Seine schwache Stimme ging verloren in dem Lärm „fort mit Holländern, fort mit dem Grafen von Hollach!“
Mit einem Schlage setzte die ganze Masse der Meuterer im Sturmlauf an gegen das kleine Häuflein der Reiter.
„Hab’s mir wohl gedacht,“ brummte der Rittmeister in den grauen Bart. „Achtung, Gesellen! Stand gehalten — das ist der Befehl. Herunter mit den Schuften, wenn sie euch nahe kommen.“
Sie griffen wirklich an. Im nächsten Augenblick war die Reiterschar umringt, durchbrochen. Die meisten sanken nach tapfrer Gegenwehr vom Pferd; nur wenige schlugen sich durch und flohen über die Heide. Zuletzt kämpfte noch ein einzelner. Das war der tapfere alte Führer, der sich wie ein Verzweifelter wehrte. Endlich erstach ihm Balthasar Eschholz aus Berlin das Roß, und eine Kugel durchfuhr seine treue Brust.
Einige Minuten standen die Mörder wie erstarrt. Schlug ihnen diesmal das Herz? Sie wagten es nicht, die Gefallenen zu berauben, ein plötzlicher Schrecken kam über sie, wie von Gott dem Richter gesandt, und Mann und Roß und Wagen stürzten von dannen, hinein in den Nebel, der sie verschlang, als seien sie nicht wert, von Himmel und Erde gesehen zu werden.
„Das ist ein schlechter — schlechter Tod!“ seufzte der zu Boden liegende Reiterhauptmann. „Ein schlechter Tod! — In deine Hände — aber alles der Befehl — nun kann der Rat von Nürnberg mein Weib und meine Jungen auffüttern — ein schlechter Tod — Amen! Alles — der — Befehl!“
Er griff noch einmal mit beiden Händen krampfhaft in das Heidekraut — es war vorüber.
Ein Wäglein und drei Menschenkinder waren zurückgeblieben beim Fortstürzen der Mörderschar. Das waren Anneke Mey aus Stadtoldendorf, welche das Haupt des Erschlagenen stützte, das war Christoph von Denow, der auf seinem Lager das Vaterunser weiter betete, welches der Rittmeister nicht hatte zu Ende bringen können. Das war Hans Niekirche, der Trommelschläger, welcher schluchzend das Rößlein vor dem Wagen hielt!........
III.
Feuer! Feuer! Das ist nicht der Widerschein der Abendsonne an den Wänden. Feuer! Feuer! und das Wimmern der Burgglocken und der Schall der Sturmhörner! — Wo blieb das süße, mildlächelnde Bild der Mutter, das eben noch durch den stillen dämmerigen Saal glitt? Feuer und Sturm! Die Polen! die Polen! Allverloren! Allgewonnen! Allgewonnen!
Da taucht ein ehrliches bärtiges Gesicht auf — das ist der Knecht Erdwin Wüstemann, welcher den kleinen Christoph aus der brennenden väterlichen Burg auf den Schultern trug und rettete.... Nun rauscht der Wald, nun murmelt der Bach — das ist die verlorene Forsthütte, wo der treue Knecht und das Kind hausten so lange Jahre hindurch. Die Hunde zerren bellend an der Kette, der Falk schaukelt sich auf seiner Stange. Wilde Gesellen und Weiber — fahrende Soldaten, Sänger und Studenten und demütige Juden verlangen Obdach vor dem nahen Gewitter oder dem Schneesturm. Sie lagern auf nackter Erde um das Feuer, an welchem die Hirschkeule bratet. Der Weinkrug geht im Kreise umher; Lieder erschallen! Lieder vom freien Landsknechtsleben, lutherische Lieder, Spottlieder gegen den Papst und den Türken und lateinische Lieder vom wandernden Scholarentum. Jetzt gerät der rote Heinz mit dem landflüchtigen Leibeigenen oder dem Zigeuner in Streit; die Messer blitzen, der Knecht Erdwin wirft sich zwischen die Kämpfenden — es rauscht der Wald, es murmelt der Bach, es klingt die Harfe des blinden Sängers — ah Wasser, Wasser und Waldfrische in dieser Glut, welche das Gehirn verdorrt und die Knochen versengt!
Einen Augenblick lang öffnete der Kranke die Augen, er hörte Stimmen um sich her; jemand hielt ihm einen Krug voll frischen Wassers an die heißen Lippen. Er hatte nicht fragen können, wo er sei, wer ihm helfe in seiner Not? — von neuem ergriff ihn der Fiebertraum.
Aus dem Kinde ist im lustigen Wildschützenleben ein wackerer Bub geworden. Hinaus aus dem grünen Wald zieht der Knecht Erdwin mit dem Schützling. Die Zeiten sind danach — wer kühn die Würfel wirft, kann wohl den Venuswurf werfen. Mancher gelangte in der Fremde zu hohen Ehren und Würden, der im Vaterlande kaum den heilen Rock trug. Gern kaufen Franzosen, Spanier, Holländer mit rotem Golde rotes deutsches Blut. Ho, so hattest du dir die Welt draußen vor dem Wald wohl nicht gedacht, Christoph von Denow? Hei, das waren andere Gestalten und Bilder: Städte, Klöster und Burgen; Fürsten mit Rittern und Rossen, schöne Damen, Äbte und Bischöfe mit reichem Gefolge, Bürgeraufzüge, bunte Landsknechtsrotten auf dem Wege nach Italien, nach Frankreich — für den Kaiser und wider den Kaiser!
Aus dem Reitersbuben ist ein Reitersmann geworden, welcher nichts sein nennt, als sein gutes Schwert, und welchem von den Vätern her nichts geblieben ist, als der eiserne Siegelring mit dem Wappen derer von Denow, welchen er am Finger trägt.
Immer weiter hinein in das bunte Leben, in den bunten Traum — tagelang, wochenlang im Wundfieber kämpfend zwischen Sein und Vernichtung, bis endlich eine Glocke dumpf und feierlich erklingt, eine Glocke, die nicht mehr allein in dem Gehirn des Kranken läutet!
„Wo bin ich?... Die Glocke, was will die Glocke?“ murmelte Christoph von Denow, die Augen aufschlagend.
Anneke Mey stieß einen Freudenschrei aus und hob das Haupt des Junkers ein wenig aus ihrem Schoße: „Er lebt, o guter Gott, er wird leben!“
„Die Glocke! die Glocke?“
„Still, lieget still, Herr! das ist Sankt Lambert zu Münster, und da — horcht! das ist der Dom! Morgen ist der heilige Matthiastag — still, still, lieget ruhig.“
Es wurde dunkel über dem Junker; das Wäglein fuhr in diesem Augenblick durch die Torwölbung. Der Junker schloß die Augen wieder, er glaubte einen Wortwechsel zu hören, er glaubte zu bemerken, daß der Wagen hielt, Annekes Stimme erklang ängstlich und bittend dazwischen. Er glaubte ein bärtiges Gesicht über sich zu sehen und einen Ausruf des Schreckens zu hören. Der Wagen bewegte sich wieder — er fuhr aus dem dunklen Tor in das Licht der Straße hinein. — —
Das war das Gesicht des alten Knechts Erdwin, welches der Junker von Denow über sich sah, bis im folgenden Moment alles verschwand und es wieder Nacht war im Geiste Christophs. — Allmählich