„Sehen Sie diese wunderbaren Nahaufnahmen an“, begeisterte sie sich.
„Die Würgemale am Hals des Opfers sind geradezu einmalig.“
„Wie Mylady meinen“, erwiderte Parker mit deutlicher Zurückhaltung.
„Aber das ist noch gar nichts gegen diese herrlichen Fotos“, stellte Lady Agatha fest und blätterte weiter in dem dicken Band. „Interessieren Sie sich für Vergiftungen?“
„Nur bedingt, Mylady“, sagte Parker, „falls sie sich nämlich nicht auf meine bescheidene Wenigkeit be-ziehen.“
„Dann werde ich Ihnen Aufnahmen eines Opfers zeigen, das von seinem Mörder in Stücke zerlegt wur-de.“
„Darf ich mir erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf die Bücherkisten zu lenken?“ Parker war an einem Wechsel des Themas sichtlich interessiert.
„Und?“ Sie sah ihn ein wenig enttäuscht an und klappte den dicken Fachband zu.
„Ich sehe mich außerstande, noch weitere Bücher im Haus unterzubringen, Mylady.“
„Aber wir haben doch Platz genug“, stellte Agatha Simpson erstaunt fest und deutete ins Treppenhaus. „Lassen Sie Bücherregale anbringen, Mr. Parker. Bücher sind die schönste Tapete, die ich mir vorstellen kann.“
„Sehr wohl, Mylady.“
„Ich werde in den nächsten Tagen mit meinem ersten Romankapitel beginnen, Mr. Parker.“
„Das war zu erwarten, Mylady.“
„Sorgen Sie dann dafür, daß ich auf keinen Fall gestört werde! Ich brauche absolute Ruhe und Konzentra-tion.“
„Darf ich mir eine Frage erlauben, Mylady?“
„Natürlich, Mr. Parker. Ich ahne schon, worauf Sie hinauswollen.“
„Mylady?“ Parker fühlte sich mißverstanden.
„Ihr Wunsch sei Ihnen gewährt“, versprach Agatha Simpson großzügig, obwohl Parker nun wirklich kei-nen Wunsch geäußert hatte. „Sie dürfe die ersten Seiten selbstverständlich anlesen.“
„Eine hohe Auszeichnung, Mylady!“
„Habe ich Ihnen schon gesagt, worüber ich meinen ersten Thriller schreiben werde?“
„Mylady waren in dieser Hinsicht sehr verschwiegen.“
„Ein Spionagethema“, redete Agatha Simpson weiter und wanderte in der Vorhalle auf und ab. „Der Fall wird bis in höchste Regierungskreise hineinspielen.“
„Bemerkenswert, Mylady.“
„Es wird sich aber nicht um einen normalen Spionagefall handeln.“
„Eine äußerst geschickte Variante, Mylady.“ Parker war ein höflicher Gesprächspartner. „Demnach ist mit einem unnormalen Spionagefall zu rechnen, Mylady?“
„Richtig, diese Formulierung trifft es haargenau. Ich muß mir allerdings erst noch überlegen, was ich spe-ziell wählen soll. Vielleicht sollten wir uns mal darüber ausführlich unterhalten, Mr. Parker.“
„Sobald ich die Bücher ausgepackt habe, Mylady.“
„Das hat Zeit.“ Man sah es ihr an der Nasenspitze an, daß sie einen Menschen brauchte, der ihr eine Idee lieferte.
„Sehr wohl, Mylady, dann wäre für Miß Porter noch ein kleiner Imbiß zu richten“, entschuldigte sich Par-ker weiter, „danach stehe ich Mylady sofort zur Verfügung.“
„Ja, wo bleibt eigentlich Kathy?“ wunderte sich Agatha Simpson und sah auf die alte Standuhr in der Vorhalle. „Sie müßte doch längst hier sein. Hoffentlich ist nichts passiert. Die Zeiten sind so unsicher!“
Es war nicht Sorge, die aus ihr sprach, sondern freudige und hoffnungsvolle Erwartung.
Mylady sehnte sich wahrscheinlich wieder mal nach einem Fall!
*
Im ersten Moment war sie keiner Gegenwehr fähig.
Zu überraschend war der Angriff gekommen, zu fest schlossen sich die stahlharten Finger um ihren Hals und schnitten ihr die Luft ab. Doch dann besann Kathy sich auf all das, was sie von einem gewissen Josuah Parker gelernt hatte und was sie von sich aus konnte.
Sie versuchte erst gar nicht, die Klammer um ihren Hals zu lösen. Dabei hätte sie mit Sicherheit zuviel Zeit verloren. Kathy stieß nicht nur mit dem Knie zu, sondern langte auch nach den Ohren des Angreifers und drehte sie wie einen Lichtschalter nachdrücklich zur Seite, was dem Mann überhaupt nicht bekam.
Er brüllte, gab ihren Hals frei und merkte kaum, daß Kathy hochsprang.
Leider war das aber auch alles, was Kathy erreichte.
Als sie die Flucht ergreifen wollte, erhielt sie einen harten Schlag auf den Hinterkopf und verlor augen-blicklich das Bewußtsein. Sie merkte nicht, daß der Mann, der hinter ihr aufgetaucht war, sie auffing, und sah nicht, daß der angeblich Verunglückte blitzschnell aufstand und nach ihren Beinen griff.
Die beiden Männer hatten es es eilig. Der lichterloh brennende Wagen schien sie sehr zu stören.
Sie schleppten die junge, bewußtlose Frau in einem weiten Bogen um das Wrack herum und steuerten ei-nen schmalen Feldweg an, der bis hinunter zum Bach verlief. Hier erreichten sie einen dunklen Kastenlie-ferwagen, der hinter hohen Sträuchern stand.
Während dieser Minuten träumte Kathy Porter einen Traum, der mit der harten Realität überhaupt nichts zu tun hatte. In diesem Traum lag sie auf einer Luftmatratze und ließ sich von den sanften Wellen eines Sees wiegen. Das sanfte Wiegen wurde allerdings plötzlich sehr hart. Kathy erwachte, schaute sich verwirrt um und begriff dann, daß sie sich auf der harten Ladefläche eines Wagens befand, der durch tiefe Schlaglöcher rumpelte.
Die Entführte wußte sofort, was passiert war, richtete sich auf und merkte bei dieser Gelegenheit, daß man sie an Händen und Füßen gefesselt hatte. Isolierband ersetzte die sonst üblichen Stricke und war wesentlich wirkungsvoller.
Kathy Porter ließ sich vorsichtig zurückgleiten und dann weiter durchschütteln.
Warum man sie gekidnappt hatte, war ihr rätselhaft.
Daß Sie es mit zwei Gegnern zu tun hatte, war ihr hingegen klar. Der scheinbar verunglückte Mann mußte noch einen Helfershelfer gehabt haben. Es mußte sich schon um sehr eigenartige Retter handeln, die herun-ter zu dem brennenden Autowrack gekommen waren.
Wie lange Kathy besinnungslos war, ließ sich nicht berechnen. Demnach konnte sie auch noch nicht mal schätzen, seit wann sie sich in diesem scheußlichen Wagen befand. Sie ärgerte sich nur, auf diese heimtücki-sche Art hereingelegt worden zu sein. Handelte es sich um ehemalige Gegner, die ihr während der ganzen Heimfahrt auf der Spur gewesen waren? Oder hing dieser Überfall mit dem brennenden Jaguar zusammen?
Bevor Kathy Porter sich in weiteren Spekulationen ergehen konnte, hielt der Wagen jäh an.
Haltlos rollte die junge Frau herum und landete vor der Längsseite des Wagens. Sie hörte das Öffnen und Zuschlägen der beiden Türen, dann Schritte. Wenig später blinzelte Kathy in das grelle Licht einer Taschen-lampe.
„Schreien ist wohl völlig sinnlos, nicht wahr?“ fragte sie.
„Kluges Kind“, sagte eine Männerstimme. „Wer schreit, kriegt eins aufs Maul!“
Sie zerrten Kathy wenig sanft an den Rand der Ladefläche. Starke Arme lifteten sie an und legten sie über eine breite Männerschulter, dann wurde sie über einen mit Steinplatten ausgelegten Weg in ein Haus getra-gen, von dem sie nur die Umrisse erkannte. Der Regen war noch stärker geworden.
Der zweite Mann schloß hinter ihr die Tür, dann landete Kathy Porter mit viel Schwung und wenig Liebe auf einem Sofa,