»Wenn Sie mir bitte folgen.« Sie hätte behaupten sollen, dass sie ausgebucht wären. Dieser Kerl bedeutete Ärger – sie fühlte es. Selbst wenn er noch so sympathisch lächeln konnte. Anderseits konnte sie es sich nicht leisten, einen Kunden zu vergraulen.
Im Büro erledigte sie flink die nötigen Formalitäten. »Wenn Sie das hier bitte ausfüllen würden.« Sie reichte ihm das für den Papierkram übliche Formular und er blätterte ein Bündel Zwanzigdollarnoten auf den Tisch – Geld, das sie zwar dringend brauchen konnten, sie aber nicht retten würde.
»Dann zeige ich Ihnen, wo Sie schlafen werden.« Robyn schenkte ihm ihr hübschestes Lächeln und führte ihn zu einem der leer stehenden Bungalows. Es war genau der neben dem, den sie mit Megan bewohnte, und sich eine Terrasse mit ihrem teilte. Sie schloss ihm die Tür auf.
Wachsam sah er sich in dem karg möblierten Zimmer um und warf einen inspizierenden Blick in das Bad. Beinahe wie ein Hoteltester.
»Schön sauber«, lobte er, schlenderte gemächlich ans Fenster und öffnete es. Seine Präsenz erdrückte sie. »Sie haben hier eine Wahnsinnsaussicht, Miss Clarkson.«
Zikaden zirpten in der Vormittagshitze. Dunkelgrün erhoben sich die Tannenwälder am anderen Ufer über das Wasser des Sees. Dahinter ragten dunkelblau die Wälder der umliegenden Berge auf. Und die Sonne glitzerte sanft in den Wellen.
Robyn seufzte unterdrückt. Ja, sie würde Paradise vermissen.
»Danke, Mr ...«
»John«, kam er ihr zuvor und lächelte sympathisch. »Bitte nennen Sie mich John.«
»Gut, John ...« Wie nett der Name auf der Zunge lag. »Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns.« Sie rang nach Atem. Er brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht und sie war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel. »Wir grillen jeden Abend so gegen sechs. Catherine und Randy servieren heute Spareribs, und Fisch aus dem See. Frühstück gibt es morgen ab sieben. Und wenn Sie ...«
»Kommen Sie auch?« Er taxierte sie auf höchst männliche Weise. »Zum Abendessen, meine ich.«
»Natürlich. Ich muss mich doch um unsere Gäste kümmern.«
»Nett.« Er strahlte sie an und ihr Herz machte einen Satz. Dabei hatte sie gehofft, dass sie inzwischen gegen den Charme der Männer immun wäre.
Sie schenkte ihm einen letzten Blick und fand, dass er viel zu gut in seiner Motorradkluft aussah.
***
Fünf Gästebungalows befanden sich auf ihrem Grundstück – ihr Dad hatte damals sein ganzes Geld in ihre Errichtung investiert. Er hatte immer geglaubt, wenn erst einmal alles Notwendige da wäre, würden die Gäste von allein hierher finden. Doch so einfach war es nicht.
Die, die durch Zufall von diesem Ort erfuhren, kamen fast jedes Jahr wieder. Aber Robyn machte sich keine Illusionen – die meisten Menschen konnten Paradise nicht einmal auf einer Landkarte finden. Hier lebten nur die, die bereits hier aufgewachsen waren und jene, die im »Paradies« einen kleinen Zwischenstopp eingelegt hatten und anschließend geblieben waren. Wie der alte Perkins, der gerade ... Oh nein, nicht schon wieder!
»Hey Robyn«, polterte er und hielt die Überreste von etwas in die Höhe, das bis vor Kurzem eine Seerose gewesen sein mochte. Seine Miene verhieß nichts Gutes. »Einer deiner verdammten Kanuten hat sich schon wieder auf meiner Seite des Sees rumgetrieben. Und meine Seerosen überfahren.«
Robyn seufzte. »Mehr als es ihnen sagen, kann ich nicht, Charlie. Aber du weißt ja, wie achtzehnjährige Jungs sind.«
»Und ich weiß auch, was er von meiner Tochter will. Sag ihm, er soll sich von meinem Steg und meinen Seerosen fernhalten. Und von meiner Tochter!«
»Ich bin nicht Jimmys Mutter, Charlie«, fauchte sie zurück.
»Wie auch immer – ich will nicht, dass meiner kleinen Jodie dasselbe passiert, wie ... wie ...« Perkins verstummte.
»Wie wem, Charlie?« Ihr Ton hatte unbeabsichtigt an Lautstärke zugenommen. Perkins winkte ab, murmelte irgendetwas, das nach »Schon gut« klang, und entfernte sich. Robyn atmete tief durch und blickte auf den See hinaus. Ihr Dad hatte damals zusammen mit den Gästehäusern drei Segelboote gekauft und je ein halbes Dutzend Kanus, Ruder- und Tretboote. Alle befanden sich draußen auf dem Wasser. Aber kein achtzehnjähriger, hormongesteuerter Jimmy.
Dafür er.
John.
Sein splitternackter Körper blitzte zwischen den Wellen auf. Sie blinzelte. Sah sie gerade wirklich, was sie zu sehen glaubte?
»John!« Robyn errötete und eilte ans Ufer. Das Johlen mehrerer Jugendlicher, die sich mit den Tretbooten eine Wettfahrt lieferten, übertönte ihren Ruf. »John!«, rief sie noch lauter.
Obwohl sie es nicht für möglich hielt, hatte er sie gehört und kraulte auf sie zu. Seine Füßen fanden Grund und sein sich bestens in Form präsentierender Oberkörper tauchte aus dem Wasser auf. Bis knapp über die Hüften. Mit einem unwiderstehlichen Grinsen wischte er sich das Nass aus dem Gesicht. Wassertropfen glitzerten in dem gelockten dunklen Haar unterhalb seines Nabels. Sie hielt den Atem an.
»W-Was tun Sie da, John?« Sie hatte das Gefühl, hochrot anzulaufen. »Nacktbaden ist hier verboten. Die Stadtverwaltung von Paradise nimmt das sehr genau.«
»Ich habe leider keine Badehose dabei, Miss Clarkson.« Er grinste wie ein Schuljunge, der von seiner hübschen jungen Lehrerin beim Schummeln erwischt worden war.
»Ich bin mir sicher, im Shop habe ich noch eine oder zwei ... Wenn Sie also bitte aus dem Wasser kommen würden.«
»Nichts lieber als das.« Er lachte und kam mit kräftigen Schritten ans Ufer gewatet. Sie sah das Unglück kommen. Mehr und mehr zeigte sich, was er nabelabwärts zu bieten hatte – und das war nicht gerade wenig.
»Moment! Warten Sie noch ...«
»Worauf?« Er grinste, als wäre er sich seiner eigenen Nacktheit gar nicht bewusst.
»Ich ... ich muss Ihnen erst ein Handtuch ...«
»Ach«, tat er ab. »Das geht auch so.«
»Nein ... Nein, bitte.« Robyn blickte sich erhitzt in alle Richtungen um und schattete ihre Augen ab. Mit einer unerhörten Selbstverständlichkeit stapfte dieser Kerl aus den Wellen. Und natürlich war weit und breit kein Handtuch zur Hand. Aus den Augenwinkeln bekam sie mit, dass einige ihrer Tagesgäste interessiert herüberblickten. Und der alte Perkins schüttelte den Kopf. Na bestens! Auf das Gerede bei der nächsten Stadtratssitzung freute sie sich jetzt schon.
Was soll’s ... In einem Jahr war das alles ohnehin nicht mehr wichtig. Und vielleicht konnte sie dann sogar darüber lachen.
Ihr Blick streifte Johns strammen Po und blieb daran haften. Nass glänzte er in der Vormittagssonne. Auf den Schultern und seinem Rücken prangten Tattoos, aber nicht so viele, dass er dadurch abstoßend wirkte. Unbeirrt schlenderte er den Weg hinauf in seine Unterkunft.
»Sie wissen, wie man einen bleibenden Eindruck hinterlässt, nicht wahr, John?!«, rief sie ihm hinterher.
»Das will ich doch hoffen.« Er wandte den Kopf und zwinkerte ihr über die Schulter hinweg zu. Sein Lächeln ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Und nicht nur sein Lächeln ...
***
Robyn errötete unwillkürlich, als er ihr am frühen Nachmittag erneut über den Weg lief. Und das, obwohl er angezogen war. Vielleicht lag es auch daran, dass sie ihr Kleid gegen poknappe Jeans und eine luftige Bluse eingetauscht hatte und jetzt noch mehr Bein zeigte. Es hätte ihr eigentlich egal sein müssen, dennoch fragte sie sich, ob er sie hübsch fand.
»Sie gehen aber nicht nackt zum Abendessen, oder?«
»Bestimmt nicht ...« Ein sonniges Lächeln erhellte sein Gesicht. Was für ein attraktiver Kerl. Die glitzernden Wassertropfen in den Härchen unterhalb seines Bauchnabels