Sie hörte das Geräusch seiner Sandalen auf dem Boden, als er vor ihnen herging. Es wechselte sich ab mit dem leichten Klatschen, das sein Stock verursachte, als er ihn mal gegen die eine, mal gegen die andere Schulter schlug.
»Ihr müsst lernen, eure Leiber zu beherrschen!«, rief er in die Stille hinein. »Euer Leib muss gehorchen wie das Schwert dem Soldaten, bis in die kleinen Zehen! Nur dann werden die Zuschauer euch lieben.«
Aelia verdrehte die Augen. Nun würde also wieder eine seiner endlosen Predigten kommen, während der sie reglos ausharren mussten.
»Ein gutes Schwert wird mit Feuer und Wasser geformt. Durch Hitze und Kälte wird es zu einer vollkommenen Waffe. Eure Leiber sind Schwerter im Dienste unseres Herrn!«
Seine Worte verhallten im Dachgebälk. Aelia atmete tief, während sie versuchte, ihre schmerzenden Knie ruhig zu halten. Sie durfte vor allem ihre Finger nicht bewegen, das würde er sofort bemerken.
Sie hörte, wie seine Schritte nur wenige Armlängen von ihr entfernt haltmachten.
»Habt ihr verstanden, was ich gesagt habe?«, donnerte er, ehe ihn die folgende Stille daran erinnerte, dass es ihnen während des Kniens nicht erlaubt war zu reden.
Er räusperte sich und ging weiter. »Ihr seid Mädchen und nicht zum Kämpfen geboren. Eure natürliche Bestimmung ist es, Kinder zu gebären, aber das Schicksal hat es anders gewollt. Es hat euch hierhin geführt, damit ihr die Kämpfe lernt und sie dem Publikum darbietet. Der Herr in seiner Güte hat euch aufgenommen und gewährt euch Obdach, weil er euch für würdig hält, die Schaukämpfe zu lernen. Aber ihr seid Mädchen! Also müsst ihr umso härter üben, um eure Leiber zu härten. Die Zuschauer wollen eure Anmut und eure Fähigkeit zu kämpfen sehen, und ihr habt alles dafür zu tun. Je besser ihr seid, desto besser ist es für unseren Herrn und für uns alle.«
Er legte eine kleine Pause ein, um seinen eigenen Worten nachzulauschen. Aelia, die ihre schmerzenden Knie kaum noch unter Kontrolle halten konnte, dachte, dass er ihnen ein weiteres Mal einen Vortrag darüber halten würde, wie froh sie sein konnten, hier zu sein und nicht in den Gossen der Stadt, als Sarus plötzlich innehielt. Sie hörte, wie er kehrtmachte und in ihre Richtung kam. Einen schreckerfüllten Augenblick lang glaubte sie, er hätte das Zucken ihrer Zehen gesehen, als sie merkte, dass er weiter unten stehen blieb, dort, wo die kleineren Mädchen knieten.
»Habe ich euch erlaubt, euch zu rühren?«
Eines der jüngeren Mädchen begann zu weinen.
»Steht auf!«, befahl er. Die Mädchen gehorchten und stellten sich in einer Reihe auf. Aelia war erleichtert, aber sie spürte kaum noch ihre Beine.
Sarus presste einem am Boden liegenden Mädchen seinen Stock in den Rücken. »Du wirst noch lernen zu gehorchen!«, knurrte er.
Aelia tauschte mit Verina, die neben ihr wartete, einen raschen Blick. Sie kannten das Mädchen, es war die kleine Lucilla, die erst im letzten Sommer zu ihnen gekommen war. Sie konnten sich denken, was passiert war: Lucilla hatte den Augenblick genutzt, als Sarusʼ Schritte sich von ihr entfernten, um ihre steifen Beine zu bewegen. Sie kannte ihn noch nicht gut genug, um zu wissen, dass er sich gerne umschaute. Sie wusste auch noch nicht, dass er alle oft so lange knien ließ, bis er ein Mädchen bei einer Bewegung erwischte, um es dann bestrafen zu können.
Heute war so ein Tag.
Sarus befahl Lucilla, sich zu erheben, und stieß sie in die Mitte der Halle. Mit seiner Statur verdeckte er das Mädchen vollkommen. Auf seinem nackten muskulösen Oberarm prangten mehrere ineinander liegende Kreise – das Feldzeichen der Legion, bei der er einst gedient hatte. Die dünne kleine Lucilla sah neben ihm aus wie ein Strohhalm. Sie mochte kaum älter als zehn Winter sein.
»Wie lautet die erste Lektion?«, rief er und sah streng auf sie herunter.
Lucilla warf ihm einen ängstlichen Blick zu, ehe sich ihr zitternder Mund zum Sprechen öffnete. »Ge … gehorche d … deinem Lehrer … in … in …«
»Lauter! Ich höre dich nicht!«
Lucilla atmete tief. Alle konnten sehen, wie sie mühsam um Fassung rang. »… in … in … allem …« Ihre Stimme war nur noch ein Hauch, ehe sie ganz erstarb.
Sarus machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich an die Mädchen. »Wie lautet die erste Lektion?«
Marcia trat eilfertig hervor und wartete, bis Sarus ihr das Wort erteilte.
»Gehorche deinem Lehrer in allem, was er sagt, begrüße ihn, indem du vor ihm kniest und dich nicht rührst, bis er es dir erlaubt. Sprich nur, wenn er dich etwas fragt. Dann antworte wahr und klar«, zählte sie auf.
»Richtig.« Sarusʼ wohlwollender Blick verharrte eine Weile zu lang auf Marcia, die die Schönste von allen war. Sie besaß eine makellose Haut und ebenmäßige Gesichtszüge. Ihre Figur erinnerte Aelia an eine der Nymphen-Statuen am Brunnen im Forum von Treveris.
Sarus fuhr zu Lucilla herum.
»Hast du gehört, was sie gesagt hat?«
Lucilla nickte ängstlich. Ihre Hände krallten sich in ihr graues Gewand.
»Dann wiederhole es!«
Lucilla schluckte. Sie öffnete den Mund, lange bevor sie anfing zu sprechen. »Ge … ge … horche deinem Lehrer … in allem, was er sagt, begrüße ihn … und … und …«
Sie suchte verzweifelt nach Worten, ehe ihre Stimme versagte. Unglücklich sah sie zu Boden. Sarus klatschte mit dem Stock gegen seine Schultern, während sein abschätzender Blick auf dem Mädchen ruhte.
»Wie lange bist du schon hier?«
»Drei Monde, Herr.«
»Wirklich? Schon drei Monate lebst du hier auf Kosten des Herrn?«
Lucilla schwieg.
»Antworte!«
»Ja, Herr.«
Sarus seufzte laut. »Nun, dann wird es Zeit, dass du die erste Lektion lernst!«
Lucilla hob den Blick nicht. »Ja, Herr«, sagte sie leise.
»Marcia!«, rief Sarus, ohne Lucilla aus den Augen zu lassen. »Hol den Wagen!«
Marcia verneigte sich und huschte in eine Ecke, in der neben einer Amphore in einem verrosteten Ständer ein zweirädriger, mit rotem Stoff bespannter Wagen stand, der aussah wie die kleine Nachbildung eines Streitwagens. Marcia zog ihn an der Deichsel quer durch die Halle zu Lucilla, nahm ein Geschirr von der Ladefläche und legte es dem Mädchen an. Als sie damit fertig war, setzte sie ihr eine Stoffhaube mit zwei roten Hörnern auf den Kopf.
Lucilla sah betroffen auf die Gurte herunter, die ihre Brust umspannten. Der Schreck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als Marcia die Gurte am Wagen befestigte. Sarus befahl ihr, im Kreis zu laufen. Lucilla gehorchte. Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung und rumpelte über den Lehmboden. Sarus tauschte seinen Stock gegen eine dünne Lederpeitsche, postierte sich in der Mitte der Halle und befahl den Mädchen, hinter dem Streitwagen herzulaufen. »Schneller!«, donnerte er und ließ seine Peitsche über den Boden sausen. Lucilla rannte wie ein Pferd im Kreis um Sarus herum und zog den Wagen. Lächerlich grotesk sah sie aus mit ihrer roten Haube. Der Wagen ratterte hinter ihr über den unebenen Boden.
»Na los, los!«, rief Sarus. »Stell dir vor, du bist Diocles, der berühmteste Wagenlenker aller Zeiten, und du willst den Sieg für deine Partei! Der Circus Maximus in Rom ist bis auf den letzten Platz besetzt, alle feuern dich an. Auf der Ehrentribüne sitzen der Kaiser und die Senatoren. Du gibst alles! Du lässt dich nicht aus der Bahn werfen! Na los, schneller, mach schon!«
Er schnalzte