Der neue Dr. Laurin 20 – Arztroman. Viola Maybach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viola Maybach
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Dr. Laurin
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740963064
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Augenblick kam Alissa herein und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er konnte gar nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern, und so kam Alissa direkt auf ihn zu. »Ich habe gesehen, dass du heute mit dem Auto zur Schule gekommen bist«, sagte sie. »Meine Eltern würden mir das nie erlauben, die haben viel zu viel Angst, dass ich einen Unfall baue.«

      »Diese Angst haben meine auch, aber ich will nachher zu einem Freund rausfahren, das ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln viel zu umständlich.«

      Er konnte förmlich spüren, wie ihn Selina mit Blicken aufspießte, aber er drehte sich nicht zu ihr um und bemühte sich auch nicht, das Gespräch mit Alissa abzukürzen.

      Selbst schuld, dachte er, und dann kam Herr Fausing herein, und der Unterricht begann.

      *

      »Wie war‘s?«, erkundigte sich Dr. Leon Laurin, als er morgens die Kayser-Klinik betrat und zuerst auf den Notaufnahmechef Dr. Timo Felsenstein traf, der dafür, dass er Nachtdienst gehabt hatte, erstaunlich frisch und munter aussah.

      »Ruhig, stell dir vor«, erwiderte Timo. »Ich würde beinahe sagen, dass ich ausgeruht bin. Ich habe mindestens drei Stunden schlafen können, die anderen auch. Ein paar harmlose Unfälle, eine jugendliche Komatrinkerin, die wir aber ziemlich schnell wieder hingekriegt haben, und ein Herzinfarkt. Keine Notoperationen, keine dramatischen Unfälle.«

      »Freut mich für euch«, sagte Leon. »Dann sieh mal zu, dass du nach Hause kommst.«

      Timo nickte. »Müde ich natürlich trotz der drei Stunden Schlaf, man rechnet ja immer damit, dass man gleich wieder aufstehen muss und schläft deshalb nicht so ruhig. Und du hast jetzt deine gynäkologische Sprechstunde?«

      Leon warf einen Blick auf die Uhr. »Ja, sie fängt in einer Viertelstunde an.«

      Er hatte zwei Facharztausbildungen gemacht, weil er sich nicht hatte entscheiden wollen, und so war er nicht nur Gynäkologe geworden, sondern auch Chirurg, und er legte Wert darauf, auf beiden Gebieten auch weiterhin tätig zu sein. Dass er außerdem noch die Klinik leitete, war nur möglich, weil er gelernt hatte, Aufgaben abzugeben und, wann immer möglich, im Team zu arbeiten. Das funktionierte bestens, auch weil in der Kayser-Klinik ausschließlich Menschen arbeiteten, die so dachten wie er, wenn es darum ging, wie Patientinnen und Patienten zu behandeln waren – und diese Vorstellungen betrafen nicht nur die ärztliche Versorgung, sondern auch Zuwendung und Fürsorge für die ihnen allen anvertrauten kranken Menschen.

      »Dann trink noch einen Kaffee mit mir«, schlug Timo vor.

      Leon willigte ein. Timo war ein Glücksgriff als Notaufnahmechef. Leon hatte lange nach jemandem gesucht, der die Station leiten könnte und war schon der Verzweiflung nahe gewesen, als sich Timo bei ihnen beworben hatte. Er war dann notgedrungen gleich ins kalte Wasser gesprungen, an einem Tag, an dem es in der Notaufnahme drunter und drüber gegangen war. Das war seine Bewährungsprobe gewesen, die er glänzend bestanden hatte. Noch keine Sekunde lang hatte Leon es bereut, Timo danach umgehend eingestellt zu haben.

      Nach dem Kaffee eilte Leon in sein Büro, wo ihm seine Sekretärin Moni Hillenberg den Terminplan für die Sprechstunde vorlegte. Gleich den ersten Namen auf dem Plan kannte er nicht.

      »Amelie Düringer«, las er, »Rettungssanitäterin.«

      »Frau Düringer ist eine neue Patientin, sie ist erst vor kurzem nach München gezogen. Sie sitzt bereits im Wartezimmer, Chef.«

      Leon nickte, nahm den Plan und begab sich in sein Sprechzimmer, das direkt neben dem Büro lag. Von dort aus bat er seine erste Patientin herein.

      Eher unauffällig, dachte er, aber hübsch. Still, abwartend, ein bisschen schüchtern. Auf Rettungssanitäterin hätte er eher nicht getippt bei ihrem Anblick. Buchhändlerin, dachte er, hätte besser zu ihr gepasst.

      Sie kam zur Vorsorge, erklärte sie ihm. Er stellte ihr noch ein paar Fragen, machte sich Notizen und untersuchte sie dann. Als er sich den Abstrich ansah, runzelte er die Stirn.

      »Sie haben eine kleine Entzündung in der Scheide, Frau Düringer«, sagte er. »Bakterien, nichts Schlimmes, aber ich würde das gern noch einmal von einem Zytologen untersuchen lassen. Es kann sein, dass wir gar nichts unternehmen müssen, oft verschwinden solche Entzündungen von selbst wieder.«

      »Kann das auch was Schlimmes sein?«, fragte sie beunruhigt.

      »Das ist sehr unwahrscheinlich.« Noch einmal blickte Leon durch sein Mikroskop. »Nein, ich glaube nicht. Aber ich vergewissere mich lieber, dass die Kollegen das auch so sehen wie ich. Rufen Sie in ein paar Tagen noch einmal an, dann haben wir die Ergebnisse vorliegen. Vielleicht müssen Sie dann ein Medikament einnehmen.«

      Sie nickte, aber er sah, dass sie noch immer beunruhigt war, und so redete er noch ein paar Minuten mit ihr, bis er merkte, dass sich ihre Anspannung löste.

      Als sie gegangen war, bat er Moni Hillenberg, den Abstrich ins Labor zu schicken und es dringend zu machen. Er wollte die zarte Frau Düringer so schnell wie möglich von ihrer Angst befreien.

      Schon zwei Stunden später war es so weit. Er rief seine Patientin persönlich an, um ihr zu sagen, dass die Laborergebnisse nichts Beunruhigendes ergeben hatten – und er konnte direkt hören, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel.

      *

      Antonia Laurin und ihre Kollegin Maxi Böhler genehmigten sich mit ihrer Praxisorganisatorin Carolin Suder den ersten Kaffee des Tages, als die Tür geöffnet wurde und ein Mädchen hereinkam, das ebenso gut dreizehn wie siebzehn Jahre hätte sein können.

      Ein Mann begleitete sie. »Ich bin Taxifahrer«, erklärte er, »in der Schule hatte niemand Zeit, die Kleine hierher zu begleiten. Sie ist im Turnunterricht vom Barren gestürzt und hat sich wahrscheinlich den Arm gebrochen. Wenn Sie mir bitte bestätigen würden, dass ich sie ordnungsgemäß hier abgeliefert habe?«

      »Ich bin doch kein Paket!« sagte das Mädchen empört. »Wie das klingt: abgeliefert! Und klein bin ich auch nicht! Ich hätte auch allein zum Arzt gehen können. Und überhaupt: Das hier ist eine Kinderarztpraxis, aber ich bin schon dreizehn!«

      Während Carolin dem Taxifahrer die gewünschte Bestätigung ausstellte, hatten sich Antonia und Maxi kurz darüber verständigt, wer das Mädchen behandeln sollte. Da Maxis nächste Patientin bereits im Wartezimmer saß, übernahm Antonia den Fall.

      »Dann komm bitte zu mir ins Sprechzimmer«, sagte sie freundlich. »Ich bin Dr. Laurin. Und wie heißt du?«

      »Mara.« Das Mädchen war noch immer unwillig. »Mara Strasser.«

      »Alles Gute für dich«, sagte der Taxifahrer, der sich zum Gehen wandte. »Und entschuldige, dass ich ‚Kleine‘ zu dir gesagt habe, kommt nicht wieder vor.«

      Mara rang sich zu einer Erwiderung durch. »Danke, dass Sie mich gefahren haben«, sagte sie.

      »Oh, das ist mein Job.« Er nickte noch einmal in die Runde, dann verschwand er.

      »Erzähl mir mal, wie das passiert ist«, bat Antonia, nachdem sie Maras Arm vorsichtig untersucht hatte. Sie sah, dass das Mädchen starke Schmerzen hatte, denn Mara unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei.

      »Wir sollten so ‘ne blöde Übung am Barren machen, also, nur die, die gut sind am Barren, die meisten wissen überhaupt nicht, wie das geht.«

      »Du aber schon.«

      Mara nickte. »Ich bin in jedem Fach gut«, sagte sie. Es klang ganz ruhig und selbstbewusst, nicht angeberisch. »Aber im Sportunterricht muss ich mich ziemlich anstrengen, weil mir das nicht so liegt. Ich bin mehr so der Bücher- und Computertyp, Bewegung ist eigentlich nicht mein Ding. Aber ich will ja auch nicht fett werden oder krank, deshalb mache ich das trotzdem.«

      Antonia fand das Mädchen erstaunlich. Mara klang viel älter als sie war, nichts an ihr wirkte kindlich. Dabei schminkte sie sich nicht wie viele andere ihres Alters es bereits taten, und sie trug auch keine Kleidung, die sie erwachsener aussehen ließ. Aber allein die Art, wie sie sprach …

      »Und was ist dann passiert