Der Weg der verlorenen Träume. Rebecca Michéle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rebecca Michéle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958131354
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haben es geschafft, als du in Allenstein warst«, antwortete Mahnstein kühl. »Es wird sich eine Lösung finden lassen. Wann wirst du nach Duwensee fahren?«

      Er kann es nicht erwarten, mich loszuwerden, dachte Hedwig und merkte, wie ihre Augen feucht wurden. Hastig wischte sie sich mit dem Handrücken über die Lider und antwortete: »Am nächsten Montag, Vater.«

      »Dann sieh zu, dass du gesund wirst, Tochter. Ich glaube nicht, dass die Gräfin eine schniefende und hustende Schneiderin haben möchte.«

      In aller Seelenruhe schenkte sich Mahnstein von dem bereitstehenden Kaffee ein, griff nach einer Scheibe Brot und bestrich sie dick mit Butter. Karl zuckte mit den Schultern und griff ebenfalls nach der Kanne. Nach und nach erschienen die restlichen Geschwister, und Hedwig richtete ein Tablett, um das Frühstück ihrer Mutter ans Bett zu bringen.

      Nur Luise, die am Nachmittag ihre Familie für eine Stunde besuchte, bemerkte, wie krank Hedwig war und auch deren geschwollene Wange. Wortlos nahm sie ihre Schwester in die Arme, und Hedwig vertraute sich Luise an, erzählte von dem Angebot der Gräfin und auch, warum sie dieses erst ausschlagen wollte.

      »Die Leute dort sind anders als wir, Luise. Gestern Abend hatte ich den Eindruck, als hätten sie noch niemals etwas von Sitte und Anstand gehört.«

      »Ich höre aus deinen Worten heraus, dass Albert von Dombrowski dich enttäuscht hat«, fuhr Luise fort. »Liebst du ihn?«

      Hedwig zögerte, zuckte dann mit den Schultern und antwortete: »Nein, ich glaube nicht, dass es Liebe ist. Ich dachte, ich wäre in ihn verliebt, sein gestriges Verhalten hat mir aber gezeigt, dass Albert kein Mann ist, auf den man setzen sollte. Die Frau, die er eines Tages zum Altar führt, wird keinen Ehemann, sondern ein großes Kind bekommen.«

      Erleichtert lachte Luise auf.

      »Ich fürchtete schon, Albert hätte dir das Herz gebrochen, Schwesterchen. Du sagtest, die Frau Gräfin wäre nicht wie ihr Sohn«, wechselte Luise das Thema, »und wenn dieser ohnehin fort ist, wärst du dumm, einen solchen Auftrag abzulehnen.«

      »Was ist mit Mutter und unserem kleinen Bruder?«

      Sanft streichelte Luise Hedwigs Hand und sagte zuversichtlich: »Du weißt, Vater und ich sind selten einer Meinung, aber dieses Mal hat er recht. Während deiner Ausbildung in Allenstein hat die Familie auch alles ohne deine Hilfe bewältigt, jetzt wirst du ja nur kurze Zeit fort sein und an den Wochenenden nach Hause kommen können. Nun koche ich dir einen heißen Kamillentee mit Honig und steck dich ins Bett, damit du bis Montag wieder gesund bist.«

      Nie zuvor hatte Hedwig ein Zimmer mit einem eigenen Bad bewohnt, ebenfalls noch nie in einem breiten Himmelbett geschlafen, in dem gut drei Personen Platz fänden. Eine Verbindungstür führte von ihrem Raum in das Schneiderzimmer. Mit einer breiten, nach Westen ausgerichteten Fensterfront war es lichtdurchflutet, und mit einem großen Tisch, einer modernen Nähmaschine und allem, von dem Hedwigs Schneiderherz träumte, eingerichtet.

      »Meine Schneiderinnen fertigen immer im Haus«, erklärte Marianne Kosin, die Gräfin von Duwensee. »Wenn Sie noch etwas benötigen sollten, lassen Sie es mich bitte wissen oder wenden sich an die Haushälterin Frau Brenneke oder an Gerda.«

      Gerda war eines der Hausmädchen, die auch für die Ordnung und Sauberkeit in Hedwigs Zimmer verantwortlich war. Das war Hedwig furchtbar peinlich, allein schon, als Gerda ihre Kleidung auspacken und in den Schrank hängen wollte.

      »Das ist sehr freundlich, Frau Gräfin, ich bin es aber gewohnt, meine Sachen selbst in Ordnung zu halten«, antwortete Hedwig diplomatisch. »Ich bin kein Gast in Ihrem Haus, sondern Ihre Angestellte.«

      Die Gräfin lächelte ihr freundlich zu und erwiderte: »Sie sollen es so angenehm wie möglich haben, Fräulein Mahnstein, denn ich erwarte von Ihnen eine gute und anständige Arbeit, auf die Sie sich ohne Ablenkung zu konzentrieren haben.«

      Alexander Kosin hielt sich tatsächlich nicht auf Schloss Duwensee auf, was Hedwig sehr erleichterte. Die Mahlzeiten nahm Hedwig allein in ihrem Zimmer ein, und in der ersten Woche saßen sie und die Gräfin stundenlang zusammen, um aus Modemagazinen verschiedene Modelle herauszusuchen, die Stoffe und alles Notwendige zu bestellen. Marianne Kosin war eine angenehme Kundin. Beim Maßnehmen stand sie ruhig, ließ sich von Hedwig beraten und folgte deren Vorschlägen, wenn Hedwig meinte, an einem Schnittmuster Änderungen vorzunehmen.

      In ihren freien Stunden spazierte Hedwig durch den weitläufigen Park mit dem alten Baumbestand und einem kleinen Teich. Der Winter war nun, Anfang Dezember, schnell über Masuren hereingebrochen. In Hedwigs erster Woche schneite es fast ohne Unterlass, dann sanken die Temperaturen auf minus zwanzig Grad, und die Sonne schien, sodass die Landschaft unter einer weißen Haube verschwand. Die Kamine im Schloss wurden gut geheizt, in Hedwigs Bad kam das warme Wasser direkt aus dem Hahn, und manchmal genoss sie ein abendliches Schaumbad. Hedwig dachte darüber nach, dass es durchaus Vorteile hatte, adliger Herkunft und darüber hinaus noch vermögend zu sein. Wenn Geld allein auch nicht glücklich machte – es erleichterte so manches. Ihrer Schwester Luise schrieb sie regelmäßig, auch einmal ihrer Mutter. Wie während ihres Aufenthaltes in Allenstein erhielt sie wieder keine Antwort.

      Als eines Nachmittags Gerda meldete, ein Herr wünsche sie zu sprechen und Albert hinter ihr in das Schneiderzimmer trat, sprang Hedwig überrascht auf.

      »Du?«

      Er grinste und wirkte verlegen.

      »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich morgen nach Cranz reisen und den restlichen Winter dort verbringen werde.«

      »Dann hast du das Engagement in der Kapelle tatsächlich erhalten«, sagte Hedwig. »Ich freue mich für dich.«

      »Ich wurde sogar zum Kapellmeister ernannt, und wir nehmen eigene Kompositionen in unser Repertoire auf, und ...« Er zögerte, rieb sich über den Nasenrücken und stieß dann hervor: »Es tut mir leid, was bei dem Ball passiert ist. Du hattest recht, du passt nicht zu diesen Menschen, denn du bist viel zu gut für die. Es freut mich aber, dass du hier bist, und Alex meint, seine Mutter habe ihm geschrieben, sie wäre von deiner Arbeit begeistert.«

      »Danke«, antwortete Hedwig schlicht. »Dieser Auftrag ist wirklich ein Glückfall für mich.«

      »Tja, dann ....« Albert trat vor, streckte seine Hand aus, die Hedwig jedoch ignorierte. »Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden. Darf ich dich zum Abschied küssen?«

      »Ich wüsste nicht, warum.«

      »Ach komm, Hedi, sei nicht so streng mit mir.« In seinen Augen schimmerte ein dunkler Glanz. als er sie schmeichelnd ansah. »Wir sind doch noch Freunde, oder? Und einen alten Freund lässt man nicht ohne Abschiedskuss in die Fremde ziehen.«

      »Das Ostseebad Cranz befindet sich nicht gerade in der Fremde«, bemerkte Hedwig und musste nun doch lächeln. »Du gehst ja nicht nach Amerika oder Afrika, sondern bleibst in Ostpreußen. Außerdem wirst du zurückkommen, schon, um deine Eltern zu besuchen.«

      »Es sind nicht meine Eltern, die mich nach Sensburg ziehen«, murmelte er. Hedwig ließ es zu, dass er eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte, um den Finger wickelte. Er stand dicht vor ihr, sie roch den herben Duft seines Rasierwassers, sein warmer Atem streifte ihre Wange. Sie wies ihn nicht zurück, als sich seine Lippen auf ihren Mund legten. Wie immer, wenn Albert sie küsste, hatte sie das Gefühl, sich aus ihrem Körper zu lösen und über sich zu schweben. Schwach erinnerte sie sich an ihre Behauptung gegenüber Luise, als sie betont hatte, in Albert nicht verliebt zu sein. Warum verwarf sie diese Meinung jedes Mal, wenn sie in seinen Armen lag?

      Seine Küsse wurden fordernder, und er nestelte an den Knöpfen ihrer Bluse.

      »Albert, nein ... nicht«, stammelte Hedwig.

      »Die Gräfin ist mit dem Pferdeschlitten ausgefahren«, hauchte er an ihrem Ohr, »das Mädchen ist einkaufen, und die Haushälterin werkelt unten in der Küche. Es wird uns niemand stören. Komm schon, Hedi, irgendwann muss es einfach sein, und wer weiß, wann wir uns wiedersehen werden. Lass mich mit einer schönen Erinnerung fortgehen.«

      In