Es war ein häufiger Brauch dazumal, daß solche, die Neigung zum Mönchsleben verspürten und die sich, wie der heilige Benedikt sagt,40 stark genug fühlten, den Kampf mit dem Teufel ohne Beihilfe frommer Genossenschaft auf eigene Faust zu bestehen, sich in solch einen Gaden einmauern ließen. Man hieß sie Reclausi, Eingeschlossene, Klausner, und war ihre Nutzbarkeit und Lebensabsicht der der Säulenheiligen in Ägyptenland zu vergleichen; scharfer Winterswind und Schneefall machten freilich diesseits der Alpen die Absperrung in frischer Luft unmöglich, das Anachoretengelüst war nicht minder stark.41
Wer hat ein härteres Los als Hartker, der Klausner, getragen, Der in beengender Haft sich dreißig Jahre kasteite? Immerdar stand er gebückt, so niedrig war die Bedachung, Kissen des Kopfs war ein Stein. Auf diesem schlief und entschlief er, Und in Kreuzesgestalt die gemagerten Arme entbreitend Wandt' er zum Himmel den Blick und befahl dem Herrn seine Seele. Siehe J. v. Arx, Geschichte usw. I. 232. |
In den vier engen Wänden hier auf dem Irenhügel hauste nun die Schwester Wiborad,42 eine vielgepriesene Klausnerin ihrer Zeit.
Sie stammte aus Klingnau im Aargau und war eine stolze, spröde Jungfrau gewesen, in mancher Kunst bewandert, und hatte von ihrem Bruder Hitto alle Psalmen lateinisch beten gelernt und war ehedem nicht abgeneigt, einem Mann sein Leben zu versüßen, wenn sie den Rechten finden mochte, aber die Blüte aargauischer Landeskraft fand keine Gnade vor ihren Augen, und sie tat eine Wallfahrt gen Rom. Und dort muß ihr unstet Gemüt durchschüttert worden sein, keiner der Zeitgenossen hat erfahren wie; – drei Tage lang rannte ihr Bruder Hitto das Forum auf und nieder, und durch die Hallen des Kolosseums und unter Konstantins Triumphbogen durch bis zum vierstirnigen Janus an der Tiber unten, und suchte seine Schwester und fand sie nicht; am Morgen des vierten Tags kam sie zum salarischen Tor herein und trug ihr Haupt hoch und ihre Augen leuchtend und sprach, es sei alles nichts auf der Welt, solang nicht dem heiligen Martinus die Ehre erwiesen werde, die seinem Verdienst gebühre.
Wie sie aber zurückkehrte in die Heimat, verschrieb sie ihr Hab und Gut der Bischofskirche zu Konstanz mit dem Bedingnis, daß die geistlichen Herren jeweils am eilften jedes Herbstmonats dem heiligen Martin ein besonder Fest halten sollten; sie selber trat in ein eng Häuslein, wo die Klausnerin Zilia sich seßhaft gemacht, und führte ein klösterlich Leben. Und wie es ihr dort nimmer zuträglich war, verzog sie sich ins Tal des heiligen Gallus; der Bischof selbst gab ihr das Geleit und tat ihr den schwarzen Schleier um und führte sie an der Hand in die Zelle am Irenhügel und sprach den Segen darüber; mit der Mauerkelle tat er den ersten Schlag auf die Steine, mit denen der Eingang vermauert ward, und drückte viermal sein Sigill auf das Blei, damit sie die Fugen löteten, und schied sie von der Welt, und die Mönche sangen dazu, als würd' einer begraben, dumpf und traurig.
Die Leute ringsum aber hielten die Klausnerin hoch in Ehren; sie sei eine hartgeschmiedete Meisterin,43 sagten sie, und an manchem Sonntag stund Haupt an Haupt auf dem Wiesenplan, und Wiborad stund an ihrem Fensterlein und predigte ihnen, und andere Frauen siedelten sich in die Nähe und suchten bei ihr Anleitung zur Tugend.
Wir sind an Ort und Stelle, sprach Romeias. Da blickte Praxedis mit ihren Begleiterinnen um. Kein menschlich Wesen war zu erschauen; verspätete Schmetterlinge und Käfer summten im Sonnenschein, und die Grille zirpte flügelwetzend im Gras. An Wiborads Zelle war der Fensterladen angelehnt, so daß nur ein schmaler Streif Sonnenlicht hineinfallen konnte. Dumpfes, langsam und halb durch die Nase gesungenes Psalmodieren tönte durch die Einsamkeit.
Romeias klopfte mit seinem Jagdspieß an den Fensterladen, der blieb, wie er war, angelehnt; das Psalmodieren tönte fort. Da sprach der Wächter: Wir müssen sie anderweitig herausklopfen!
Romeias war ein Mann von ungeschliffener Lebensart, sonst hätte er nicht getan, was er jetzt tat.
1 .. wil er zu nacht aber da buliben, so soll ieklich schupposse, die in den hof hoeret, geben ein hun usw. Grimm, Weistümer I. 1.
2 .. canem seucem, quem »leithihunt« vocant... seucem, qui in ligamine vestigium tenet, quem »spurihunt« dicunt... Canem, quem »bibarhunt« vocant, qui sub terra venatur. lex Baiuvarior. tit. 19 de canibus. Siehe auch lex Alamannor. tit. 82 de canibus.
5 Siehe vita S. Galli bei Pertz Monum. II. 9.
6 Regula S. Benedicti, cap. 1.
7 In rauhen Zeiten sucht der Mensch seinem Gott auch in rauher Form zu dienen. Das Klausnertum sagte damals weltabgewandten Gemütern zu, und Beispiele von solchen, die über zwanzig und dreißig Jahre lang solch eine freiwillig auferlegte Einzelhaft trugen, beweisen, daß das physische Leben durch einen starken, vom Glauben, etwas Verdienstliches zu tun, beseelten Willen lang gefristet werden kann. In der Handschrift der sanktgallischen annales maiores ist ein Abbild des Priesters Hartker enthalten, eine unterwürfige, krummgebeugte, demütig kasteite Gestalt in faltigem Mönchsgewand mit großer Tonsur und der Überschrift: Hatkerus reclusus. Siehe Pertz Monum. I. 72. Diesem ist im liber benedictionum folgender Nachruf gewidmet:
8 Wiborad ist ein altdeutscher Name und bedeutet »Rat der Weiber«. – Zwei Mönche des Klosters Sankt Gallen, Hartmann und Hepidan, haben die Lebensgeschichte dieser durch ihren tragischen Ausgang bedeutend gewordenen Klausnerin verfaßt. Sie sind in die acta Sanctor. der Bollandisten (Monat Mai, Bd. I. 284 u. ff.) aufgenommen. Siehe auch Pertz Monum. VI. 452.
Er begann ein Lied zu singen, womit er oftmals die Klosterschüler ergötzte, wenn sie in seine Turmstube entwischten, ihn am Bart zu zupfen und mit dem großen Wächterhorn zu spielen. Es war eine jener Kantilenen, wie deren, seit daß es eine deutsche Zunge gibt, auf freier Heerstraße, an Wegscheiden und Waldecken und draus auf weiter Halde schon manches gute Tausend in den Wind gesungen und wieder verweht worden, und lautete also:
Ich weiß einen Stamm im Eichenschlag, Der steht im grünsten Laube, Dort lockt und lacht den ganzen Tag Eine schöne wilde Taube. ich weiß einen Fels, draus schillt und schallt Nur Krächzen und Geheule, Dort haust fahlgrau und mißgestalt Eine heisre Schleiereule. Des Jägers Horn bringt süßen Klang, Des Jägers Pfeil Verderben: Die Taube grüß ich mit Gesang, Die Eul' muß mir ersterben! |
Romeias' Lied hatte ungefähr die Wirkung, als wenn er einen Feldstein in Wiborads Laden geworfen. Alsbald erschien eine Gestalt an der viereckigen Fensteröffnung, auf hagerem Halse hob sich ein blasses, vergilbtes Frauenantlitz, in dem der Mund eine feindselige Richtung aufwärts gegen die Nase genommen; von dunklem Schleier vermummt, beugte sie sich weit aus dem Fensterlein, die Augen glänzten unheimlich. Schon wieder, Satanas? rief sie.