Erst Jahre später sprachen sie darüber, wann es zu ersten Grenzüberschreitungen gekommen war, sie konnten es aber nicht präzise festmachen, die Scheidelinie verlief unscharf, als läge sie im Dunst. Die Frage, ob ihm ein Teufelchen die Idee eingeflüstert hatte oder ob die Idee wie ein Samenkorn auf die Chance gewartet hatte zu keimen und zu gedeihen, um hartnäckig wie Huflattich, der sich durch den Asphalt bohrt, emporzuschießen, stellte er sich erst, als die Lage unumkehrbar geworden war ...
Und erst da gestand er sich ein, dass es keine geheimnisvolle Kraft gewesen war, die ihn verführt hatte, sondern sein Wille. Er hätte voraussehen müssen, dass ein Windhauch genügte, um die Glut anzufachen. Die Gefahr hatte er ignoriert, insgeheim sogar erhofft, dass aus dem Schwelbrand ein Feuersturm entstünde. Gezielt hatte er darauf hingearbeitet, Inku zu verleiten, auf seine Fantasien einzugehen, ihr seine Wunschträume schmackhaft zu machen, sie zum Mitmachen zu bewegen. Beabsichtigte sie, abzuspringen, gelang es ihm mühelos, sie umzustimmen. Ihm war klar, dass sie Tabus verletzten, doch das schlechte Gewissen ließ sich schnell einschläfern: Gedanken, Wünsche und Träume wären nicht strafbar, solange sich das Handeln in erlaubten Grenzen abspielte.
Trotz Vaters Zugehörigkeit zur konservativen lutherischen Erweckungsbewegung, die strenge Moralvorstellungen predigte, war ihre Erziehung frei gewesen, hatten sie sich nicht gegen lähmende Traditionen, Zwänge und Beschränkungen auflehnen müssen. Lediglich in der Sauna hatte Vater auf Geschlechtertrennung bestanden.
Jan verstand erst, als es nicht mehr zu übersehen war, dass Inku bereitwillig an dem unsichtbaren Netz geknüpft hatte, in dem sich beide fangen sollten. Er hatte nicht vermutet, dass das unerfahrene naive Mädchen den Anstoß zum Umschlag ihres Spiels in eine andere Qualität geben würde, hatte nicht erwartet, dass es erst durch ihre aktive Mitwirkung zu dem geworden war, zu dem es letztendlich wurde. Nach außen gab sie sich nach wie vor als Kind, als Jan aber Nabokovs »Lolita« gelesen hatte, fand er den Ausdruck Kindfrau treffender, auch wenn ihn sonstige Vergleiche befremdeten. Ihr Denken war – altersgemäß verschoben – dem seinen so ähnlich, dass das Spiel geradezu in gefährliche Bahnen geraten musste. Inku strengte sich an, seine Fantasie zu überbieten, die Verwandtschaft ihrer Seelen war augenscheinlich. Das erschreckte ihn, wenn er in die Abgründe seiner Seele schaute.
Als ihm später Gewissenskonflikte zu schaffen machten, beschuldigte er sich, die Anfänge nicht unterbunden zu haben, doch war die Verlockung zu groß gewesen, er war bereits Gefangener eigener Gelüste. In solchen Phasen der Besinnung gestand er sich ein, dass er Inku auch dann zum Mitmachen verleitet hätte, wenn er die Folgen vorausgesehen hätte. Der Reiz zu erfahren, wie weit sie gehen würde, war groß, und als er feststellte, dass sie nicht nur begeistert mitspielte, sondern ihn sogar zu übertrumpfen trachtete, fand er keinen stichhaltigen Grund mehr zur Umkehr.
Mitunter machte ihm der abrupte Wechsel ihrer Launen zu schaffen, doch Mutters Prophezeiung, die Launenhaftigkeit lege sich nach der Pubertät, beruhigte, er ertrug ihre Zicken mit Gelassenheit. Ihr mitunter kränkender Ton war ein Versuch, sich vor Verletzungen zu schützen, konnte aber seine Überzeugung, zwischen ihnen bestünde eine durch nichts zu erschütternde Eintracht, nicht ins Wanken bringen.
Auf den ersten Blick harmlose Situationen gaben dem Spiel prickelnde Anstöße, etwa, als Inku ins Zimmer kam, aufs Bett stieg, sich auf die Zehenspitzen stellte, um Papier aus dem Regal zu holen. Ihr knackiger Popo zeichnete sich durchs dünne Höschen ab.
»Du solltest nicht so vor mir herumklettern«, sagte er leise.
Schnippisch antwortete sie: »Möchte der Herr denn lieber eine andere sehen?«, und stürmte hinaus, ließ die Tür ins Schloss fallen.
Er ging ihr nach. »Das ist Quatsch und du weißt es! Du vergisst, dass ich fast siebzehn bin.«
»Na und?«, fragte sie kühl, zog vor dem Spiegel den Kamm durch ihr Haar. »Ist das auch schon ein Verdienst?«
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