»Cheers!« Mit einem Zug kippte ich die Flüssigkeit herunter und lauschte in mich hinein. Wann hatte ich schon einmal so einen guten Whiskey getrunken? Schließlich erinnerte ich mich. »Vor vier Jahren, nehme ich an? Wir saßen genau hier. Es war kurz nachdem ich ...« Jetzt stockten meine Worte.
»... ihn kennenlernte?«, vervollständigte Bashir meinen Satz und nickte leicht. »Deinen Seelenverwandten? Deinen Geliebten? Deinen Gefährten in finsterer Nacht?«
»Meinen Freund, ja.« Ich hätte Bashir stundenlang zuhören können. Als er mich vor etlichen Jahren in die Künste der Magie und der Liebe einwies, verbrachte ich viele Nächte oben in seiner Wohnung. Als ich zum ersten Mal bei ihm ein Artefakt abholen musste, waren es nur zufällige Berührungen. Doch dann wurden die Besuche häufiger und damit auch die Zärtlichkeiten. Hier ein verstohlener Blick, dort ein kleines Streicheln, das wie ein Versehen wirkte. Eines Nachts bin ich geblieben, von seiner Art so mystisch angezogen, dass ich ihm stundenlang dabei zuhören konnte, wie er mit einer unglaublichen Hingabe über vergangene Epochen redete. Es war eine Wonne gewesen, ihm zu lauschen, wie er über seine Dienstzeit am Hof des Tudorkönigs Heinrich VIII. philosophierte oder die Schönheiten vom Schloss Versailles beschrieb, als es 1661 umgebaut wurde. Doch heute lief mir die Zeit davon.
»Du vermisst ihn«, stellte Bashir kühl fest, schenkte mir nach und nippte seinerseits am Glas. »Es ist lange her, seitdem ihr euch gesehen habt.«
»Fast zwei Jahre.«
»Briefe und elektronische Nachrichten ersetzen keine Beziehung.«
Es wunderte mich nicht, dass er dies wusste. Maddox, mein Freund, oder was er auch immer war, wurde nicht müde, mir von seinen Reisen zu berichten. Aus dem tiefsten Russland hatte er geschrieben, genau wie aus der Sahara-Wüste. Und dies alles für mich. Nie im Leben würde ich diese Schuld beim Sohn des Teufels tilgen können. Genau wie bei Bashir.
»Ihr steht in Kontakt?«, wollte ich wissen. Dabei spürte ich, wie meine Augen sich zu Schlitzen verengten.
Bashir nickte vorsichtig und abwartend. Wollte er meine Reaktion sehen? Großartig! Mein Liebhaber und mein fester Freund unterhielten sich hinter meinem Rücken. Egal, was die Menschen erzählten, dies war für keine Frau ein wirklich schöner Gedanke.
»Isabelle, mein Engel. Lass mich dir eine Frage stellen.«
Die Stimme kam nicht von Bashir. Nun ja, zumindest nicht von diesem Bashir. Durch die Eingangstür trat ein Ebenbild des vor mir sitzenden Mannes. Seine Haare waren kurz und modern geschnitten. Er trug einen Anzug mit Einstecktuch. Etwas Blut benetzte seine rechte Wange.
»Ich möchte, dass du sie der Wahrheit entsprechend beantwortest«, sagte dieser Bashir, nahm dem ersten das Whiskeyglas aus der Hand und trank einen Schluck.
Eine neue Stimme gesellte sich dazu. »Es liegt mir fern, dich so schroff um etwas zu bitten, aber du verstehst sicherlich, dass die Lage sich hier in New York geändert hat.« Dieses dritte Abbild von Bashir sah aus wie ein Obdachloser. Zerrissene Kleidung, ein Basecap, Blut an seinen Händen. Auch dieser Spiegel gesellte sich zu mir und legte behutsam seine Hand auf die Lehne des Sessels. Mit einer angedeuteten Verbeugung nahm er das Einstecktuch des anderen Spiegels an sich und wischte sich das Blut von der Hand.
»Ein Auftrag?«
Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. »Sagen wir, eine etwas aggressive Verhandlung.«
»Wie oft hast du dich geteilt?«, wollte ich von dem Mann mir gegenüber wissen.
»Zweimal. Irritiert es dich?« Er klang ehrlich besorgt.
Oftmals hatte ich seine Kräfte mehr als genossen. Schließlich war der Sex mit ihm ... nun ja ... Bashir war ein Duplikator und konnte sich so oft spiegeln wie es seine Kraft erlaubte. Unzählige Male hatte ich seine Zärtlichkeiten genossen, war seinen Verführungskünsten erlegen gewesen und war immer wieder hierhergekommen, weil ich genau das wollte.
»Ein wenig«, gab ich zu.
Sofort schloss Bashir die Augen. Die Umrisse der beiden anderen Bashirs verschwammen, bis nur noch Silhouetten von ihnen übrig waren, und die drei Männer verschmolzenen im Licht. »Bekomme ich nun eine Antwort?«, fragte er.
Ich schlug die Beine übereinander, zog meinen Rock zurecht und sah ihn scharf an. »Stell mir die Frage.«
»Was weißt du über deine Vergangenheit vor dem Zirkel.«
Seufzend stellte ich das Glas auf den Beistelltisch und sah ihn an. »Also schön. Ich war noch klein, fünf Jahre alt vielleicht, als Marie mich im Heim abholte. Alles vor dieser Zeit ist grau, nicht mehr Teil meiner Erinnerung oder vergraben unter dicken Staubschichten im hintersten Winkel meiner Seele. Seit damals lebe ich im Wohnbereich des Zirkels. Ich ging auf eine normale Schule, machte meinen Abschluss. Alles unter der Obhut der Hexen, allen voran meine Lehrerin, Mentorin, Ziehmutter. Es war nur die logische Konsequenz, dass ich an meinem neunzehnten Geburtstag den ewigen Vertrag mit meinem Blut unterschrieb, der mich für immer an den Zirkel binden sollte. Es war mein Zuhause und würde es immer bleiben. Ein anderes hatte ich nie und wollte ich auch nicht haben.«
Nachdenklich fuhr Bashir sich über die glattrasierte Haut seines Kinns. Ein Mann, der sich viel Zeit zum Nachdenken ließ. Seine dunklen Augen fixierten mich. »Vielen Dank für deine Ehrlichkeit.«
»Warum fragst du mich das?«
»Es ist wichtig, für ... deinen Geliebten.«
»Er kennt die Geschichte.« Meine Stimme hörte sich trotzig an.
»Vielleicht sucht er nach einem Detail, das uns entgangen ist.«
»Und wieso fragt er mich das nicht selbst?«
Erneut nippte Bashir am Whiskeyglas. »Das wird er, meine Liebe. Das wird er.«
Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Herz einen Sprung machte. »Hat es mit der Umwälzung zu tun? Mit den vier Kindern des Teufels?«
»Selbstverständlich.« Bashir öffnete die Arme. »Es hat alles miteinander zu tun. Ich nehme an, dass die Informationen aus dem Club heute Abend nützlich waren ...«
»Sehr sogar.« Ich richtete meinen Zopf und blickte aus dem Fenster. »Nur noch wenige Wochen, dann ist es soweit. Es soll hier stattfinden. In New York City.«
Dieser Gedanke schien Bashir zu amüsieren. Er lächelte verhalten. »Natürlich. Der Fürst der Finsternis hatte schon immer eine Schwäche für große Auftritte. Du weißt doch: Eitelkeit.«
Immer noch sitzend, drehte ich meinen Kopf und betrachtete die Menschen durch das Schaufenster. Feixend und staunend schritten sie an den gläsernen Fassaden vorbei. Händchenhaltende Paare oder einsame Seelen, die in dieser warmen Nacht nach jemandem suchten. Sie alle waren in Gefahr. Würden sie in einigen Wochen noch leben? Oder unter des Teufels brennender Peitsche ein Dasein in Angst fristen? Sollten die Höllenbewohner wirklich die Kontrolle über unsere Welt erlangen, wäre das Gleichgewicht für alle Zeiten zerstört. Das Leben wie wir es kannten, wäre vorbei und der Zirkel, der die Menschen beschützen sollte, hatte versagt. Ob sie uns Hexen einfach töten würden? Die Antwort war so einfach wie offensichtlich. Sollte die Umwälzung erfolgreich sein, drohte uns Schlimmeres. Als ob man einen Cop in den Knast einsperren würde. Schnell erhob ich mich.
»Ich sollte gehen. Vielen Dank für den Drink und deine Mühen.«
Auch Bashir stand auf. »Du bist hier immer willkommen.«
Gerade als ich zur Tür schreiten wollte, spürte ich, wie meine Knie nachgaben. Der Tisch, auf dem Saladins Dolch stand, musste als Stütze herhalten. Dies war kein Zauber, kein Fluch und auch keine Beschwörung, ich war einfach ausgelaugt, erschöpft und am Ende meiner Kräfte. Sofort war Bashir zur Stelle.
»Glaub mir, wenn man so lange lebt wie ich es tue, lernt man die Menschen zu lesen. Du solltest heute Nacht nicht mehr auf der Straße sein. Eine Hexe, die vor Erschöpfung keine Magie anwenden kann, nützt dem Zirkel auch nichts.«
Ich wollte