Warum wir XY-Träger und keine Männer sind
Leon erwartet unsere Gruppe zum Unterricht am nächsten Morgen. Bevor ich mich auf meinem Platz niederlassen kann, nimmt er mich zur Seite.
»Du hast deine Sache sehr gut bewerkstelligt, Janus. Ich befürchtete schon, durch den Wunsch deiner Geberin würdest du dich zu früh ergießen, doch du hast alles richtig gemacht.« In seinen Augen liegen Wiedersehensfreude und Stolz, die ich sogleich ebenfalls empfinde. Es macht mich froh, wenn ich sehe, dass ich meinem Lehrmeister so viel bedeute. Ich verehre diesen Mann, der eine solch souveräne Kompetenz ausstrahlt.
»Meister Leon, darf ich erfahren, ob meine Geberin empfangen hat?« Normalerweise bekommt ein Satisfactor solche Informationen nicht. Er dient ihr lediglich, alles andere hat ihn nicht zu interessieren. Mir ist dieses Gesetz bekannt, dennoch wage ich diesen Vorstoß, weil es das erste Mal war, dass ich meine Essenz zu Reproduktionszwecken gespendet habe.
»Du weißt, dass dich das nichts angeht?« Leon mahnt mich leise, so wie ich es erwartet habe. Ich nicke zustimmend, schaue ihn aber mit einem bittenden Blick an. »Warum willst du das wissen, Janus?«
»Es hat keinen persönlichen Hintergrund, Meister. Es ist nur so, dass ich mich der Qualität meiner Essenz und dem Erfolg meiner Tätigkeit rückversichern möchte.«
Leon scheint für einen Augenblick über meine Begründung nachzudenken und beantwortet mir schließlich meine Frage: »Ausnahmsweise werde ich dir eine Antwort geben. Deine Essenz hat ihren Weg gefunden. Der medizinische Test hat das bestätigt. Deine Geberin befindet sich im Reproduktionszyklus. Sie wird einen XY-Träger gebären, der aus deiner Linie stammt.« Seine Worte lösen Erleichterung in mir aus. Es war mir wichtiger, als ich es selbst für möglich gehalten habe, zu wissen, dass sich meine Essenz als stark genug für die Befruchtung erwiesen hat. Ich atme erleichtert durch.
Leon lächelt nachsichtig. »Janus, du machst mich wirklich stolz. Der Zeitpunkt des Endes meiner Dozententätigkeit wird bald kommen und ich bin mir sicher, dass du nach einer langen, erfolgreichen Zeit ebenfalls deinen Platz hier finden wirst. Und nun lass uns zu deiner Gruppe zurückkehren.«
In einträchtigem Schweigen laufen wir die wenigen Meter zum Unterrichtsraum. Dort stehen die Jungs um Simon herum und unterhalten sich rege mit ihm sowie untereinander.
»Was ist denn los?«, frage ich in die Runde.
Zac antwortet mir stellvertretend für alle. »Simon hat die Einführungsphase beendet und soll ab heute Nachmittag in die nächste Lehrstufe kommen.«
Jetzt weiß ich, warum alle durcheinandergeredet haben. Die zweite Stufe beinhaltet die erstmalige Penetration einer Geberin. Ich erinnere mich noch sehr gut an mein erstes Mal. Ihr Name ist Migumi und sie lehrt fernöstliche Vaginalisierungspraktiken. Dies beinhaltet unter anderem das alte Kamasutra – theoretisch als auch praktisch. Nicht jeder von uns war damals in der Lage, ihren Anforderungen physisch zu entsprechen. Doch mit der Zeit kam auch die Übung und schließlich hat es jeder irgendwann einmal geschafft, dieses Fach erfolgreich abzuschließen.
Migumi wirkt so klein und zierlich wie eine eben erblühte Geberin. Simon kann sich glücklich schätzen, ihr dienen zu dürfen. Jetzt fragt er die Jungs aufgeregt nach ihren Erfahrungen. Ich lächle in mich hinein, weil es mir damals nicht anders ergangen ist. Jeden meiner Mitschüler habe ich aufgeregt befragt, erhielt viele Tipps und noch mehr Erlebnisberichte. Letztlich kam dann alles anders. Keine drei Minuten habe ich damals durchgehalten, bevor ich meine Essenz von mir gab.
Dieses Steuern und Zurückhalten ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Ausbildung. Nur so können wir sicherstellen, dass jede Geberin so befriedigt wird, wie sie es wünscht. Manche wollen sehr lang einen voll entwickelten Schaft in sich spüren. Einer Geberin mehrere vaginale Orgasmen durch tiefe, schnelle Bewegungen zu schenken, erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Übung, um nicht unbeabsichtigt einen Höhepunkt zu erleben und somit unerlaubt seine Essenz zu verströmen.
Leons Räuspern löst unsere Runde auf. Wenig später sitzen wir um ihn herum und lauschen seinen Ausführungen, wie wir die Klitoris einer Geberin zu verwöhnen haben.
Er stellt diverse Fragen, die weder Zac noch ich beantworten müssen. Der Unterricht scheint heute völlig an uns beiden vorbeizugehen. Für mich ein deutliches Zeichen, dass sich meine Ausbildung nun unmittelbar vor dem Abschluss befindet. Wir haben alles gelernt, was es zu wissen gibt, um jede einzelne Geberin zu befriedigen. Bereits jetzt, im letzten Jahr der Ausbildung, ähnelt unser Stundenplan unserer späteren Tätigkeit.
Unsere Unterrichtseinheiten wurden umgestaltet, sodass sie der Routine im Satisfactorium entsprechen. Wir haben nun neben dem regelmäßigen Ausdauersport und Muskelaufbautraining auch monatliche medizinische Check-ups zu absolvieren. Die finde ich übrigens am allerschlimmsten. Die Blutentnahme erfolgt über einen schmerzlosen Stich in die Halsvene. Doch wir werden ebenso speziell unserer Funktion untersucht: Der Penis wird dabei in eine Art Rüssel gesteckt. Nackt auf einem Untersuchungstisch liegend, bahnen sich lebendig erscheinende Sonden ihren Weg in andere Körperöffnungen und dringen wenige Zentimeter ein.
Mittels Stimulation wird mein Trieb innerhalb weniger Sekunden vollständig erigiert und mein Körper dazu gezwungen, sich seiner Essenz zu entledigen. Der Vorgang ist nicht schmerzhaft, aber trotzdem unangenehm. Dieser Rüssel fühlt sich kühl und unpersönlich an, während der eigentliche Vorgang der Essenzentnahme ein Kribbeln auslöst, welches vorbei ist, bevor man überhaupt den Drang zur Ejakulation verspürt. Es werden nur wenige Tropfen benötigt, um alle Tests durchführen zu können.
Die Chips, die uns bereits im Kindesalter implantiert werden und wir unser ganzes Leben lang behalten, liefern dem Zentrum für koordinierte Satisfaction stets alle Vitaldaten. So kennt man dort den Blutdruck oder die Herzfrequenz in jeder einzelnen Minute meines Lebens, unabhängig davon, ob ich sie mit einer Geberin verbringe oder aber allein. Wir Satisfactoren sind für die Gesellschaft kostbar, daher wird auf die kleinste Unregelmäßigkeit geachtet und diese sofort behandelt.
Aus weiter Ferne höre ich einen der anderen Jungs, der auf Leons Fragen antwortet. Auf die Gefahr hin, mit meiner Unaufmerksamkeit aufzufallen, gebe ich mich wieder meinen Gedanken hin.
Ich bin ein XY-Träger, eines jener Lebewesen, das aufgrund der Unvollkommenheit des Chromosomensatzes zu einer Minderheit gehört. Die Unvollkommenheit unseres genetischen Codes kam während der großen Katastrophe heraus. Bis zum 24. Jahrhundert wurde die Welt von XY-Genetikern, wie ich es bin, regiert. Leon erzählte uns, dass die Menschheit immer einen Krieg befürchtet hat, jedoch von der Macht der Natur völlig überrollt wurde. Krankheiten breiteten sich aus, entartete Viren brachten Millionen Menschen um. Dazu kamen schwere Umweltkatastrophen, ausgelöst durch ein Ungleichgewicht der Natur. Die Erdbewohner hatte bis zu diesem Zeitpunkt ohne wirkliche Nachhaltigkeit gelebt. Das hatten nur sehr wenige Staaten getan – vornehmlich die Industriestaaten im nördlichen Europa. CO2 wurde in große Tanks gepresst und in alten Stollen gelagert, so hielt man die Luft sauber.
Der Energiebedarf der stetig wachsenden Menschheit war so gigantisch, dass ein lukrativer Markt entstand, bei dem einzelne Staaten vom Reichtum ihres Grund und Bodens profitierten. Dann kam es zu politischen Krisen und der Handel wurde eingeschränkt. Gerade die reichen Industriestaaten, die sich kein Diktat aufzwingen lassen wollten, erschlossen andere Möglichkeiten der Energiegewinnung. Fast alle versuchten es mit Sonnen- und Windenergie, doch die Fortschritte in der Forschung zur Steigerung der Energieausbeute wurden monetär nicht ausreichend gefördert. Von den Regierungen floss nur wenig an Steuergeldern in die Wissenschaft, die Energieunternehmen mussten sich daher selbst helfen.
Anfang des 21. Jahrhunderts wurde eine neue Art der Rohstoffförderung etabliert, von der sich die Staaten im alten Europa und in Nordamerika größere Unabhängigkeit erhofften. Fracking hieß diese Methode. Mittels Chemikalien, die mit unglaublich hohem Druck