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Finnische Träume - Teil 6 | Roman
von Joona Lund
Joona Lund ist eine finnische Journalistin, die vor allem über gesellschaftliche Probleme recherchiert und schreibt.2008 las Joona von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, welches das Inzesttabu weiterhin als strafrechtlich relevant bestätigt und eine junge Familie damit ins Unglück gestürzt hat. Sie erinnerte sich an ein Interview, das sie vor Jahren in Lappland auf einem abgeschiedenen Bauernhof geführt hatte: Damals war ihr das Verhalten des jungen Mannes und seiner jüngeren Schwester aufgefallen, das sich von dem ihrer Mitschüler gravierend unterschied. Sie recherchierte und stieß auf eine Geschwisterliebe, die beinahe tragisch ausgegangen wäre. Mit ihrem Roman „Finnische Träume“ veröffentlichte Joona die Geschichte einer innigen Liebe, die sich trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse zunehmend verdichtet. Sie wollte aufzeigen, dass das Urteil des Gerichts auf wackeligen Beinen stand und verschiedene zivilisierte Länder das anders bewerten.
Lektorat: Nicola Heubach
Originalausgabe
© 2014 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © mammuth @ istock.com
Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de
ISBN 9783862774432
www.blue-panther-books.de
11. Erfüllung von Joona Lund
Der Trost wirkte nur kurz, ihr plötzliches Verschwinden ohne Abschied hatte ihn getroffen. Als anzunehmen war, sie sei allein, rief er an, doch sie überging die Frage einfach, ob sie sich wieder lediglich vorgelesen hätten oder ob es zu mehr gekommen war, versprach aber, bald zu kommen.
Am Wochenende stand sie tatsächlich vor der Tür, blieb zwei Tage. Sie schwebten in den Wolken, küssten und streichelten sich, redeten und lasen sich aus dem Tagebuch vor. Jan fiel es schwer, Zurückhaltung zu üben, wollte sie aber nicht in ein Verhältnis verwickeln, das sie ihm einmal vorwerfen könnte.
Am Sonntag musste sie zurück. Sie standen vor dem Waggon, als durchgesagt wurde, die Abfahrt verzögere sich wegen des verspäteten Zugs aus Helsinki, ein Rentier sei von der Lok erfasst worden.
Inku hätte sich hinterher in den Hintern beißen können, Martti überhaupt erwähnt zu haben. Lachend hatte sie Jan erzählt, der hartnäckige Verehrer, den sie bereits mehrmals hatte abblitzen lassen, tauche manchmal zu Hause auf. Mutter förderte seine Werbung, verwöhnte ihn mit gutem Essen.
Jan hatte sich zu den Passanten gedreht, die der eingefahrene Zug gebracht hatte und aus der Unterführung heraufeilten und einstiegen. Inku entging das verschlossene Gesicht. »Ist es dieser, wie heißt er nur?«
»Martti.« Jetzt bemerkte sie seine Verstimmung. Auf seine Frage, ob sie Martti möge, lachte sie. »Bist du etwa auf ihn eifersüchtig?«
Sein verbissenes Schweigen veranlasste sie zur Frage, ob er im Ernst glaubte, sie nähme die lange Fahrt auf sich und flirte vorher mit einem anderen. »Hast du wirklich geglaubt, ich gehöre zu den Mädchen, die einmal mit dem, dann mit einem anderen herumschmusen? Einmal ganz davon abgesehen, dass Martti nicht mein Typ ist.« Sie überlegte kurz. »Allerdings, eines muss ich ihm lassen: Er ist verdammt hartnäckig.«
Der Lautsprecher mahnte zum Einsteigen, der Zug fuhr ab, Jan winkte lange. Die Einsicht, dass er nicht der Einzige war, der sich um ihre Gunst bemühte – er hatte sich oft genug gesagt, kein recht dazu zu haben –, war ein Dämpfer, der ihm erneut vor Augen führte, dass er offensichtlich nicht in der Lage war, Traum und Realität auseinanderzuhalten.
Am Freitagabend läutete es, Inku war an der Tür, er war gerade nach Hause gekommen.
»Habe es nicht mehr ausgehalten, ich musste kommen.« Sie packte ihre Tasche aus. »Mutter hat übrigens ein gebratenes Huhn mitgeschickt, sie weiß, wie gern du es isst.« In einem Roman hatte Inku den Satz gefunden, Eifersucht löse starke Gefühle aus und lasse erkennen, wie ernst die Absichten eines Manns seien. Um das zu erproben, erwähnte sie beim Essen, ihr machte die Werbung des gutmütigen Marttis Spaß. Sie wollte Jan einen Denkzettel verpassen, bedachte aber nicht, dass ein Schuss auch nach hinten losgehen kann. Hätte sie geahnt, Jan zöge aus der Bemerkung über die Absichten Marttis den Schluss, er stünde Inkus Glück im Weg, hätte sie den langweiligen Mann nicht erwähnt. Da Jan aber nicht nachfragte, nahm sie an, das Thema hätte sich erledigt.
Mutter vermutete, sie hätte in der Stadt einen Freund, erzählte sie. Da sie ihn nie nach Hause mitbrächte, nähme Mutter an, es wäre nichts Ernstes. Inku lachte auf. »Wenn sie wüsste ...«
Jan schwieg meistens und entgegen sonstiger Gewohnheit achtete sie nicht darauf, übersah seine missmutige Miene. Mutter hatte ihr beim Abschied an der Haltestelle etwas in die Hand gedrückt und geflüstert, das wäre für den Freund, sie sollte aufpassen. Verlegen hielt Inku Jan eine kleine Schachtel hin.
Er nahm sie, öffnete und grinste. »Das darf nicht wahr sein: Präservative!« Seine Stirnfalten zogen sich zusammen. »Ahnt Mutter etwas von uns?«
»Sie glaubt, ich besuche meinen Freund. Du bist vor allem für Vater der formale Besuchsgrund.«
»Und die Gummis?«
»Sie will verhindern«, erklärte Inku mit belegter Stimme, »dass ich wegen eines Kindes eine feste Bindung eingehe, die nur auf Sex beruht.«
»Du meine Güte, du bist fünfzehn!«
Inku kicherte. »Fast sechzehn! Nie davon gehört, dass jüngere schwanger werden?« Sie bestand darauf, das Vorlesen aus dem Tagebuch wieder aufzunehmen, zumal er angedeutet hatte, einige Geschichten wären neu.
Jan wollte jedoch ernsthaft mit ihr reden. »Mein Gott, das liegt doch alles so weit zurück! Ich wollte mit dir etwas besprechen, das mir unter den Nägeln ...«
Sie unterbrach. »Das kann warten, ich will erfahren, was du damals über mich gedacht und geträumt hast.« Widerstrebend holte er das Tagebuch aus der Schublade. »Gut, wenn du darauf bestehst ... Es kann aber sein, dass dir einiges missfällt, was jetzt kommt.« Er blätterte und las: »›Mir war bewusst, dass es eine Unart war, aber ich konnte nicht mehr davon lassen, es war wie eine Droge.‹« Er schaute auf. »Es fällt mir schwer, dir das zu erzählen, vielleicht verachtest du mich dann ...«
Ungeduldig machte sie mit der Hand ein Zeichen, er sollte fortfahren und schmiegte sich an ihn.
»Na schön.« Die Neugierde über ihre zu erwartende Reaktion war größer als sein Schamgefühl. »›Wie jeden Morgen schaute ich, wenn niemand in der Nähe war, in den Wäschekorb und suchte ...‹« Er setzte aus, las auf ihr verärgertes Zeichen weiter. »›Ich schämte mich vor mir selbst, schaffte es aber nicht, es sein zu lassen, es war wie ein Rausch.‹«
Ihre Augen waren dunkel geworden, ein Lächeln ließ ihr Gesicht erblühen. »Nun rück schon raus damit, was du gesucht hast!«
Mit rotem Gesicht setzte er fort. »›Ehe ich duschte, suchte ich die Wanne nach schwarzen Härchen mit den wie Violinschlüssel geringelten Spitzen ab. Hatte sie gebadet und weichte im Schmutzwasser Wäsche ein, fischte ich die Kraushaare heraus und gab sie zu den anderen im Plastiksäckchen. Aus der Wäschetruhe suchte ich ihre Intimwäsche, roch daran, sog den Duft ein und sammelte die Härchen ein.‹« Mit rotem Gesicht schaute er auf, fuhr fort, als sie ungeduldig den Kopf schüttelte. »›Manchmal, wenn ich das Beutestück nicht für andere Zwecke verwendete, schabte ich mit dem Taschenmesser die verkrustete Schicht mit einem Stich ins Gelbliche ab, gab die Krümel ins Säckchen mit den Haaren, das roch köstlich.‹«
»Nein!«, rief sie, »das hast du getan?«
Er nickte.
»Du bist unmöglich, Jan!« Sie atmete tief ein, stieß langsam die Luft aus. »Du magst meinen Geruch?«, fragte sie flüsternd.
»Er ist köstlicher, als das teuerste Parfüm, ich konnte nie genug davon kriegen. Ich war«, gestand er, »auf dich fixiert, bei einer anderen wäre es mir nie eingefallen. Ich wollte