      Ich weiß noch, was für ein schöner Sommer das war. Er hatte schon im Mai angefangen, und manchmal lag ich nachts lange wach. Ich hatte immer die Fenster offen. Nicht, weil es so warm war – bei uns oben waren auch die Mainächte noch kühl –, aber ich hörte so gerne die Geräusche der Nacht, das Summen der großen Windmühlen. So ein tiefes Summen, das durch die Wände ging. Ich glaubte, mein Bett würde mitvibrieren, und wenn ich ganz still lag, klopfte mein Herz manchmal so stark, dass die Schläge einen Takt über dieses Summen schlugen und das Bett erschütterte. Als wir in der Schule den Elektromotor durchgenommen hatten, sollten wir die Achse mit der Hand bewegen, und ich hatte es als ein wunderbares Gefühl empfunden: Erst ging es ganz leicht, dann wie einen unsichtbaren Berg hinauf, eine gleitende Schwere gegen das Magnetfeld, und dann der Schwung aus dem Feld – in solchen Nächten stellte ich mir vor, ich wäre die Achse in einem solchen Feld, drehte mich in einem tiefen Summen. Und ich dachte dabei bunte Bilder von der Stadt. Über meinem Bett hing eine Doppelseite aus einer Illustrierten. Das Bild eines morgenkühlen Parks mitten zwischen eleganten, verspiegelten Hochhäusern irgendeiner Großstadt. Davon träumte ich damals.

      Nürnberg war ganz anders. Aber das wusste ich noch nicht. Ich kannte dort eigentlich nur die Straße, in der meine Großeltern gewohnt hatten, und das war auch schon lange her gewesen. Wir hatten den Großvater in der Klinik besucht. Meine Mutter und ich hatten im Wartezimmer auf ihn warten müssen, bis eine Sekretärin uns in sein Büro führte. Damals kam mir das nicht seltsam vor. Auch nicht, dass ich ihn siezen musste. Sein Büro war penibel ordentlich, aber auf dem niedrigen Tisch standen ein paar Tiere aus Glas, mit denen ich spielen durfte. Und als wir gingen, war ich sehr stolz, dass mein Großvater ein berühmter Arzt war. Die Sekretärin schenkte mir einen gläsernen Schwan. Aber jedes Mal, wenn wir ein paar Tage in seinem großen Haus wohnten, sah ich immer nur die Großmutter. Ins Parterre, wo er sein Arbeitszimmer und seinen Salon hatte, durfte ich nicht.

      Diesmal gingen wir ins Hotel. Nürnberg war europäische Hauptstadt in diesem Jahr, und es gab Kongresse, Veranstaltungen und Messen ohne Ende. Meine Mutter hatte eine Einladung bekommen, sie sollte auf der World Convention of Applied Genetics sprechen. Den Namen und das Siegel kannte ich mittlerweile auswendig. Sie hatte es mir bestimmt fünfmal gezeigt. Das war so ungefähr die höchste Ehre, die man als Genetikerin erlangen konnte. Und ich hatte es bestimmt dann noch dreimal in Ruhe gelesen, mit einem englischen Wörterbuch. Ich muss zugeben, dass ich damals ziemlich überrascht war. Ich meine, wir lebten ja schließlich auf irgendeinem Dorf mitten auf dem Land. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass meine Mutter irgendwie besonders war. Wir hatten kein Labor oder so. An drei Tagen in der Woche arbeitete sie in der Klinik der Kreisstadt und ansonsten zu Hause am Computer. Und so richtig wusste ich nicht, woran sie forschte. Klar, wenn wir hinten in der Scheune ein geheimes Labor gehabt hätten, wo sie Frankenstein gespielt hätte, oder wenn wir eine illegale Monsterzucht gehabt hätten. Aber so interessierte es mich eigentlich nicht wirklich. Ich war mit mir beschäftigt. Und das Beste war, dass sie absolut keine Zeit für mich hatte, während wir in Nürnberg waren. Und ich hatte wirklich großes Glück – dafür hätte ich kille irgend jemandem danken müssen –, die Convention fiel genau in die Mittsommerferien. Ich war also hoch gespannt vor Erwartung, genau wie meine Mutter, aber aus anderen Gründen, und deshalb redeten wir beide nicht sehr viel während der Fahrt. Wir waren noch nie mit dem Zug in die Stadt gekommen. Früher, als wir die Großmutter noch besucht hatten, waren wir immer von Großvaters Fahrer abgeholt und gebracht worden. Das war eine meiner besten