Luisas Abenteuer. Carola Wegerle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Wegerle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783956165085
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Anblick hier wäre sie sicher vollkommen ausgerastet. Luisa muss lächeln. Mit dem Rest von Jans Taschentuch, also dem, der noch nicht ganz durchnässt ist, wischt sie sich die Tränen weg.

      Es kommen schon wieder welche. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass ein Sonnenstrahl durch graue Wolken bricht. In den Ferien Racker besuchen? Ja. Ja! Ja!!!! Ja, das will sie.

      Aber wer wohnt denn dort außer Sören und Jan und, nein, die Frau, die für den Haushalt sorgt, wohnt vermutlich gar nicht dort, sonst hätte Luisa sie ja gesehen. Das werden ihre Eltern sicher nicht erlauben, denkt sie. Wenn da keine Familie ist ...

      Sie lassen sie doch nicht zu zwei wildfremden Männern, allein. Aber - Racker! ...

      Nein, anlügen wird sie Ihre Eltern nicht. Nie. Sie wird keine Familie erfinden. Sowas macht sie nur im Theater.

      Theater? Luisa schlägt sich die Hand vor den Mund: Morgen ist ihre letzte Vorstellung! Sie glaubt, sie bekommt keine Luft mehr. Die hätte sie ja beinahe vergessen. Vor lauter Sorge um Racker. Die letzte! Und überhaupt. Sie hat noch nie bei einer Vorstellung gefehlt, sogar mit einem Gipsbein hat sie gespielt, die Vorstellung muss stattfinden, das ist, wenn man am Theater arbeitet, das Wichtigste. Es ist wichtiger als alles andere für Theaterleute. Und wenn sie mitspielt, ist sie eben auch ein Theatermensch. Die letzte Vorstellung!

      Das letzte Mal Viola sehen? Und Tobias? Und Ursula und Sandra und alle anderen, die am Theater arbeiten, und zum letzten Mal das altmodische Hängerchen tragen, mit der kleinen Fahne wedeln und das schöne Lied singen. Und Federball spielen mit Leonard ... Sie wird ihn vermissen. Er war ja nur Gast am Theater, ist für den verletzten Konstantin eingesprungen, und wohnt weit weg. Und wie er ihr stolz erzählte, hat er bereits ein Engagement in Osnabrück, das ist wohl ein Sprung weiter für ihn. Hoffentlich lernt er rechtzeitig seinen Text, denkt Luisa. Sonst wird das kein Sprung, sondern ein Bauchplatscher. Aber trotzdem: Er war ihr Bruder, einige Monate lang, und er hat sie Abend für Abend im Arm gehalten. Sie wird ihn vermissen. Vielleicht kann sie ihn auch besuchen? Irgendwann. Nein, sie möchte bei Racker sein, in jeder Minute ihrer Ferien.

      Die letzte Vorstellung. Es tut weh. Sie hat die Rolle gern gespielt. Es war ein Stück Leben, das sie leben durfte. Geliehenes, aber auch von ihr selbst erschaffenes Leben. Ein Stück von ihr eigentlich.

      Oh, wie kann ich denn jetzt Geld verdienen, um Racker zu besuchen, im Sommer – wie lange ist es noch bis zum Sommer!

      Und wie kann ich meine Eltern dazu überreden, mich dorthin zu lassen? Wenn sie vielleicht ihren Urlaub auch dort machen könnten, also in einer Pension in der Nähe, das wäre die Lösung. Aber Papa will ja immer ans Mittelmeer, er braucht Wärme, und Olli freut sich auch schon auf den Strand. Mama! Sie muss sie dazu bringen, dass sie Deiche und flaches Land mit vielen Pferden ganz toll findet und Papa überredet, einmal Urlaub im Norden zu machen.

      Das Gästezimmer lasse ich mir aber nicht nehmen, da können sie machen, was sie wollen. Außerdem sparen sie dann das Hotelzimmer für mich. Ist das nicht ein wirklich cooles Argument?

      Daniel wird sich hoffentlich freuen, dass Racker doch nicht bei einem Schnösel gelandet ist. Könnte Daniel nicht mitkommen? Aber er hat im Sommer ein Praktikum in Amerika, gleich nach seinen College-Prüfungen. Jetzt erst wird ihr klar, dass auch er im Pferdeland sein wird. Durch die Zeitverschiebung skypen sie immer nur zu Zeiten, an denen einer von beiden todmüde ist. Mensch, Luisa, sagt sie sich, ich habe ein Tablet, ich habe ein iPhone, ich kann ja wohl mal googeln, wie es da aussieht, wo Daniel studiert. Ein Collegejahr mit Spezialisierung auf Pferdezucht und Landwirtschaft. Seine Schule hat ihn dafür ein Jahr freigestellt, weil dieses Stipendium ganz selten vergeben wird und nur total begabten jungen Pferdewirten vorbehalten ist. Angehenden Pferdewirten.

      Der muss ja sehr intelligent sein, der Daniel, denkt sie, wieso habe ich das noch gar nicht gemerkt? Ich finde ihn nur einfach, also da ist etwas, wo mein Herz immer zu tanzen anfängt, wenn ich an ihn denke. Und wenn ich ihn sehe, dann kann ich eigentlich gar nicht mehr denken. Ich sehe einfach so gern, wie er mit Pferden umgeht. So liebevoll und sicher. Und dann - liebe ich ihn. Liebe ich ihn?

      5

      Bei diesem Gedanken schläft sie ein. Und wird erst wieder wach, als der Zug hält. Koblenz! Ihr Bahnhof! Gott sei Dank hat sie kein Gepäck. Die Türen werden schon geschlossen, als sie sich hindurchzwängt und auf den Bahnsteig springt.

      Ihre Mutter steht da! Luisa fühlt eine heiße Welle des Glücks aus ihrem Herzen rollen. Sie stürmt auf die zierliche Frau in der dicken Jacke zu und fällt ihr in die Arme.

      „Luisa!“, sagt ihre Mutter nur und drückt sie ganz fest.

      „Tut mir leid, Mama“, schnieft sie, „ich bezahle die Fahrt, mach dir keine Sorgen.“

      „Aber wir haben uns Sorgen gemacht, Luisa. Das darfst du nie wieder machen!“

      „Nein, Mama“, sagt Luisa kleinlaut. „Es war nur –„“

      Luisas Mutter drückt sie an sich. „Ich weiß. Racker ist eben dein Racker.“

      „Mama! Weißt du, was sie gesagt haben? Dass ich sie in den Ferien besuchen darf! Stell dir mal vor!“

      Frau Heimann bleibt auf dem Bahnsteig stehen. „Wer ist sie?“

      „Na, Sören und Jan!“ sprudelt Luisa hervor.

      Luisas Mama runzelt die Brauen. „Sören und Jan?“

      Luisas wird rot. Schnell zieht sie ihre Mutter durch das Gedränge. „Ja, Sören hat euch doch angerufen. Ihm gehört Racker. Er und Jan sind sehr nett.“

      Ihre Mutter hat es jetzt auch eilig. „Darüber sprechen wir noch. Dein Vater steht die ganze Zeit in der Kurzparkzone und kämpft darum, dass sie ihn nicht verjagen. Komm, wir erlösen ihn!“

      Luisa zieht ein bisschen den Kopf ein, als sie das Auto ihres Vaters entdeckt. Zielstrebig steuert ihre Mutter darauf zu, Luisa, die plötzlich bleischwere Beine hat, im Schlepptau. Jemand, der in die Parkbucht möchte, hupt wie besessen, ein Polizeifahrzeug fährt im Zeitlupentempo vorbei, mit Röntgenblick auf Heimanns Wagen. Ihr Vater reißt von innen die Tür auf der Beifahrerseite auf. „Steigt ein!“

      Luisa traut ihren Augen nicht, als ihr Vater mit Vollgas aus der Kurzparkzone prescht – einen Döner in der Hand. Ihr Öko-Papa. Vielleicht hat er deshalb so viel Schwung? Sie sagt jetzt lieber nichts, denn das Einfädeln im Drängeltempo zwischen zwei Straßenbahnen, Links- und Rechtsabbiegern ist ein verkehrstechnisches Kunststück, das Verena, ihre autobesessene Freundin, sicher in Begeisterung versetzt hätte, bei ihr und ihrer Mutter aber leichte Gänsehaut verursacht. Was fährt ihr Vater denn plötzlich für einen Stil? Sonst könnte man diesen ja schon mal als lahmarschig bezeichnen, aber heute fährt er wie ein Formel 1-Fahrer.

      „Zum Kindergarten?“, fragt er mit vollem Mund. Papa kann Döner essen und dabei fahren wie Sebastian Vettel!

      „Ja“, sagt ihre Mutter. Papa kaut und fährt oder besser rast durch eine Unterführung, viel zu enge Seitenstraßen und über eine Brücke in den Stadtteil, in dem sie wohnen. Am Kindergarten springt ihre Mutter aus dem Auto.

      „Komm, wir laufen nach Hause, ich muss noch was einkaufen.“ Das lässt sich Luisa nicht zweimal sagen.

      „Dann kannst du gleich weiter“, ruft sie ihrem Mann listig zu. Der prescht davon.

      „Das war ein bisschen viel für seine Nerven heute Nacht. Alle fünf Minuten musste ich ihn davon abhalten, die Polizei anzurufen.“

      „Mama –“

      Eine Horde bunter Mama! schreiender Kinder perlt wie Kohlensäure über die Stufen des Kindergartens – Luisa nimmt erst jetzt die vielen Mütter und auch ein paar wartende Väter wahr, die in großer Zahl auf der Straße stehen – und Olli stürmt mit lautem „Mama!“ auf sie zu.

      „Bist du nicht in der Schule?“, fragt er seine große Schwester.

      „Bin früher gegangen, weil ich dich mit abholen wollte“,