Der Landdoktor Classic 35 – Arztroman. Christine von Bergen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine von Bergen
Издательство: Bookwire
Серия: Der Landdoktor Classic
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740962838
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ebenmäßig geschnittenen Gesicht zeigte sich ein Strahlen, als sie Matthias und seine Helferin entdeckte. Auf ein einladendes Zeichen des Landarztes hin kam sie leichtfüßig auf die vier zu.

      »Hallo, Michaela«, begrüßte Matthias die zierliche Dunkelhaarige mit den sanftmütig blickenden Augen. »Das ist ja eine Überraschung.« Er reichte der jungen Frau die Hand und sagte dann zu Elisabeth: »Ihr kennt euch bestimmt durch Monika, oder?«

      »Nur flüchtig«, erwiderte Elisabeth. Sie lächelte Michaela Lehmann an. »Ich hätte Sie nicht mehr erkannt nach all den Jahren. Ihre Schwester dagegen sehe ich ja oft im Dorf.«

      Michaela war die jüngere Schwester von Monika Hauser, der Nachtschwester aus der Miniklinik.

      »Ich war auch lange weg«, erwiderte Michaela leise. Sichtlich verlegen blickte sie in die Runde. »Ich möchte auch nicht stören. Ich wollte mich nur in Erinnerung bringen und mich als frisch examinierte Hebamme hier in Ruhweiler bei Ihnen vorstellen«, sagte sie an den Landarzt gewandt. Ihr Lächeln ließ an diesen Sommermorgen die Sonne gleich noch einmal aufgehen. »Hebamme und Arzt arbeiten ja eng zusammen. Und da dachte ich …«

      »Keine Sorge, ich habe dich noch in bester Erinnerung«, unterbrach Matthias sie in seiner charmanten Art. »Als ich von deiner Schwester erfuhr, dass du dich für diesen Beruf entschieden hast, war ich begeistert. Eine Hebamme hat im Ruhweiler Tal schon lange gefehlt. Manchmal wird die Zeit für die werdenden Mütter knapp, und der Weg bis zum nächsten Krankenhaus mit Geburtsabteilung ist zu weit«, sagte er an Elisabeth gewandt.

      »Außerdem entschließen sich immer mehr Frauen zur Hausgeburt«, fügte Michaela mit weich klingender Stimme hinzu, die allein schon den Zuhörer entspannte.

      »Hebamme?«, flüsterte Patricia ihrer Großmutter zu. »Was ist das?«

      Michaela hatte die Frage der Kleinen gehört. Wieder erschien dieses herzliche Lächeln auf ihrem Gesicht, bevor sie antwortete: »Eine Hebamme hilft den Frauen, ihre Babys zur Welt zu bringen.«

      In den Kinderaugen stand Unverständnis, und auf Michaelas Gesicht konnten alle ablesen, dass sie nach einer kindgerechten Erklärung suchte. Schließlich fragte sie Patricia: »Hast du schon einmal gesehen, wie ein Kälbchen geboren wird?«

      Mit ernster Miene schüttelte das Mädchen den Kopf. Dabei hing ihr neugieriger Blick am Mund der jungen Frau.

      »Würdest du das gern einmal sehen?«

      Patricia nickte eifrig.

      »Wenn deine Eltern es erlauben, kannst du mich in den nächsten Tagen besuchen«, fuhr sie fort. »Ich wohne im Nachbarort auf einem Bauernhof. Elsa, eine der Kühe, wird bald ein Kälbchen bekommen.«

      »Helfen Sie ihr dabei?«, fragte Patricia mit runden Augen.

      Die junge Frau lachte. »Nein, das wird der Tierarzt machen oder der Bauer. Die können das besser als ich. Ich habe nur gelernt, Babys auf die Welt zu bringen und sie in den ersten Minuten ihres Lebens zu versorgen, weil ihre Mütter dann meistens noch zu schwach sind von der anstrengenden Arbeit.«

      Patricia zupfte an dem Jackenärmel ihrer Großmutter. »Omi, darf ich bei der Geburt des Kälbchens zuschauen?«

      »Ich weiß nicht«, erwiderte Elisabeth sichtlich unsicher.

      »Das ist okay«, sagte Michaela lächelnd zu ihr. »Mein Onkel hat bestimmt nichts dagegen. Wenn es so weit ist und zeitlich passt, rufe ich Sie gern an. Wenn Sie wollen …«

      »Bitte, Omi, sag ja«, bettelte Patricia.

      »Wir werden sehen, Schatz«, machte ihre Großmutter diesem Thema nun ein Ende und verabschiedete sich schnell. »Vielen Dank, Herr Doktor, und auch dir, Gertrud. Wir sehen uns.« Dann wandte sie sich an Michaela und meinte mit aufmunterndem Blinzeln: »Vielleicht sehen wir uns ja auch bald wieder. Ich habe auch noch nie bei der Geburt eines Kälbchens zugesehen.«

      »Rufen Sie auch bestimmt an?«, fragte Patricia die junge Frau besorgt.

      »Ganz großes Indianerehrenwort«, erwiderte Michaela mit fester Stimme.

      *

      Als Michaela vom Patientenparkplatz der Landarztpraxis fuhr, war sie voller neuer Eindrücke. Der herzliche Empfang Dr. Brunners hatte ihr gut getan. Der Arzt hatte sich nicht verändert. Er besaß immer noch diese menschliche Wärme und auch den Charme, der ihn alle Menschen gewinnen ließ. Sie freute sich schon auf die Zusammenarbeit mit ihm, zu der es bestimmt in Zukunft kommen würde.

      Während sie den Wiesenweg hinauf fuhr, der vom Praxishügel auf die Landstraße führte, sah sie wieder das Gesicht Patricias vor ihrem inneren Auge. Die Begegnung mit dem Mädchen hatte sie innerlich berührt. Sie kannte sein Schicksal durch ihre Schwester, die früher mit Patricias Mutter bekannt gewesen war. Nach dem Tod seiner Mutter wuchs es bei seiner Großmutter auf. Philip Bach kümmerte sich kaum um seine Tochter. Patricia besaß nur noch die Liebe ihrer Großmutter. Aus diesem Mitleidsgefühl heraus hatte sie auch die Einladung zur Geburt des Kälbchens ausgesprochen. Sie wusste von den Kindern ihrer Freundinnen, wie sehr diese sich für Tierbabys begeisterten.

      Während Michaela all diese Gedanken durch den Kopf gingen, fuhr sie zurück ins Nachbardorf von Ruhweiler, wo sie nach ihrer Rückkehr auf dem Bauernhof ihres Onkels eine schöne Wohnung bezogen hatte. Seit drei Tagen war sie zurück in ihrer Heimat, die ihr in den vergangenen Jahren der Ausbildung so sehr gefehlt hatte. Natürlich hatte sie in dieser Zeit ihre Eltern und ihre Schwester besucht, aber das war nicht das Gleiche gewesen wie hier wieder zu leben. Sie war kein Stadtmensch, das hatte sie erkannt. Zum Glücklichsein brauchte sie den Anblick der blaugrünen Wälder, die die Schwarzwaldhügel überzogen, den der sattgrünen Wiesen, der braunweißen Kühe, der alten Schwarzwaldhöfe mit ihren tief gezogenen Schindeldächern, von denen jeder seine eigene Geschichte hatte, die klare frische Luft, deren Duft nach Harz und Erde, den Sonnenglanz und die Lebensfreude der Bewohner hier im Tal. Hier wollte sie leben und arbeiten, in Harmonie und Einklang mit der Natur. Sie wollte die Frauen ermuntern, ihre Kinder in den eigenen vier Wänden zu bekommen statt in sterilen Kreisssälen. Diese Vision bestimmte ihre Arbeit.

      In langsamem Tempo fuhr Michaela über die Landstraße, erfüllt von großer Ruhe und Dankbarkeit dafür, dass das Schicksal es so gut mit ihr meinte. Nun gut, manchmal fehlte ihr etwas. Die Liebe. Die Liebe eines Mannes und die für einen Mann. Gab es etwas Schöneres als zu lieben? Dieses Gefühl, das einen von innen wärmt, das einen dem Himmel so nah bringt. Gab es dieses Gefühl überhaupt im wirklichen Leben? Sie hatte bisher nur in Romanen davon gelesen.

      Michaela blinzelte. Sie fuhr gerade durch ein Waldstück, in das die Sonne ihre goldenen Strahlen schickte und bizarre Muster auf den Asphalt malte. Als sie am anderen Ende wieder heraus kam, sah sie zu ihrer Rechten einen kleinen Weiher in den Wiesen liegen, versteckt hinter einer Gruppe filigraner Birken. Sie kannte den kleinen See, in dem sie früher oft mit ihrer Schwester und ihren Freundinnen geschwommen war. Einem unwiderstehlichen Drang folgend bog sie in den unbefestigten Weg ein, parkte vor der Baumgruppe und stieg aus.

      Für ein paar Augenblicke sog sie die vom Duft der Gräser und Wiesenblumen erfüllte samtweiche Luft tief ein. Insekten summten um ihre nackten Beine herum auf der Suche nach Nektar. Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel, der sich in einem tiefen Blau über ihr spannte. Zirruswolken zogen ihre Strähnen nach Süden. Über der Senke lag eine brütende Hitze. Die Luft stand still, als würde sie auf etwas warten. Da entdeckte sie den Mann. Im Delfinschwimmstil durchschnitt er den See. Auf seinem gebräunten Oberkörper perlte das Wasser, wenn dieser bei seinen rhythmischen Stößen immer wieder an der Oberfläche sichtbar wurde.

      Wie gebannt blieb sie stehen. Sie konnte den Blick nicht von dem sportlichen Schwimmer losreißen. Jetzt hatte er das Ufer erreicht, richtete sich auf und strich sich mit beiden Händen das Wasser aus den blonden Locken. Er schien sich völlig unbeobachtet zu fühlen, allein mit sich und der idyllischen Umgebung. Unbehagen bemächtigte sich ihrer. Sie kam sich vor wie eine Spannerin. In dem Moment, als sie sich umdrehen und den Rückzug antreten wollte, entdeckte er sie. Über das schimmernde Wasser hinweg fanden sich ihre Blicke. Sie konnte seine Augenfarbe nicht erkennen, aber sie war sich sicher, dass sie blau waren.