Das hochbeinige Monstrum kämpfte sich mühsam durch den nächtlichen Sturm. Die an sich erstklassigen Scheibenwischer waren kaum in der Lage, das Wasser von der Frontscheibe wegzuschaufeln. Die aufgeblendeten Scheinwerfer versickerten im peitschenden Regen. Josuah Parker konnte nur relativ langsam fahren.
Er war übrigens allein.
Mike Rander hatte sich von seinem Butler überzeugen lassen, daß die drei Gäste im Keller des Hauses betreut werden mußten. Es war damit zu rechnen, daß Halters mit Verstärkung erschien, um seine beiden Männer Mel und Hank zu befreien. Es galt zu verhindern, daß der an der Hüfte verletzte Mann mit dem Dutzendgesicht endgültig entführt wurde.
Nach halbstündiger Fahrt erreichte der Butler das ihm bereits bekannte Bootshaus. Es war unbeleuchtet und schien im Moment nicht bewohnt zu sein. Parker brachte seinen Wagen dicht an das Haus heran und entfaltete seinen riesigen Universal-Regenschirm, als er ausstieg.
Würdevoll, als bewege er sich über ein glattes Parkett, schritt er dann durch Sturm und Regen auf die Haustür zu. Er läutete nachdrücklich und wußte eigentlich schon im voraus, daß ihm nicht geöffnet werden würde. Sein Gefühl sagte ihm, daß Halters entweder nicht da war, oder aber nicht mehr in der Lage war, sich zu melden.
Parker drückte leicht gegen die Tür. Sie war verschlossen. Doch dieser Zustand dauerte nur wenige Sekunden. Mit seinem kleinen Spezialbesteck öffnete er das einfache Türschloß und blieb sofort wie angewurzelt stehen.
Es roch deutlich nach Pulverschmauch.
Parker kannte diesen Geruch. Er war ihm im Verlauf seiner Auseinandersetzungen mit Gangstern nur zu vertraut geworden. Parker schaltete das Dielenlicht ein und sah sich in den Räumen um.
Er brauchte nicht lange zu suchen.
In einem großen Wohnraum fand er Ben Lovell. Der Mitarbeiter des Gangsterchefs Halters lag auf dem Rücken und starrte aus weit geöffneten Augen zur Decke. Er merkte nichts von Parkers Auftauchen. Er war dazu auch kaum in der Lage, denn er lag im Sterben und hatte höchstens noch einige Minuten.
Parker kniete neben Lovell nieder und rief ihn an. Er rüttelte ihn leicht an der Schulter und registrierte gleichzeitig die schweren Verletzungen des Mannes. Ben Lovell war von drei Schüssen niedergestreckt worden. Diese Schüsse mußten aus nächster Nähe abgefeuert worden sein.
Von Halters? Das war kaum anzunehmen! Warum hätte der Gangsterchef seinen Mitarbeiter umbringen sollen? Der Schütze mußte dennoch ein guter Bekannter des Sterbenden gewesen sein, sonst hätte Lovell den Schützen niemals so nahe an sich herankommen lassen.
„Mister Lovell … Master Lovell!“ sagte Parker eindringlich, „wer hat Sie niedergeschossen? Antworten Sie. Wer hat auf Sie geschossen?“
Ben Lovells Augen gerieten in Bewegung. Im Unterbewußtsein nahm er wohl noch die Worte wahr. Er versuchte sich aufzurichten, doch dazu fehlten ihm bereits die Kräfte. Seine Lippen bewegten sich.
„Chef …“, flüsterte Lovell mit versagender Stimme, „Chef … Vorsicht.“
„Wer hat geschossen?“ wiederholte der Butler seine Frage noch einmal.
„Vorsicht“, flüsterte Lovell und war kaum noch zu verstehen, „Vorsicht, Chef … Die Handtasche … die Tasche!“
Mehr war leider nicht zu erfahren, wie Parker schnell feststellte, denn Lovell lebte schon nicht mehr. Der Butler richtete sich auf und sah sich im Raum nach einer Handtasche oder Tasche um. Was mochte Ben Lovell damit gemeint haben?
Nun, den gesuchten Gegenstand entdeckte er zwar nicht, dafür aber seitlich neben dem freistehenden Ledersessel einen deutlichen Wasserfleck auf dem Veloursteppich. Hatte der Mörder ihn zurückgelassen?
Parker ging ans Telefon und wählte noch einmal die Nummer von Larry Fielding.
Diesmal meldete der Verlobte von Helen Manners sich nicht. Auf der Gegenseite der Leitung blieb alles ruhig. Fielding meldete sich entweder absichtlich nicht, oder aber er war zu so später Stunde noch ausgegangen.
Nachdenklich legte der Butler auf. So etwas hatte er sich fast schon gedacht. Der erste Anruf schien den Verlobten von Helen Manners hochgescheucht zu haben. Trieb er sich vielleicht sogar hier in der Nähe des Hauses herum? Wo aber war Jeff Halters? Warum war er noch einmal weggegangen? Was mochte ihn aus dem Bootshaus getrieben haben?
Mike Rander befand sich im kleinen Keller des Ferienbungalows und sah nach den Gästen. Mel und Hank schliefen fest. Sie schienen sich mit ihrer Lage abgefunden zu haben.
*
Der Mann mit der Hüftverletzung und dem Dutzendgesicht war wach. Er sah den eintretenden jungen Anwalt erstaunlich gelassen an.
„Alles in Ordnung?“ erkundigte sich Rander, „was macht die Verletzung?“
„Halb so schlimm!“ erwiderte der Mann, „in ein paar Tagen bin ich wieder richtig auf dem Damm. Ihr Butler versteht sich auf so etwas!“
„Stimmt, auch darauf“, antwortete Rander lächelnd, „sagen Sie, wollen Sie mir noch immer nicht sagen, wer Sie sind und was Sie auf dem Grundstück der Manners gesucht haben?“
„Darauf antworte ich nicht!“
„Die Polizei wird hartnäckigere Fragen stellen.“
„Und ebenfalls keine Antwort bekommen!“
„Immerhin haben Sie Miss Manners in ihrem Zimmer überfallen.“
„Unsinn, von Überfall war keine Rede, ich suchte nach etwas Bargeld, das ist alles.“
„Daraufhin wird man Sie mit Sicherheit einsperren.“
„Wenn schon, das überstehe ich!“
„Sie fühlen sich in Ihrer Lage sehr sicher, wie?“
„Was habe ich schon zu befürchten, Mister Rander? Jede Einbuchterei geht mal vorüber.“
„Ich kann mir nicht helfen, ich habe das Gefühl, daß sich für Sie diese ganze Geschichte lohnen wird.“
„Darauf antworte ich nicht. Geben Sie’s doch auf, Mister Rander.
„Sie wissen, daß man Sie wegen versuchten Kidnappings anklagen kann?“
„Unsinn!“
„Miss Manners wird angedroht, man wolle sie entführen. Es sind schon eine Menge Anrufe erfolgt. Die Polizei hat sich bereits mit dieser Sache befaßt.“
„Mir kann man nichts nachweisen, Mister Rander … Wollen Sie mich ins Bockshorn jagen?“
„Kaum“, entgegnete der Anwalt lächelnd, „dazu sind Sie zu clever. Na ja, Sie müssen wissen, was Sie tun.“
„Weiß ich auch, Mister Rander, bestimmt.“
Rander wollte eine weitere Frage stellen, doch in diesem Moment hörte er oben im Haus ein Geräusch, als sei ein hölzerner Gegenstand umgestoßen worden.
Sofort schaltete Rander auf Alarm.
Er hatte blitzschnell die Schußwaffe in der Hand und horchte zur Kellertreppe hinüber. Das Geräusch wiederholte sich nicht.
„Ziemlich nervös, wie?“ Der Mann mit dem Dutzendgesicht lächelte spöttisch.
„Sie etwa nicht?“ Rander behielt die Nerven, „vielleicht ist Halters zurückgekommen. Der scheint aus irgendwelchen Gründen nicht gut auf Sie zu sprechen sein.“
Der Mann mit dem Dutzendgesicht, der um keinen Preis seinen Namen nennen wollte, lauschte zur Treppe hinüber.
„Da ist irgend jemand“, flüsterte er dann. Das spöttische Lächeln war ihm offensichtlich vergangen. Er hatte jetzt nur noch Angst.
„Ich höre nichts“, gab Rander leise zurück, doch er sicherte sich ab und baute sich seitlich neben der Tür auf. Er lauschte angestrengt, doch außer dem Toben