»Also siehst du, du Lump, so gehts bei uns zu, wenn sich jemand auflehnt«, schloß der Stabsprofos seine pädagogische Erklärung, »oder wenn er davonlaufen will. Das is eigentlich Selbstmord, der bei uns auch so gestraft wird. Oder Gott behüte, daß dir, du Schweinehund, einfallen sollt, bis eine Inspektion kommt, dich über etwas zu beschweren. Wenn die Inspektion kommt und fragt: ›Haben Sie irgendeine Beschwerde?‹ – dann mußt du, Saukerl, Habtacht stehn, salutieren und antworten: ›Melde gehorsamst, ich hab keine, ich bin ganz zufrieden.‹ – Wie wirst dus sagen, Trottel? Wiederhols!«
»Melde gehorsamst, ich hab keine, ich bin ganz zufrieden«, wiederholte Schwejk mit einem so sanften Ausdruck, daß der Stabsprofos es irrtümlicherweise für aufrichtiges Entgegenkommen und Ehrlichkeit hielt.
»Also zieh dich in Unterhosen aus und komm auf Nummer 16«, sagte er freundlich, ohne auch nur Lump, Trottel oder Saukerl hinzuzufügen, wie er dies in der Gewohnheit hatte.
In Nummer 16 traf Schwejk mit zwanzig Männern in Unterhosen zusammen. Es waren diejenigen, auf deren Akten die Bemerkung stand: »Streng bewachen, beobachten!« und die man jetzt sehr sorgfältig bewachte, um ihnen keine Gelegenheit zum Entwischen zu geben.
Wenn diese Unterhosen sauber und nicht die Gitter in den Fenstern gewesen wären, dann hätte man auf den ersten Blick geglaubt, daß man sich in der Garderobe eines Bades befinde.
Schwejk wurde von Feldwebel Řepa dem »Zimmerkommandanten« übergeben, einem unrasierten Kerl in offenstehendem Hemd. Der notierte Schwejks Namen auf ein Blatt Papier, das an der Wand hing, und sagte ihm: »Morgen gibts eine große Hetz. Man wird uns in die Kapelle zur Predigt führen. Wir, die in Unterhosen, stehn grad unter der Kanzel. Das wird eine Hetz sein!«
So wie in allen Gefängnissen und Strafanstalten, erfreute sich auch im Garnisonsarrest die Hauskapelle einer großen Beliebtheit. Es handelte sich darum, die Besucher durch den erzwungenen Besuch der Gefängniskapelle Gott näherzubringen oder den Arrestanten eingehende Kenntnisse über Sittlichkeit beizubringen. Von solchen Dummheiten kann nicht die Rede sein.
Der Gottesdienst und die Predigten waren eine hübsche Unterbrechung der Langweile des Garnisonsarrestes. Es ging nicht darum, Gott nahezukommen, sondern um die Hoffnung, auf den Gängen und auf dem Weg über den Hof einen Zigaretten- oder Zigarrenstummel zu finden. Gott wurde vollkommen von einem kleinen Stummel verdrängt, der sich hoffnungslos in einen Spucknapf oder irgendwo auf dem Boden in den Staub verirrt hatte. Dieser kleine stinkende Gegenstand siegte über Gott und über die Erlösung der Seele.
Und dann folgte noch die Predigt, dieser großartige Jux. Feldkurat Otto Katz war doch nur ein reizender Mensch. Seine Predigten waren ungewöhnlich fesselnd, spaßig, erquickend in der Langweile des Garnisonsarrestes. Er verstand es so schön, von der unendlichen Gnade Gottes zu faseln, die verlotterten Arrestanten und entehrten Männer geistig zu erbauen. Er verstand es so schön, von der Kanzel und vom Altar herab zu schimpfen. Verstand es so wundervoll, beim Altar sein »Ite missa est« zu brüllen, den ganzen Gottesdienst auf originelle Art durchzuführen, die Ordnung der heiligen Messe durcheinanderzuwerfen und, wenn er schon sehr betrunken war, neue Gebete und eine neue heilige Messe zu ersinnen, seinen eigenen Ritus, etwas noch nie Dagewesenes.
Und dann das Hallo, wenn er zuweilen ausrutschte und mit dem Kelch, mit dem heiligen Sakrament oder dem Meßbuch hinfiel und den Ministranten aus der Arrestantenabteilung laut beschuldigte, er habe ihm ein Bein gestellt, und ihm sofort vor den allerheiligsten Sakramenten Einzelhaft und Spangen aufpfefferte.
Und der Betroffene freut sich, denn das gehört mit zu diesem ganzen Jux in der Gefängniskapelle. Er spielt eine große Rolle in dem Stück und entledigt sich ihrer würdig.
Feldkurat Otto Katz, der vollendetste Kriegspriester, war Jude.
Das ist übrigens nichts Merkwürdiges, Erzbischof Kohn 1war gleichfalls Jude und ein Freund Machars2obendrein. Feldkurat Otto Katz hatte eine noch buntere Vergangenheit als der berühmte Erzbischof Kohn.
Er hatte die Handelsakademie absolviert und als Einjährigfreiwilliger gedient. Und war im Wechselrecht und im Umgang mit Wechseln so gut bewandert, daß er die Firma Katz & Co. innerhalb eines Jahres zu einem so glorreichen und gelungenen Bankrott brachte, daß der alte Herr Katz nach einem Ausgleich mit seinen Gläubigern, ohne ihr Wissen und ohne das seines Gesellschafters, der nach Argentinien auswanderte, nach Nordamerika abdampfte.
Als also der junge Otto Katz Nord- und Südamerika mit der Firma Katz & Co. uneigennützigerweise beschenkt hatte, befand er sich in der Situation eines Menschen, der kein Erbteil zu erwarten hat, nicht weiß, wohin er seinen Kopf betten soll, und sich beim Militär aktivieren lassen muß.
Vorher aber hatte der Einjährigfreiwillige Otto Katz einen famosen Einfall. Er ließ sich taufen. Bekehrte sich zu Christus, damit dieser ihm helfe, Karriere zu machen.
Er bekehrte sich zu ihm mit dem restlosen Vertrauen, daß dies eine geschäftliche Angelegenheit zwischen ihm und Gottes Sohn sei.
Er wurde feierlich in Emmaus getauft. Pater Alban tauchte ihn ins Taufbecken. Es war ein wundersames Schauspiel, ein frommer Major des Regiments, bei dem Otto Katz diente, war dabei, dann eine alte Jungfer aus dem Adeligenstift auf dem Hradschin und ein großmäuliger Vertreter des Konsistoriums, der Pate stand.
Die Offiziersprüfung fiel gut aus, und der neue Christ Otto Katz blieb beim Militär. Anfangs schien es ihm, als würde alles gut gehen, er wollte sogar mit dem Studium des Stabskurses beginnen.
Aber eines Tages betrank er sich und ging ins Kloster, ließ den Säbel und griff zur Kutte. Er fand Zutritt beim Erzbischof auf dem Hradschin, und es gelang ihm, ins Seminar zu kommen. Bevor er die Weihen empfing, betrank er sich bis zur Bewußtlosigkeit in einem sehr anständigen Hause mit Damenbedienung in der Gasse hinter Wejwoda und ging geradewegs aus dem Taumel der Wollust und Freude hin, um die Weihen zu empfangen. Nach der Einweihung ging er zu seinem Regiment, um sich Protektion zu verschaffen, und als er zum Feldkuraten ernannt wurde, kaufte er ein Pferd, ritt durch die Prager Straßen und beteiligte sich lustig an allen Gelagen der Offiziere seines Regiments.
Auf dem Gang des Hauses, in dem er wohnte, wurden häufig Flüche unbefriedigter Gläubiger laut. Er brachte auch Straßenmädchen in seine Wohnung oder ließ sie von seinem Burschen holen. Sehr gern spielte er Färbl, und es wurde auch gemunkelt, daß er falschspiele; aber niemand konnte ihm nachweisen, daß er in dem weiten Ärmel seines Militärpriesterrockes ein As versteckt habe. In Offizierskreisen nannte man ihn den Heiligen Vater.
Für die Predigten bereitete er sich niemals vor, wodurch er sich von seinem Vorgänger unterschied, der gleichfalls den Garnisonsarrest besucht hatte. Das war ein Mensch, der mit der fixen Idee behaftet war, die im Garnisonsarrest eingesperrte Mannschaft ließe sich von der Kanzel herab bessern. Dieser ehrenwerte Kurat verdrehte fromm die Augen, setzte den Arrestanten auseinander, daß eine Reform der Huren und eine Reform der Fürsorge für unverheiratete Mütter erforderlich sei, und sprach auch von der Erziehung unehelicher Kinder. Seine Predigt hatte einen abstrakten Charakter, hatte nichts gemein mit der augenblicklichen Situation und langweilte.
Feldkurat Otto Katz dagegen hielt Predigten, auf die sich alle freuten.
Es war ein feierlicher Augenblick, wenn man die Insassen von Nummer 16 in Unterhosen in die Kapelle führte. Die Arrestanten ankleiden zu lassen wäre nämlich mit dem Risiko verbunden gewesen, daß einer von ihnen hätte ausbrechen können.
Diese zwanzig weißen Unterhosen stellte man wie Engel unter die Kanzel. Einige von ihnen, denen Fortuna lächelte, verbargen im Mund Zigarettenstummel, die sie unterwegs gefunden hatten, denn sie hatten – natürlich – keine Taschen, in denen sie sie hätten verstecken können.
Um sie herum standen die andern Arrestanten des Garnisonsarrestes und ergötzten sich an den zwanzig Unterhosen unter der Kanzel, auf die der Feldkurat sporenklirrend hinaufkletterte.
»Habtacht!«