Der neue Sonnenwinkel 70 – Familienroman. Michaela Dornberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michaela Dornberg
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Sonnenwinkel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740960827
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das tagsüber immer geöffnet war, zu, ein vertraut wirkendes, nicht mehr ganz junges Liebespaar.

      Werner und in die Kirche gehen – unfassbar! Das bedeutete nicht, dass er kein gläubiger Mensch war. Nein, das war es nicht, aber er konnte mit den Ritualen nichts anfangen. Klar war er immer mit in der Kirche gewesen bei den Taufen der Kinder, später auch der Enkelkinder. Und Weihnachten war er auch mit dabei. Er war halt einer von den lauen Christen, von denen es viele gab.

      Sie betraten die Kirche, die nicht nur außen, sondern auch im Inneren schön war. Natürlich nicht wie beispielsweise der Kölner Dom, der richtig spektakulär war. Aber hier war Hohenborn und nicht die Millionenstadt Köln.

      Hier und da saßen Menschen, verharrten in Stille, jemand zündete eine Kerze an, von denen bereits einige brannten. Das war etwas, was Inge auch sehr gern machte, aber in Gegenwart von Werner? Wohl lieber nicht!

      Sie setzten sich nebeneinander auf eine der braunen altersdunk­len Holzbänke, Hand in Hand. Sie saßen ganz still, und Inge wünschte sich von ganzem Herzen, dass auch in Werner dieses Gefühl von Glück und Frieden auftauchen würde.

      Inge hatte es ja zuerst nicht verstanden, doch jetzt war sie Werner dankbar, dass er darauf bestanden hatte, mit ihr in die Kirche zu gehen, die Stille zu genießen. Sie rückte ein wenig näher an ihn heran, er ließ ihre Hand los, stattdessen umfasste er liebevoll ihre Schulter, und sie lehnte sich überwältigt an ihn. So saßen sie still da. Sie mussten nicht miteinander reden, nur fühlen. Es war ein unsichtbares Band, durch das sie miteinander verbunden waren.

      Für das, was in ihr war, gab es keine Steigerung. Durch die reich verzierten Buntglasfenster drangen Sonnenstrahlen in die Kirche, warfen bizarre Schatten und buntes Licht herein.

      Menschen kamen und gingen, sie saßen einfach nur da, und irgendwann gab es nur noch sie und Werner. Und dann begann jemand auf der Orgel zu spielen, Johann Sebastian Bach, den sie beide verehrten. Besser ging es wirklich nicht.

      Inge war gerührt, am liebsten hätte sie jetzt angefangen zu weinen, doch wegen Werner tat sie es nicht. Was sollte er denn von ihr denken, wenn sie ohne Grund in der Kirche die Tränen fließen ließ?

      Sie hatte das noch nicht einmal zu Ende gedacht, als ihr bewusst wurde, dass sie wieder in alte Verhaltensmuster fiel. Sie konnte nicht erwarten, dass Werner etwas veränderte. Sie musste es ebenfalls tun und durfte nicht mehr alles unter den Teppich kehren, den Kopf in den Sand stecken oder aussitzen.

      Sie wurde ein wenig unruhig, Werner nahm seinen Arm von ihrer Schulter. »Geh ruhig deine Kerze anzünden, Inge, das tust du doch immer, wenn du hier bist. Ich bleibe derweil noch hier sitzen, genieße die Orgelmusik, und ich glaube, es ist auch an der Zeit für ein kleines Dankesgebet, dafür, dass ich die Wahrheit endlich sehe, wie sie ist und nicht, wie ich sie haben will. Inge, ehe du gehst …, ich liebe dich.«

      Ihr Blick sprach Bände, sie konnte jetzt einfach nichts sagen, weil sie so überwältigt war. Sie stolperte zu dem Eisengestell, auf dem man seine Kerze anzünden konnte. Nein, eine Kerze reichte nicht, sie kaufte zwei, und dann schickte sie ein kurzes Dankesgebet zum Himmel, das konnte nicht schaden. Sie fand erst wieder in die Gegenwart zurück, als eine alte Dame sich neben sie stellte, um ebenfalls eine Kerze anzuzünden. Sie nickte der Frau freundlich zu, dann trat sie beiseite, warf einen letzten Blick auf ihre beiden Kerzen. Und wenn sich nur ein einziger Wunsch erfüllte von denen, die sie sich beim Anzünden ihrer beiden Kerzen gewünscht hatte, dann würde sie dem Himmel auf ewig dankbar sein.

      Sie ging zu der Kirchenbank zurück, auf der Werner saß, in sich versunken. Oder betete er gar? Unschlüssig blieb sie stehen, er hatte sie wahrgenommen, erhob sich, schenkte ihr ein Lächeln, dann nahm er sie bei der Hand, und so verließen sie die Kirche.

      Draußen zog er sie ganz eng an sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Danke für alles, danke dafür, dass du es so lange mit mir ausgehalten hast, danke, dass du es weiterhin tun willst.«

      Dann ließ er sie los und hatte es eilig, zum Auto zu kommen. Fast wirkte er ein bisschen verlegen. Doch war das verwunderlich? Sie hatten es verlernt, sich Liebesworte ins Ohr zu flüstern, sich einfach mal eben so zu umarmen, zu streicheln, sich bei der Hand zu nehmen.

      Es lag ein weiter Weg vor ihnen, doch jetzt war Inge sich plötzlich sicher, dass sie es schaffen würden, denn mit Werner war etwas geschehen. Und was immer es auch war, sie war unendlich dankbar dafür.

      Sie hatte ihm auf seinen Wunsch hin sein Handy mitgebracht, und wie konnte es auch anders sein. Es klingelte. Sie konnten nur froh sein, dass das nicht schon in der Kirche so gewesen war. Aber sie konnte nicht ausschließen, dass Werner es dort drinnen ausgeschaltet hatte. Handyklingeln in einer Kirche, das ging überhaupt nicht.

      Eben war alles noch so friedlich gewesen, so unglaublich schön. Doch Inges Herz begann stürmisch zu klopfen, als sie mitbekam, wer der Anrufer war. Einer von Werners Kollegen, mit denen er noch einmal so richtig durchstarten wollte.

      Hatte der Alltag sie wieder eingeholt?

      Begann das Spiel von vorne?

      Am liebsten hätte Inge Werner jetzt das Handy aus der Hand gerissen, es irgendwo hingeschmissen. Leider ging das nicht, aber zuhören konnte sie. Der Anrufer war ein Howard, von dem Werner besonders angetan war.

      Leider wusste sie ja nicht, was dieser Howard sagte, aber sie konnte sich auch so etwas zusammenreimen.

      »Du konntest mich ein paar Tage nicht erreichen, Howard, weil ich verreist war und dummerweise mein Handy daheim gelassen hatte.«

      Verreist! Von wegen! Warum erzählte Werner seinem Kumpel nicht die Wahrheit? Schon wollte sie etwas dazwischenrufen, als Werner wieder zuhörte, dann mit dem Kopf schüttelte, obwohl dieser Howard das doch überhaupt nicht sehen konnte, und dann sagte er etwas, was Inge kaum fassen konnte. Was für ein Glück, dass sie zuvor keine Bemerkung gemacht hatte.

      »Howard, es klingt wirklich alles sehr vielversprechend, doch ich steige aus. Ihr müsst ohne mich weitermachen, und ich wünsche euch von Herzen ein gutes Gelingen.«

      Wieder sagte Howard etwas, wahrscheinlich wollte er Werner umstimmen. Doch der sagte: »Weißt du, Howard, es gibt Augenblicke im Leben, da wird einem bewusst, was wirklich zählt. Ich werde nur noch Bücher schreiben, weil ich schließlich noch eine ganze Menge zu sagen habe. Ansonsten werde ich das Leben mit meiner geliebten Frau genießen. Der gegenüber habe ich nämlich ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil ich mich in all den Jahren zu wenig um sie gekümmert habe. Mein Lieber, denk einfach mal darüber nach, ob du nicht auch etwas gutzumachen hast. Jedes Leben ist endlich. Und ich finde, es ist ein ganz gruseliger Gedanke, sich vorzustellen, dass man am Ende seines Lebens all den verpassten Möglichkeiten nachweint. Noch haben wir die Chance, es zu richten. Es lässt sich so viel Schönes erleben miteinander, und darauf freue ich mich, darauf bin ich neugierig.«

      Howard schien heftig zu widersprechen. Klar, er und die anderen Wissenschaftler wollten Werner in ihrer Runde haben, denn er war das Zugpferd.

      Inge hörte gespannt zu, und eigentlich glaubte sie, wie es ausgehen würde …, wie immer. Werners guter Wille würde schwinden. Er würde vergessen, was er versprochen hatte.

      Doch Inge irrte sich, und das ließ sie beinahe den Boden unter den Füßen verlieren. Damit hätte sie niemals gerechnet!

      »Nein, Howard, du kannst mich mit nichts umstimmen. Meine Entscheidung steht fest. Und ich will auch nicht beteiligt werden, und ja, meine Unterlagen dürft ihr gern behalten. Aber bitte, lass uns über das alles nicht jetzt sprechen. Ich stehe nämlich auf der Straße, in der Nähe einer Kirche, deren Glocken jeden Augenblick anfangen können zu läuten. Und dann versteh ich überhaupt nichts mehr. Doch das bedeutet nicht, dass du, dass ihr, euch irgendwelche Hoffnungen machen dürft. Nichts kann mich umstimmen.«

      Howard sagte etwas, Werner hörte zu, dann machte er eine Handbewegung, die sein Gesprächspartner natürlich nicht sehen konnte.

      »Nein, Howard, ich habe gewiss nichts getrunken, und mein Verstand war noch nie so klar wie jetzt. Wir telefonieren demnächst wieder.«

      Damit beendete er das Telefonat,