Der kleine Fürst Classic 41 – Adelsroman. Viola Maybach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viola Maybach
Издательство: Bookwire
Серия: Der kleine Fürst Classic
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740963330
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bisschen raus. Kommst du mit, Anna?«

      Seine Cousine warf einen Blick aus dem Fenster, sah den bewölkten Himmel, aus dem es den ganzen Tag über ständig getröpfelt hatte, und schüttelte den Kopf. »Nee, lieber nicht. Bis später, Chris.«

      »Also dann, auf geht’s, Togo!«, sagte der kleine Fürst.

      Togo jagte die breite Treppe hinunter und war natürlich zuerst unten vorm großen Eingangsportal. Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Schloss Sternberg, erschien. »Wollen Sie jetzt mit dem Hund nach draußen, Prinz Christian? Es wird mit Sicherheit gleich regnen.«

      »Dann kommen wir schnell wieder, Herr Hagedorn, aber der arme Togo hatte heute überhaupt noch keinen Auslauf, und ich habe es ihm versprochen.«

      »Wenn das so ist«, erwiderte der Butler lächelnd, »ein Versprechen muss man natürlich halten.« Er öffnete die Tür und entließ die beiden in den frischen Frühlingstag. Exakt fünf Minuten später ging ein wahrer Wolkenbruch nieder, der Prinz und sein Hund kehrten jedoch erst zurück, als der Regen wieder aufgehört hatte.

      »Wir haben uns in einem der Pferdeställe untergestellt, Herr Hagedorn«, erklärte Christian. »Sie sehen, wir sind fast gar nicht nass geworden.« Er sah den vor Nässe zitternden Togo an und lächelte verlegen. »Na ja, ein bisschen vielleicht doch.«

      »Ich übernehme Togo«, schlug Eberhard Hagedorn vor, »und Sie ziehen sich bitte um, Prinz Christian.«

      Der kleine Fürst kam nicht einmal auf die Idee zu widersprechen. Herr Hagedorn war eine Autorität im Schloss – und ausnahmslos waren seine Vorschläge klug und wohl durchdacht. Es war also auch klug, ihnen zu folgen.

      *

      Graf Leonid von Zydar spürte die Blicke, die verstohlen auf ihm ruhten, durchaus, doch er gab vor, nichts davon zu bemerken. Seit er St. Petersburg verlassen hatte und nach Deutschland übergesiedelt war, stieß er überall auf Neugierde, zugleich aber auch auf Ablehnung. Er galt als »undurchsichtig«, so hatte es erst kürzlich wieder in einer Zeitschrift gestanden. Diesen Ruf besaß er allein deshalb, weil er in der luxuriösen Villa, die er erworben hatte, ein zurückgezogenes Leben führte und nicht jedem Auskunft darüber gab, woher er kam und warum er ausgerechnet hier

      im Sternberger Land zu leben wünschte.

      Einer der wenigen Menschen, mit denen er sich angefreundet hatte, war Johannes von Thalbach. Der fünfzigjährige Bankier und er hatten zahlreiche gemeinsame Interessen – und vor allem gehörte Johannes nicht zu den Menschen, die ständig Fragen stellen. Sie konnten entspannt miteinander schweigen, während sie eine gute Flasche Wein tranken, und außerdem war Johannes häufig in Petersburg gewesen, er wusste also, was Leonid vermisste – und was er gern hinter sich gelassen hatte. Er war sofort bereit gewesen, Leonid zu dieser Auktion zu begleiten, und er war es jetzt auch, der ihm eine Hand auf den Arm legte und fragte: »Leo? Darf ich dir Sofia und Friedrich von Kant vorstellen? Sie leben auf Sternberg, und ich hörte soeben, dass ihr euch bisher nicht begegnet seid.«

      Leonid drehte sich um und sah sich zwei forschenden Augenpaaren gegenüber. Sofia von Kant lächelte ihn an. »Wir freuen uns, Sie kennenzulernen, Graf von Zydar«, sagte sie freundlich.

      Der Baron schloss sich seiner Frau an, und Leonid stellte erstaunt fest, dass er die beiden sympathisch fand. Sie blickten ihn offen an, sie schienen nicht einmal auf die Idee zu kommen, ihn sofort mit neugierigen Fragen zu bombardieren, und ihm fiel ferner auf, dass sein Freund Johannes offenbar auf gutem Fuß mit den Sternbergern stand. Nun schoben sich zwei Jugendliche in Leonids Blickfeld: ein etwa fünfzehnjähriger Junge mit schmalem, gut geschnittenem Gesicht und glatten, ziemlich langen dunklen Haaren und ein etwas jüngeres blondes, niedlich aussehendes Mädchen.

      »Dies ist unser Neffe, Prinz Christian von Sternberg«, stellte Baron Friedrich vor, »und das ist Anna, unsere Tochter.«

      »Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen«, erklärte Leonid. »Oder sollte ich besser ›Sie‹ sagen?«

      »Nicht nötig«, erklärte Christian. »Nicht, Anna?«

      Anna zögerte.

      »Wenn Sie uns mit ›Sie‹ anreden, wirken wir erwachsener«, sagte sie. »Das fände ich gar nicht so schlecht – jedenfalls hier. Außer uns sind ja überhaupt keine Jugendlichen da.«

      »Anna hat Recht«, fand Christian. »Also könnten Sie uns hier vielleicht siezen?« Großzügig setzte er nach kurzer Pause hinzu: »Woanders können Sie uns natürlich duzen.«

      »Selbstverständlich.« Leonid hatte Spaß an den beiden, weil sie so offen sagten, was sie wollten. Überhaupt schien diese Familie – Christian gehörte mittlerweile offensichtlich dazu, natürlich wusste Leonid vom tödlichen Unfall seiner Eltern – eine erfreuliche Ausnahme unter all den eingebildeten und verwöhnten Adeligen zu bilden, die er bisher kennengelernt hatte. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, setzte er hinzu.

      »Haben Sie schon das Collier gesehen?«, fragte Anna.

      Leonid wusste sofort, von welchem Collier sie sprach. »Das von Ihrer Urahnin, Christian?«, fragte er.

      Der Junge nickte.

      »Ja, es ist da hinten in einer der Vitrinen ausgestellt«, erklärte Leonid. »Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.«

      Als Anna und Christian mit dem russischen Grafen zu der betreffenden Vitrine gegangen waren, sagte Baronin Sofia erstaunt zu Johannes: »Aber er ist reizend, Jo! Wieso reden denn alle schlecht über ihn? Wenn du wüsstest, was für Gerüchte über Leonid von Zydar in Umlauf sind …«

      »Oh, das weiß ich ziemlich genau, Sofia«, entgegnete Johannes von Thalbach. »Und was viel schlimmer ist: Er weiß es auch. Alles Unsinn, das darfst du mir glauben.«

      Sie folgten den anderen langsam, denn natürlich wollten auch Sofia und Friedrich das Collier genau in Augenschein nehmen. Als sie sich der Vitrine näherten, hörten sie den jungen russischen Grafen sagen: »Es ist ein außergewöhnlich schönes Collier, es hätte mich interessiert, wer es verkauft, aber leider bekommt man darüber keine Auskunft. An seiner Echtheit kann jedenfalls kein Zweifel bestehen. Wissen Sie, warum es seinerzeit verkauft worden ist?«

      »Nein, wir haben in unserem Familienarchiv nach Hinweisen gesucht, aber nichts gefunden«, erklärte Christian. »Hoffentlich können wir es zurückholen. Wir haben ein Bild auf Sternberg, da trägt Fürstin Josefine dieses Collier. Ich konnte es bis eben noch nicht richtig glauben, aber es ist genau das hier.« Er wies auf die Vitrine und das in ihr ausgestellte Schmuckstück.

      In einer Ecke des Saales wurden Bilder ausgepackt und aufgehängt, die ebenfalls zur Versteigerung vorgesehen waren.

      »Meine Güte, noch mehr Sachen«, murmelte die Baronin. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass das so eine große Auktion wird.«

      »Sie entschuldigen mich?«, bat Leonid. »Ich interessiere mich für die Bilder und würde sie mir gerne ansehen.«

      »Ich komme nach, Leo«, sagte Johannes.

      Der junge Graf nickte und schlenderte davon, die Zurückgebliebenen wandten sich wieder dem Collier zu. »Eins muss euch aber klar sein«, sagte der Baron nach einer Weile, »wenn der Preis allzu sehr in die Höhe getrieben wird, müssen wir aussteigen.«

      »Ich glaube, wir kriegen es, Onkel Fritz«, sagte der kleine Fürst. »Das habe ich im Gefühl.«

      Baron Friedrich lachte und legte seinem Neffen einen Arm um die Schultern. »Dann wollen wir hoffen, dass dein Gefühl dich nicht täuscht, Chris. Und jetzt, schlage ich vor, stärken wir uns, bevor die Schlacht beginnt. Was haltet ihr davon?«

      Niemand erhob Einspruch, und so suchten sie ein Lokal in der Nähe auf, denn bis zum Beginn der Auktion blieben ihnen noch fast zwei Stunden Zeit.

      *

      Clara sah das Porträt einer Frau in den Dreißigern – und hielt den Atem an. Sicherlich, die Frisur war eine andere, die Haare waren noch pechschwarz, ohne graue Strähnen, aber die Frau auf dem Bild ähnelte Irina Mahler so sehr, dass sie den Blick