Da die meisten ihrer außerpartnerschaftlichen Geschichten kein Gewicht hatten, beeinflussten sie ihr Zusammenleben mit ihren Partnern keineswegs. Nun, so ganz stimmte das auch wieder nicht, denn sie hatte schon Angst, ihre Gemahle damit zu verletzen, sollten sie es erfahren. Denn das wollte sie auf keinen Fall. Trotzdem ging sie fremd. Manche interpretierten es als Mangel an Liebe, als Egoismus. Doch bis zu welchem Grad konnte ein Mensch einem anderen »gehören«? Waren die gesellschaftlich anerkannten Treueschwüre mit der Natur des Homo sapiens überhaupt in Einklang zu bringen?
In allen Kulturkreisen, die auf Monogamie oder männlich dominierte Polygamie setzen, wird Untreue mehr oder weniger schwer bestraft – durch gesellschaftliche Ächtung, Folter oder gar durch den Tod. Chris war der Überzeugung, dass die eheliche Treue eine männliche Erfindung sei. Männer wollten sich zu allen Zeiten sicher sein, dass sie in ihr eigenes Erbgut investierten, dass sie keine Kuckuckskinder aufzogen, und verlangten von der Frau tugendhaftes Verhalten. Konträr dazu ist die männliche sexuelle Untreue immer auch ein Statussymbol. »Was für ein toller Hecht, der schafft mehr als eine!« Das Modell der Monogamie hält sich erstaunlicherweise bereits viele Jahrhunderte und ist in letzter Konsequenz doch nie umsetzbar. Besitzdenken in Beziehungen und die daraus entstehende Eifersucht sind durch tradierte Verhaltensmuster tief in uns eingegraben. Die Experimente, die in der Ära der sexuellen Revolution in Kommunen durchgeführt wurden, waren daher größtenteils zum Scheitern verurteilt. Kollektives Umdenken war schwerer zu realisieren, als sich im kleinen, privaten Rahmen zu arrangieren. Außerdem waren die meisten Kommunen von Männern dominiert, die dem anerzogenen Machotum ihrer Vorfahren auch nicht entkommen konnten. Dementsprechend wurden auch die Regeln aufgestellt. »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.«
Nicht zuletzt entspringt der Treueanspruch auch wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Noch bis in die späten Jahrzehnte des vorigen Jahrtausends waren Frauen hierzulande gesetzlich zur ehelichen Treue verpflichtet, andernfalls hätten sie das Sorgerecht für Kinder und die finanzielle Unterstützung des Mannes verloren. Wirtschaftlich abhängig hatten sie schön still zu sein, wenn der Gemahl aushäusig unterwegs war. Dieses Recht konsequenzlos auch für sich zu beanspruchen, war der Gattin nicht nur durch – von Männern ersonnene – Gesetze unmöglich, sondern wurde auch mit Verachtung aus dem sozialen Umfeld geahndet.
Trotz all dieser Repressalien gegen die ausgelebte Sexualität gibt es nirgends auf dieser Welt eine Gesellschaft, die durchgängig und aus tiefstem innerem Antrieb sexuell monogam ist. Es ist uns einfach nicht gegeben, weder dem Mann noch der Frau.
Für Chris war Monogamie also grundsätzlich ein kulturell bedingter Zustand, Promiskuität entsprach ihrer Überzeugung nach eher dem Naturell des Menschen. Dabei war sie selbst nicht frei von Eifersucht. Immerhin war sie ebenfalls ein Kind des christlich geprägten Kulturkreises, auch wenn sie diese zerstörerische und zutiefst egoistische Empfindung für sich weitgehend überwunden geglaubt hatte.
Retrospektiv betrachtet, fanden ihre Abenteuer meistens dann statt, wenn ihre langfristigen Beziehungen in der Routine zu erstarren begannen, man einander selbstverständlich geworden war. »Hab dich lieb« war eine Worthülse, die in den täglichen Wortschatz integriert war, ebenbürtig der Frage: »Was kochen wir denn heute?«
Oft gelang es ihr nicht, ihren Mann vom Fernseher loszureißen, wenn Fußball lief: »Nicht jetzt, ich möchte mir erst noch das Spiel anschauen.«
»Ich hab jetzt gerade Lust auf dich. Komm, fühl mal, wie sehr.«
Er sprang auf »Wow, hast du den Pass gesehen? Großartig spielt der heute wieder!« Seine Augen funkelten vor Begeisterung.
Und schon hatte sich ihre Lust wieder auf die Ersatzbank zurückgezogen. Auch ein Angriff über die Flanke war sinnlos – sie schaffte es nicht, einzulochen.
Dazu kam, dass Chris das Gefühl hatte, er wolle es schnell hinter sich bringen, wenn sie miteinander schliefen. Kuscheln war okay für ihn, aber Sex interessierte ihn nicht sehr. Bei Chris verhielt es sich gerade umgekehrt.
Zurückweisungen und sexuelles Desinteresse machten Chris nach und nach gedanklich frei für aushäusige Abenteuer.
Es war nicht so, dass sie aktiv auf Suche ging. Vielmehr nahm sie Gelegenheiten wahr, die sich ergaben. Wenn ein Mann sie interessierte, machte sie den Flirttest, der aus wiederholt tiefen und vielsagenden Blicken bestand. Und wenn er anbiss, war das Spiel mit dem Feuer oft prickelnder als ein möglicherweise folgender tatsächlicher Vollzug. So war ihr eben auch ihre Affäre »passiert«. Umso erstaunlicher, als dieser Mann ja ursprünglich gar nicht innerhalb ihres Beuteschemas lag. Es steht eben niemandem auf die Stirn geschrieben: »fantastischer Liebhaber«.
Nach der heißen nächtlichen Taxifahrt dauerte es noch etwa zwei Wochen, bis Chris und der vielversprechende Kollege ein Tête-à-Tête arrangieren konnten. Einen Quickie im Auto nach Dienstschluss hielt sie in diesem Fall nicht für angemessen, denn sie fühlte, dass beide ihrer Begierde mehr Zeit und Raum geben mussten, und vor allem, dass es das Warten wert war. Es steigerte die Spannung zwischen den beiden nur noch mehr. Jedes Mal, wenn sie sich in der Firma begegneten, tauschten sie verheißungsvolle Blicke, machten kleine, von anderen unbemerkte Gesten, die die Glut anfachten. Anfängliche Bedenken über Bord werfend, schrieben sie sich verschlüsselte Texte über den firmeneigenen Mailaccount.
»Was ist mit dir? Du bist in der letzten Zeit so gut drauf. Bist du frisch verliebt?«, fragte sie ein aufmerksamer Kollege aus ihrer Abteilung. Fast wäre sie rot geworden.
»Nicht wirklich, läuft halt alles grad gut im Moment bei mir«, antwortete sie, ohne den Fragesteller direkt anzusehen. Was so ein paar aufgedrehte Hormone ausmachen, dachte sie bei sich und ertappte sich schon wieder beim Grinsen.
***
Das erste, heiß ersehnte Date fand in einem Hotel statt. Alles was sie brauchten, waren ein Bett, eine Dusche und Ungestörtheit. G. hatte das Zimmer vor Chris bezogen und schickte ihr per SMS die Zimmernummer. Auf dem Parkplatz zog sie noch im Wagen das Höschen aus und ging mit pochendem Herzen auf die Suche nach Zimmer Nummer 79. Praktischerweise hatte das Hotel einen 24-Stunden-Check-in, somit brauchte sie nicht beim Empfang vorstellig werden. Die Zimmer waren über eine Außentreppe zu erreichen. Chris fühlte die kalte Luft auf der nackten Haut unter ihrem Rock.
Meine Kleine soll ruhig ein wenig abkühlen, dachte Chris, in den nächsten Stunden wird sie ohnehin keine Gelegenheit dazu haben.
Sie klopfte an die Tür, ihr Herz klopfte mit. Ein Schlüssel wurde umgedreht, die Tür ging langsam auf und da stand er vor ihr, zum Greifen nah.
»Hi!«
»Hi!«
Da hatten sie nun beide ungeduldig und sehnsüchtig auf diesen Augenblick gewartet und dann fiel ihnen nichts Besseres ein, als sich einsilbig zu begrüßen und auf der Türschwelle stehen zu bleiben? Wie Teenager! Chris trat ein und reckte sich hoch, um G. zu küssen. Er war nicht nur unter der Gürtellinie groß gebaut, er überragte Chris auch um etwa zwanzig Zentimeter.
»Möchtest du ein Glas Pommery?«
Champagner! Sie freute sich sehr, dass auch er dieses Date als etwas Besonderes empfand und dementsprechende Rahmenbedingungen schaffte. Während er einschenkte, trat sie von hinten an ihn heran und befummelte seine herrlich knackigen Pobacken. Sie bemerkte das Zittern seiner Hände, als er ihr das Glas überreichte.
»Cheers! Auf die Überraschungen, die das Leben so bereithält.« G. prostete ihr zu. Nach ein paar Schlucken Champagner hatte Chris aber Lust auf eine andere Art von Prickeln. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass sie G. ein wenig auf die Sprünge helfen musste. Diesmal war kein dominantes Verhalten seinerseits zu bemerken. Sie stellte das Glas ab und machte sich daran, seine perfekt sitzenden Jeans zu öffnen. Sein Schwanz war bereits in erregter Vorfreude und schickte sich an, eine ordentliche Erektion aufzubauen.
»Höchste Zeit, dass er mehr Platz bekommt«, stellte Chris fest und befreite G.s bestes Stück. »Free Willy.«
Sie ging vor G. in die Hocke und rieb ihre Nasenspitze an seiner Eichel. Da