Günter Dönges
Killer für zwei schlanke Beine
Das Wetter war alles andere als angenehm.
Kathy Porter, die attraktive Gesellschafterin Lady Agathas, saß am Steuer ihres Mini-Cooper und war auf der Heimfahrt nach London. Es goß aus Kübeln. Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe. Die Sicht war scheußlich und ließ kein schnelles Fahren zu.
Kathy hatte das Autoradio eingeschaltet und dachte nicht daran, sich leichtfertig den Hals zu brechen. Von Reading aus hatte sie Josuah Parker verständigt und ihm ihr späteres Ankommen angekündigt. Der But-ler hatte sie beschworen, kein unnötiges Risiko einzugehen, und ihr Hinweise auf die Gefahren des Aqua-planing gegeben.
Davon schien der Fahrer nichts zu wissen, dessen Scheinwerfer plötzlich im Rückspiegel des Mini-Cooper erschienen und sich ungewöhnlich schnell näherten. Der Mann hatte die Lichter voll aufgeblendet und scherte sich den Teufel darum, daß er lästig war.
Kathy Porter minderte unwillkürlich das Tempo ihres kleinen Wagens. Sie war zwar eine ausgezeichnete Fahrerin, wollte aber diesen rücksichtslosen Flegel so schnell wie möglich an sich vorbeilassen. Daß es sich um einen männlichen Chauffeur handeln mußte, stand für Kathy so gut wie fest, denn eine Frau hätte solch ein riskantes Tempo wohl nie gewählt.
Ein Wagen zischte an ihr vorbei …
Kathy erkannte im Lichtkegel der Scheinwerfer die langgestreckte Haube eines Sport-Jaguar, der wie ein Blitz vorbeihuschte, und sah dann die Rücklichter, die sehr schnell klein wurden und hinter einer leichten Wegbiegung verschwanden.
Kathy befand sich nicht auf der Hauptstraße von Bristol nach London. Wegen eines Verkehrsstaus infolge eines Massenunfalls auf der Schnellstraße Nr. 4, von dem sie im Autoradio gehört hatte, war sie nach Ba-singstoke ausgewichen, um über die Autostraße Nr. 30 nach London zu kommen.
Diese Verbindungsstraße zeichnete sich nicht gerade durch eine besondere Breite aus, dafür war sie aber streckenweise geteert, deshalb also noch nicht griffig und eingefahren, was der Fahrer des Jaguar wohl zu spät bemerkte.
Kathy Porter hörte nichts von dem Unfall, dazu trommelte der Regen zu intensiv auf das Wagendach. Sie sah nur plötzlich einen steil in die Luft schießenden Feuerschein und wußte im selben Moment, daß der Ja-guar nicht mehr auf seinen vier Reifen stand.
Helfen, das war das einzige, woran die junge Frau sofort dachte. Kathy steigerte das Tempo, vielleicht kam es auf jede Sekunde an. Sie näherte sich der Straßenbiegung und entdeckte den bereits lichterloh bren-nenden Wagen, der von der Fahrbahn abgekommen war. Der Jaguar lag auf dem Dach und produzierte im-mer neue Feuergarben, die auch von dem strömenden Regen nicht gelöscht wurden.
Hart hielt sie an, griff nach dem Feuerlöscher, drückte die Tür auf und rannte zur Unfallstelle. Kathy trug sportlich lange Hosen und konnte sich frei bewegen. Sie war in Sekunden bis auf die Haut durchnäßt. Sie achtete nicht weiter darauf, daß die leichte Bluse bereits an ihrem Körper klebte, löste den Sicherungsstift des Feuerlöschers und brauchte für ihr Gefühl fast eine kleine Ewigkeit, bis sie endlich den brennenden Wa-gen erreicht hatte.
Kathy sah auf den ersten Blick, daß der Fahrer nicht mehr im Wagen saß.
Er mußte herausgeschleudert worden sein.
Kathy kämpfte sich ah die sengende Hitze heran, um nach einem etwaigen Beifahrer Ausschau zu halten. Erleichtert stellte sie fest, daß der Sitz leer war. Der Jaguar konnte also ausbrennen, hier war nicht mehr viel zu machen. Doch wo war der Fahrer?
Der Feuerschein reichte aus, um die nähere Umgebung des Wagens abzusuchen.
Kathy stolperte über Grasbüschel, versank bis zu den Fußknöcheln in der sumpfigen Wiese und ging in einem weiten Bogen um den Wagen herum, doch den Fahrer entdeckte sie nicht. Schließlich blieb sie nach-denklich am Ufer eines Baches stehen. Als gerade wieder eine Flammengarbe zum Himmel schoß, glaubte sie Schleifspuren an der Böschung zu erkennen.
Hatte der Fahrer des Jaguar sie hinterlassen? Hatte er nach diesem schrecklichen Unfall noch die Kraft gehabt, bis hierher an den Bach zu kommen?
Sie rief laut „Hallo“, ging ein Stück am Ufer entlang, schüttelte ratlos den Kopf und drehte sich wieder zu dem brennenden Wagen um.
Endlich entdeckte sie den Fahrer!
Er lag in einer flachen Mulde, hatte sich halb aufgerichtet und winkte ihr mit der Hand matt und kraftlos zu. Kathy konnte sich zwar nicht erklären, wieso sie den Mann übersehen hatte, doch darauf kam es jetzt überhaupt nicht an. Sie rannte hinüber zu dem Mann und wollte helfen.
Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, wurde der Verunglückte allerdings sehr munter.
Seine Hände schossen blitzschnell vor und legten sich um ihren Hals, worauf Kathy Porter unter gewissen Luftschwierigkeiten litt …
*
Butler Parker war leicht verstimmt.
Er stand in der Vorhalle des Stadthauses von Lady Agatha Simpson und musterte sehr distanziert die bei-den Bücherkisten, die vor einer halben Stunde abgeliefert worden waren. Sie gehörten zu einer Massensen-dung, die seine Herrin bestellt hatte.
Agatha Simpson, die Dame des Hauses, steinreich und skurril, hatte sich nämlich entschlossen Schriftstel-lerin zu werden. Das hatte sie ihrem Butler vor einigen Tagen erst am Frühstückstisch offenbart, worauf Parker sicherheitshalber vorerst mal mit keiner Wimper gezuckt hatte. Er kannte die exzentrischen Hobbys seiner Herrin und wußte aus Erfahrung, daß sie selten von langer Dauer waren.
Diesmal schien die Sache allerdings ernst zu werden.
Lady Agatha hatte sich eine elektrische Schreibmaschine kommen lassen, Diktiergeräte und Wagenladun-gen von Manuskriptpapier. Sie war fest entschlossen, Bestseller zu schreiben, und wollte sich auf dem Spe-zialgebiet des Kriminal-Thrillers einen Namen machen. Wie sie ihrem Butler gegenüber geäußert hatte, be-saß sie auf diesem Fachgebiet genug Erfahrung.
Während Mylady seit Tagen die Technik ihrer Kollegen eingehend studierte, hatte Parker die Arbeit. Er mußte nämlich die Kisten auspacken, die Bücher ordnen und unterbringen. Seiner bescheidenen Ansicht nach quoll das altehrwürdige Haus in Shepherd’s Market fast über, und er wußte kaum noch, wo er all die vielen Bände unterbringen sollte. Sie waren bereits über sämtliche Zimmer verteilt, doch Lady Agatha er-wartete von ihrem Butler, daß er selbstverständlich auf Anhieb zu sagen wußte, wo sich welches Buch be-fand.
Die leidenschaftliche Amateurdetektivin hatte sich für Fachliteratur entschieden und sämtliche Standard-werke eingekauft, die auf dem Buchmarkt zu haben waren. Angefangen von der Gerichtsmedizin bis zur Psychologie des Verbrechens stand ihr alles zur Verfügung. Es war Myladys Ehrgeiz, eine gewisse Agatha Christie zu übertreffen. Für die nahe Zukunft hatte Lady Agatha sogar Bühnenwerke angekündigt. Darüber hinaus gedachte sie, die BBC mit Fernseh-Kriminalspielen zu beglücken, und zweifelte nicht eine einzige Sekunde lang an ihrer einmaligen Begabung.
Butler Parker deutete eine höfliche Verbeugung an, als Agatha Simpson in der Vorhalle erschien.
Sie erinnerte an eine Walküre, war groß, majestätisch und 60 Jahre alt, wovon sie aber nicht gern sprach. Nach dem Tod ihres Mannes war sie die Alleinerbin eines sagenhaften Vermögens geworden. Lady Agatha war eine ungewöhnliche Frau. Sie liebte das Abenteuer und witterte hinter alltäglichen Banalitäten stets ei-nen großen Kriminalfall.
Sie war auf ihre Art liebenswert.
Verschwistert und verschwägert mit dem Hochadel des Landes, stand ihr praktisch jede Tür offen. Auf der anderen Seite konnte sie noch derber sein als eine Blumenfrau vor Covent Garden. Wenn sie in Rage geriet und schimpfte, spitzten selbst abgebrühte Taxifahrer die Ohren und lernten freudig dazu. Ihre Unge-niertheit selbst höchstgestellten Personen gegenüber war erfrischend.
In jungen Jahren hatte Lady Agatha sich sportlich betätigt. Auch jetzt spielte sie noch hervorragend, wenn auch sehr regelwidrig. Golf, Tennis und war eine Meisterin im Sportbogenschießen. Beim Tontaubenschie-ßen war ihre Trefferquote bestürzend hoch und gut. Kurz, sie stand