Dr. Brinkmeier Classic 6 – Arztroman. Sissi Merz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sissi Merz
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Brinkmeier Classic
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740951191
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mit, damit du den Fuß richtig schonen kannst.«

      Das war nun schon eher nach dem Geschmack des Dorfpolizisten. Dekorativ humpelte er von dannen und ließ sich von jedem, der ihm über den Weg lief, ausgiebig bedauern.

      Christel Brunner, die langjährige Sprechstundenhilfe in der Praxis Brinkmeier, trat wenig später ihren Dienst an. Sie wollte wissen, ob Anderl Stumpf sich bereits gemeldet habe, und als Max dies verdutzt bejahte, stellte sie mit einem ironischen Lächeln fest: »Der Stumpf hat gestern abend einen über den Durst getrunken. Der Ochsenwirt hat gesehen, wie er auf der Treppe vor dem Wirtshaus einen rechten Tanz aufgeführt hat. Und später hieß es dann, er hätte sich in Ausübung seiner Dienstpflicht verletzt. Na, was sagst dazu, Doktor? Unser Anderl ist schon ein rechter Held, oder?«

      Dr. Brinkmeier mußte lachen. »Mei, Christel, laß das nur net unseren Gendarmen hören, sonst hast bald einen Feind fürs Leben. Pfüat di, ich mache jetzt die Hausbesuche. Wir sehen uns später wieder. Wenn was ist, kannst mich jederzeit anrufen.«

      »Ist schon recht. Aber was den Stumpf betrifft; wieso soll ich das Geschichterl denn net weitererzählen? Es ist doch die Wahrheit. Und die darf man immer sagen.«

      Max Brinkmeier enthielt sich eines weiteren Kommentars und machte sich auf den Weg zu seinen Patienten, die nicht in die Sprechstunde kommen konnten. Meist handelte es sich dabei um alte, gebrechliche Menschen. In Wildenberg wurden diese noch in den Familien gepflegt, das war auf dem Land selbstverständlich. Der junge Arzt freute sich darüber, denn leider war das in der heutigen Zeit längst nicht mehr die Regel.

      Bevor Max zum Doktorhaus zurückkehrte, machte er noch einen kleinen Abstecher zum Bauernhof der Familie Haag. Der Besitz lag etwas außerhalb, auf halber Strecke zwischen Wildenberg und dem Nachbarort Schlehbusch. Es war ein kalter, klarer Wintermorgen, die Sonne schien in einem zarten Pastell und ließ die verschneite Landschaft rund um den Königssee wie verzaubert erscheinen. Obwohl Max Brinkmeier hier geboren und aufgewachsen war, nahm er die malerische Umgebung doch nicht als selbstverständlich hin. Er genoß die Schönheiten der Natur und ließ seinen Blick stets schweifen. Weit im Norden waren da die himmelhohen Gipfel des Tennengebirges zu erkennen, davor der Nationalpark mit dem Königssee und dem weltberühmten Kloster St. Bartholomä. In südlicher Richtung fand sich der Untersberg, der Hausberg des Ortes. An seinem Südhang stand noch ein Berghof, der traditionell bewirtschaftet wurde. Unweit davon stürzte ein Wildbach in eine tiefe Klamm. Östlich schlossen sich Ramsau und der Zauberwald an, der bei Wanderern sehr beliebt war. Und Markt Berchtesgaden lag schließlich im Westen. Wildenberg wurde von einem sanften Tal umschlossen und so vor den Unbilden des Wetters geschützt. Die Landwirtschaft gedieh hier seit einigen hundert Jahren. Und neben dem Tourismus setzte man in Wildenberg auch weiterhin auf das freie Bauerntum. Hier gingen die Uhren eben noch anders. Max Brinkmeier fand das angenehm. Wildenberg erschien ihm wie ein Hort der Ruhe und Beschaulichkeit in all der oberflächlichen Hektik unserer Zeit.

      Als der Landarzt seinen Wagen nun im Wirtschaftshof abstellte, trat Thomas Haag aus dem Stall und kam auf ihn zu. Der Bauer begrüßte den Doktor per Handschlag und stellte fest: »Ich freu mich, dich zu sehen, Doktor. Es ist nett, daß du nach der Birgit schaust. Aber es geht ihr recht gut, kein Grund für Klagen.«

      »Sicher? Als sie letzte Woche in meiner Sprechstunde war, bin ich nicht recht zufrieden mit ihr gewesen. Hat sie sich denn an meine Anweisungen gehalten?«

      »Freilich. Du weißt ja, wie sehr sie sich ein Butzerl wünscht. Und weil es beim letzten Mal net hat sollen sein, ist sie jetzt gleich doppelt vorsichtig. Sie hebt nix Schweres und macht auch beizeiten immer wieder mal eine Pause.«

      »Das klingt vernünftig. Ich will dich net beunruhigen, Thomas, aber deine Frau neigt zur Fehlgeburt. Das läßt sich leider nicht ändern. Und ich kann euch auch diesmal kein Wunder versprechen.«

      Der Bauer wurde eine Spur blasser. »Aber wenn die Birgit sich an alles hält, sich schont und aufpaßt, dann muß es doch klappen. Das hast selbst gesagt, Doktor«, erinnerte er den Landarzt nachdrücklich.

      »Nach menschlichem Ermessen schon. Trotzdem kann ich keine Garantie geben, es tut mir leid. Ihr müßt halt das Beste hoffen, mehr bleibt euch leider nicht übrig.«

      Thomas Haag vergrub die Hände in den Hosentaschen und blickte zu Boden. »Mei, Doktor, das sagst der Birgit lieber net so deutlich. Ich fürchte, wenn es diesmal wieder nix werden wird mit dem Nachwuchs, dann haben wir ein ernstes Problem.«

      Max horchte auf. »Wie meinst das?«

      »Ja, mei, es macht sie halt so fertig. Sie hat jetzt schon furchtbare Angst. Jedesmal, wenn sie nur einen ganz leichten Schmerz verspürt, gerät die Birgit gleich in Panik. Ich hab’ versucht, sie zu beruhigen. Gelungen ist es mir leider nicht.«

      »Ich werde mal mit deiner Frau reden, Bauer«, versprach der Landarzt, als sie gemeinsam das Haus betraten.

      In der Küche werkelte Birgit Haag, die Bäuerin, zusammen mit einer Magd und ihrer jüngeren Schwester Tina Gruber. Der Hof hatte den Eltern der beiden jungen Frauen gehört, die vor drei Jahren bei einem Lawinenabgang ums Leben gekommen waren. Thomas Haag hatte eingeheiratet, er stammte aus dem Nachbarort, seine Eltern hatten die Landwirtschaft bereits aufgegeben. Thomas aber war Bauer mit Leib und Seele. Er hatte den Erbhof wieder in Schwung gebracht. Der junge Mann war eine praktische Natur, ein Macher. Birgit dagegen konnte man als sehr feinsinnig und sensibel betrachten. Die beiden ergänzten sich gut und führten eine glückliche Ehe. Nur manchmal wunderte Thomas sich darüber, daß Birgit alles im Leben so ernst und schwer nahm. Das war nicht seine Art.

      »Der Doktor ist da und will mal nach dir schauen«, ließ er seine Frau nun wissen, die Max Brinkmeier freundlich begrüßte und versicherte: »Es geht mir gut, ich hab’ keine Beschwerden.«

      »Das höre ich gern. Trotzdem würde ich dich gern kurz untersuchen, Birgit. Nur um sicherzugehen, daß auch wirklich alles in Ordnung ist«, schlug der Landarzt vor.

      Die Bäuerin war nur zögernd einverstanden. Und nachdem Dr. Brinkmeier sie in der guten Stube untersucht hatte, war ihm auch klar, warum. »Es geht dir net gut, Birgit, oder? Dein Blutdruck ist zu hoch, du hast Beschwerden. Soll der Thomas es net wissen, oder warum tust so, als wäre alles in Ordnung?«

      Die junge Bäuerin mit dem dunkelblonden, schulterlangen Haar und den klaren haselnußbraunen Augen seufzte leise. Sie senkte den Blick, als sie zugab: »Ich fühle mich schon seit einer Weile schlecht. Aber ich kann dem Thomas doch net allerweil was vorjammern. Er ist so fleißig, arbeitet so hart. Nur ihm haben wir es zu verdanken, daß unser Hof jetzt besser dasteht als früher. Er hat was anderes verdient als eine Frau, die sich die ganze Zeit immer nur beschwert.«

      Dr. Brinkmeier musterte die junge Frau nachdenklich. »Es ist eine Sache, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Aber es ist was ganz anderes, sich zu beschwindeln. Und das hat wirklich auf Dauer keinen Sinn. Dein Mann sorgt sich um dich, Birgit, er will für dich da sein. Es gibt gar keinen Grund, alles mit sich allein abzumachen. Das ist nicht recht.«

      »Ja, ich weiß. Trotzdem ist das eine Sache, mit der ich dem Thomas nimmer kommen kann. Wir wünschen uns schließlich schon seit einer ganzen Weile ein Butzerl. Es muß jetzt einfach klappen, sonst werde ich meines Lebens nimmer froh.«

      »Du solltest mit deinem Mann offen reden, Birgit. Auch über deine Ängste. Dann wird es dir bessergehen«, riet der Landarzt seiner Patientin beim Abschied noch einmal eindringlich. »Und schau in den nächsten Tagen mal wieder im Doktorhaus vorbei.«

      »Das tu ich gewiß. Danke für alles, Doktor.« Sie lächelte ein wenig verschämt. »Ich will mir deine Worte auch zu Herzen nehmen. Das verspreche ich.«

      »Schön, dann bis bald!« Max verließ wenig später den Erbhof und fuhr zurück nach Wildenberg. Er wurde den Verdacht nicht los, daß Birgit Haag ihm nur nach dem Mund geredet hatte. Die Bäuerin schien nichts so sehr zu fürchten wie eine neuerliche Fehlgeburt. Sie hatte sich da in etwas hineingesteigert, das böse ausgehen konnte. Dr. Brinkmeier nahm sich vor, ein strenges Auge auf die Erbhofbäuerin zu haben.

      *

      Nachdem der Landarzt abgefahren war, kehrte Birgit