Ich rührte angespannt in meinem Espresso und überlegte gerade, wer als Nächstes das Badezimmer in Beschlag nehmen durfte – Janine oder ich – als ich sie fragen hörte: »Ma, kann Ben heute Nacht bei uns schlafen? Er muss sonst noch über hundert Kilometer fahren. Franzi und Helen kommen nachher doch auch mit, da wird es sicher spät. Oder früh, je nachdem, wie man es sieht … Du brauchst heute auch nicht zu fahren, Ben nimmt uns alle in seinem Auto mit.«
Wie gesagt, dies war ein sehr gastfreundliches Haus. Trotzdem fragte ich: »Und wie soll das gehen? Ich nehme mal an, dass deine Freundinnen ebenfalls hierbleiben wollen.«
Janine verdrehte die Augen. »Mama, mein Bett ist riesig, das reicht für Franzi, Helen und mich!« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Ben hat also meine Couch ganz für sich allein …«
Das war der versteckte (aber unmissverständliche) Hinweis an mich, dass Janine nicht die Absicht hatte, mit Ben zu schlafen. Warum nur war ich darüber so erleichtert?
Zum Glück war für meine Tochter nach ein paar weiteren Dates klar, dass es bei einer lockeren Freundschaft zwischen ihr und Ben bleiben würde. Sie hatten sich zwar einige Male geküsst, aber Janine bezweifelte, dass er an einer ernsthaften Beziehung interessiert war. Trotzdem mochte sie ihn und fand ihn natürlich nach wie vor ziemlich geil. Doch sie erklärte: »Ma, ich vertraue ihm nicht wirklich. Als er mich letztens in den Arm genommen und geküsst hat, war das fast ein wenig unheimlich. Ich kann es nicht richtig beschreiben. Es war interessant – aber irgendwie gruselig.«
Auch ohne genauere Beschreibung hatte ich eine gewisse Vorstellung davon, was sie damit meinte. Außerdem war Janine sicher nicht entgangen, dass Bens Interesse keineswegs nur ihr galt. Daher war ich jetzt erst recht erleichtert, dass sie sich nicht auf mehr mit ihm einließ! Aber wenn sie miteinander ausgingen oder Ben am Wochenende zum Arbeiten im Andromeda eingeteilt war, übernachtete er trotzdem bei uns, um sich die lange Heimfahrt zu ersparen. Warum er ausgerechnet in einer Diskothek jobbte, die mehr als hundert Kilometer von seinem Wohnort entfernt lag, war mir ehrlich gesagt schleierhaft. Aber wahrscheinlich gefiel es ihm dort eben besonders gut.
Mir gefiel es weniger, wenn er das Wochenende bei uns verbrachte. Denn wenn er da war, konnte ich weder richtig essen noch schlafen. Es war mir unbegreiflich, warum ich so stark auf ihn reagierte, doch ich konnte nichts dagegen tun. Es war wie ein Spiel mit dem Feuer. Wobei Ben keine Gelegenheit ausließ, dieses Feuer noch mehr anzuheizen. Er suchte meine Nähe, während ich seine fast nicht ertragen konnte. Ständig stand er unerwartet hinter mir oder berührte mich irgendwie »zufällig«. Als er einmal nach »Volo Notturno« roch, machte ich den Fehler, ihm zu sagen, dass ich diesen Duft sehr mochte. Ab sofort benutzte er nur noch dieses Parfum, wenn er zu uns kam. Das hatte den Vorteil, dass ich ihn jetzt schneller bemerkte, wenn er hinter mir stand. Aber der sinnliche Duft machte mich ganz kirre, was dazu führte, dass ich innerhalb der nächsten Monate zu einem nervlichen Wrack mutierte. Und an einem Freitagabend im Andromeda geriet das Ganze schließlich außer Kontrolle.
Ben half meistens an der Bar aus, doch an diesem Tag arbeitete er an der Garderobe. Weder Janine noch Carolina, eine frühere Freundin von mir, die das Andromeda inzwischen auch für sich entdeckt hatte, waren mitgekommen. Janine war heute Abend auf einer Geburtstagsparty eingeladen, Carolina lag leider mit einer Erkältung im Bett. Egal, Ben hatte mir angeboten, mich mitzunehmen, schließlich durfte er während seiner Schicht sowieso nicht trinken. Vermutlich wäre es ihm auch peinlich gewesen, unser Haus beziehungsweise Janines Couch für die Übernachtung in Anspruch zu nehmen, ohne im Gegenzug für uns den Taxifahrer zu spielen.
Es machte mir wirklich nichts aus, allein zu tanzen, ich war es ja gewöhnt. Aber so gegen ein Uhr hatte ich einfach keine Lust mehr. Außerdem schwitzte ich fürchterlich in meiner engen schwarzen Lederhose und hatte Durst. Es war – wie meistens um diese Uhrzeit – recht voll, und so arbeitete ich mich durch das Gedränge, um mir einen Platz im Minotaurus zu erkämpfen, einer Bar, die man vom Houseclub aus über eine Wendeltreppe erreichen konnte. Ich stellte mir tatsächlich gerade vor, wie es wäre, wenn Ben früher Schluss hätte und mir ganz zufällig über den Weg laufen würde. Doch das war eher unwahrscheinlich, denn meistens musste er bis drei oder vier Uhr früh arbeiten. Gedankenversunken schlenderte ich die Treppe hinab zum Minotaurus – und stieß beinahe mit Ben zusammen.
»Hab früher Feierabend heute!«, rief er und strahlte mich an, dass mir ganz flau im Magen wurde. »Komm, wir gehen tanzen«, fügte er hinzu, als ich nur dastand und ihn wahrscheinlich nicht besonders intelligent anstarrte. »Milena?«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wieder Luft bekam. »Fein, gehen wir«, schaffte ich es schließlich, in halbwegs normalem Ton zu antworten.
Ja, man sollte sich eben vorher genau überlegen, was man sich wünscht … Völlig konfus folgte ich Ben zur Tanzfläche. In der Mitte war es noch immer recht voll, doch wir fanden ein Plätzchen am Rand, wo man sich trotz der vielen Menschen relativ frei bewegen konnte. Das heißt, ich konnte mich weder relativ noch frei bewegen – ich fühlte mich, als hätte ich einen Stock verschluckt, und meine Beine waren plötzlich aus Gummi.
Er tanzte dicht neben mir. Viel zu dicht für meine ohnehin angeschlagene Verfassung. Ab und zu berührte er mich flüchtig mit der Hüfte, was bei mir ernsthafte Herzrhythmus- und Atemstörungen auslöste.
»Was hast du denn?«, fragte er scheinheilig, als ich immer wieder krampfhaft versuchte, ihn auf Abstand zu halten – angesichts des Platzmangels ein wahrhaft aussichtsloses Unterfangen.
»Sei nicht so verkrampft! Du bist doch sonst so ein fröhlicher Mensch!«, beschwerte Ben sich grinsend.
Dann tanzte er mich provozierend von hinten an, umfasste meine Arme und bewegte sie zur Musik. Er drückte sich an mich, nur ein bisschen – und doch so viel, dass ich vor Aufregung fast einen Kreislaufkollaps bekam. Das reichte. Heute trieb er es eindeutig zu weit! Ich drehte mich um, schubste ihn weg und funkelte ihn wütend an. Atemlos stieß ich hervor: »Irgendwann …!«
»Ja? Irgendwann was?«, fragte er, schon wieder viel zu dicht neben mir.
»Irgendwann bist du fällig …«
»Wie meinst du das?«
Ich zögerte einen Moment, dann platzte ich heraus: »Sag mir Bescheid, wenn du fertig bist mit Spielen – dann machen wir ernst!«
Ben packte meine Handgelenke, zog mich dicht an sich und sagte einfach: »Das ist kein Spiel.«
Sonst war ich eigentlich ziemlich schlagfertig. Aber darauf fiel mir nun wirklich auf die Schnelle keine passende Antwort ein. Ich versuchte, mich auf meine Atmung und meinen stolpernden Herzschlag zu konzentrieren, als ich ihn fragen hörte: »Kommst du mit ins Casino?«
Warum nicht, dachte ich erleichtert. Wenn wir im Café sitzen (mit einem Tisch zwischen uns) sinkt vielleicht das Risiko, dass ich plötzlich über ihn herfalle.
Er ließ mich los, drehte sich um und marschierte Richtung Casino. Ich schob mich hinter ihm zwischen den Menschenmassen hindurch. Im Geiste sah ich schon die Schlagzeile in der Zeitung: »Junger Mann von reifer Frau in öffentlichem Café vergewaltigt«…
Wir hatten Glück, es war ein Tisch frei. Außerdem war es dort recht ruhig, sodass man sich unterhalten konnte, ohne sich wahlweise zu nahe zu kommen oder sich heiser zu schreien. Ich platzierte mich auf den einzelnen Barhocker, der zu dem kleinen Bistro-Tischchen gehörte. Ben holte vom Nebentisch einen weiteren Hocker und setzte sich