»Mit einer Boa constrictor, Sir?« wollte Josuah Parker wissen.
»Mit dieser schrecklichen Würgeschlange«, entgegnete der Chief-Superintendent, »scheußliche Vorstellung, nicht wahr? Ich frage mich allerdings, . ob man solche Reptilien abrichten kann. Was ich darüber bisher gehört habe, scheint das nicht möglich zu sein.«
»Was halten Sie von dieser Aufnahme, McWarden?« Mike Rander reichte dem Yardgewaltigen die Polaroidaufnahme, die Agatha Simpson mit der Morgenpost erhalten hatte. McWarden nahm das Farbfoto entgegen und verzog angewidert das Gesicht. Er überwand dann seinen Ekel und studierte das Bild sehr eingehend.
»Das Biest ist ja mindestens einige Meter lang, wenn man vom Kopf ausgeht, der da zu sehen ist.«
»Würden auch wir sagen, McWarden«, pflichtete Mike Rander dem Chief-Superintendent bei, »sind Ihnen solche Fotos schon begegnet?«
»Nein, nein, bisher nicht. Woher stammt diese Aufnahme?«
»Mylady wurde per Morgenpost damit bedacht«, erklärte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art, »ein erklärendes Schreiben war dieser Aufnahme nicht beigefügt.«
»Das Foto kann aber nicht ohne Grund an Lady Simpson geschickt worden sein. Was ist denn passiert, Mr. Parker? Ich wette, da gibt es eine Vorgeschichte.«
Josuah Parker hielt es für angebracht, den Chief-Superintendent über den Besuch seiner Herrin bei Lady Lancing zu informieren. Er erwähnte ausdrücklich die Beobachtung der Louise Lancing, die eine ausgewachsene Boa gesehen haben wollte.
»Kann Lady Lancing sich geirrt haben?« fragte McWarden daraufhin nachdenklich-zweifelnd.
»Dies, Sir, sollte man nach Lage der Dinge verneinen«, antwortete Josuah Parker, »das Polaroidfoto redet eine eindeutige Sprache. Hinzu kommt die Tatsache, daß Ihre V-Leute von einer sogenannten Killer-Boa berichten. Vorsichtig ausgedrückt, Sir, scheint es hier gewisse Zusammenhänge zu geben.«
»Wahrscheinlich sollen gewisse Leute nervlich fertiggemacht werden, damit sie später jede gewünschte Summe zahlen«, meinte der Anwalt, »für mich läuft las alles auf Erpressung hinaus.«
»Würde ich auch sagen«, erklärte McWarden grimmig, »aber kann man ein Reptil dressieren oder in etwa abrichten? Das ist für mich die Kernfrage.«
»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich gerade dieser Frage nachgehen«, versprach Josuah Parker, »hier in London dürfte es Zoo-Großhandlungen geben, die sicher mit einer klärenden Antwort dienen können.«
McWarden nickte und wollte sich verabschieden, doch in diesem Moment läutete das Telefon. Parker hob ab, meldete sich und reichte den Hörer dann an den Chief-Superintendent weiter. McWarden hörte einen Moment zu. Das, was er hörte, ließ die Röte in sein Gesicht steigen. Schließlich knallte er den Hörer in die Gabel und wandte sich an Mike Rander und Butler Parker.
»Das erste Opfer dieser Killer-Boa«, sagte er dann, »wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.«
»Und welche Person, Sir, wenn man fragen darf, wurde gezwungen, das Zeitliche zu segnen?« erkundigte sich der Butler.
»Ein gewisser Reginald Cattler«, antwortete McWarden, »mehr weiß ich auch nicht, doch das wird sich bald ändern.«
*
Reginald Cattler, ein kräftiger Fünfziger, lag neben seinem völlig zerwühlten Bett auf dem Boden und bot einen schrecklichen Anblick. Sein verzerrtes Gesicht und die weit geöffneten Augen ließen erkennen, daß der Mann Todesängste ausgestanden hatte. Cattlers Hände waren verkrampft und befanden sich in Halshöhe.
Josuah Parker nahm seine schwarze Melone ab und ehrte den Toten. Mike Rander beugte sich vor, um Einzelheiten zu erkennen. Chief-Superintendent McWarden unterhielt sich leise mit einem Detective-Sergeant, der zur zuständigen Mordkommission gehörte.
»Nun, was würden Sie sagen, Parker? « Mike Rander richtete sich wieder auf. »Haben Sie die Würgemale am Hals gesehen?«
»In der Tat, Sir«, antwortete der Butler, »das bedauernswerte Opfer scheint einen, wenn ich so sagen darf, verzweifelten Kampf geführt zu haben.«
»Gegen eine Boa«, meinte der Anwalt und nickte. Er deutete auf ein Foto, das auf dem Boden lag und mit weißer Markierkreide eingerahmt worden war. Auf diesem Polaroidfoto war eine Riesenboa zu sehen, die sich eindeutig für ein Kaninchen interessierte, das an einem Salatblatt knabberte.
»Bewohner der unteren Etagen haben Geräusche hier in der Wohnung gehört«, berichtete McWarden, der auf den Anwalt und Butler Parker zuging, »sie hatten den Eindruck, als würden hier oben Möbel gerückt. Ein Hausbewohner hat dann später einen mittelgroßen, schlanken Mann gesehen, der eine Art Holzkoffer trug und damit das Haus verließ.«
»Der Behälter für die Boa«, urteilte Mike Rander sofort.
»Denke ich auch, Rander«, antwortete McWarden, »Sie sind auf meiner Linie. Die ganze Geschichte liegt jetzt etwa eine Stunde zurück.«
»Darf man erfahren, Sir, wie die Hausbewohner auf die Tat aufmerksam wurden?«
»Die Putzfrau von Reginald Cattler entdeckte den Toten«, berichtete McWarden weiter, »sie bekam einen hysterischen Anfall und liegt jetzt unten auf der Couch. Der Polizeiarzt hat ihr eine Spritze gegeben.«
»Welchem Beruf, Sir, ging der Verblichene nach?« fragte der Butler weiter.
»Reginald Cattler war Antiquitätenhändler, Mr. Parker. Sein Geschäft ist in Belgravia. Nach den Ermittlungen des Sergeants muß der Tote recht vermögend gewesen sein.«
»Das paßt durchaus ins Bild«, fand Mike Rander, »gibt es Verwandte?«
»Müssen wir alles erst noch Zusammentragen«, erwiderte der Chief-Superintendent, »Moment, da kommt der Arzt. Er weiß vielleicht mehr über die Würgemale.«
Der Polizeiarzt, ein sehr nüchtern aussehender Mittfünfziger, ließ sich auf keine Einzelheiten ein. Er konnte nur mitteilen, daß Reginald Cattler erwürgt worden war. Er sprach von einem schlauchartigen Gebilde, das um Cattlers Hals gelegen haben mußte.
»Könnte es sich um eine Boa gehandelt haben?« fragte Mike Rander.
»Durchaus«, lautete die Antwort, »aber festlegen kann ich mich natürlich nicht. Ich muß mir die Würgemale erst genauer ansehen.«
»Cattler ist aber eindeutig erwürgt worden?« wollte McWarden wissen.
»Fragen Sie mich das nach der Autopsie«, gab der Polizeiarzt zurück, »falls es aber eine Boa gewesen ist, frage ich mich, wieso das Reptil angegriffen hat. Cattler scheint doch geschlafen zu haben.«
Der Polizeiarzt deutete auf das zerwühlte Bett.
»Auch an Sie die Frage, Doc: Kann man eine Schlange dressieren?«
»Kaum«, gab der Arzt zurück, »aber mit Sicherheit will ich das nicht ganz ausschließen. Ich bin kein Reptilien-Fachmann.«
»Wenn Sie erlauben, werde ich mich jetzt dieser Frage widmen«, entschuldigte sich Parker, »Schlangen der Größe, wie sie auf dem Foto zu sehen sind, dürften meiner bescheidenen Ansicht nach nicht in jedem Haushalt zu finden sein.«
»Das fehlte noch«, gab Mike Rander zurück und schüttelte sich, »bevor ich mich heute abend ins Bett lege, werde ich alles gründlich durchsuchen. Ich habe keine Lust, von einer Boa überrascht zu werden. «
*
»Wenn es erlaubt ist, möchte ich Ihnen einen wunderschönen Tag entbieten, Madam«, sagte Josuah Parker, nachdem er die Tür zum Apartment geöffnet hatte. Er lüftete grüßend seine schwarze Melone und schaute wachsam und erwartungsvoll zugleich in den Wohnraum, der verdunkelt war.
»Treten Sie nur näher, Sir«, erwiderte eine etwas hart klingende Stimme, »warten Sie einen Moment, ich ziehe mir schnell etwas über.«