»Du bist in den Nachrichten, Sam«, rief ein Kollege.
Samantha sah auf den Bildschirm und erhaschte gerade noch einen Blick auf sich selbst, wie sie auf den Mann einredete und ihm die Hand reichte. Ihr Kaffeebecher fiel vor ihre Füße und explodierte wie eine Wasserbombe. Eine brühend heiße Wasserbombe.
»Vom Obdachlosen zum Millionär – ein Beispiel für den großen amerikanischen Traum. Das war für WKL-TV ...«
»Sam«, rief Caleb mit extrabreitem Grinsen. »Du hast Besuch.«
Sie wandte den Kopf. Und da stand er.
Jared Carter.
Wie eine andere Version seiner Selbst. Mit denselben hübschen Augen. Und einer Ausstrahlung, der sie sich nur schwer entziehen konnte. Dass der verschüttete Kaffeebecher zu ihren Füßen lag, war ihr mit einem Mal unheimlich peinlich.
»Hallo Samantha«, sagte er. Sie versteifte sich. Hätte sie den Kaffee nicht schon fallen gelassen, sie hätte es spätestens jetzt getan. Der angenehm tiefe Klang seiner Stimme brachte gewisse Saiten in ihr zum Schwingen. Und diesmal war nichts von der panischen Angst vor dem Tod in ihr zu spüren.
Teufel, sah er gut aus. Ihr Herzschlag setzte für eine Sekunde aus und kam nur holpernd wieder in Schwung. Was eine Rasur, eine Dusche und ein gut sitzender Anzug nicht alles bewirken konnten.
»Hallo«, erwiderte sie steif. Steifer als beabsichtigt. Sein selbstsicheres, beinahe fröhliches Lächeln brachte sie komplett aus der Fassung. Sie hätte nicht gedacht, ihn jemals wiederzusehen.
»Wie ich sehe, haben Sie mein Geschenk schon ... eingeweiht.« Zwinkernd nickte er zu dem Kaffeesee zu ihren Füßen.
Sie glaubte, im Erdboden zu versinken und brachte kein Wort heraus.
»Sie ...« Etwas sprachlos sah er über seine Schulter zu ihren grinsenden Kollegen, die erwartungsvoll herüberstarrten, als wäre das hier ihre ganz persönliche Soap. Sie machten nicht einmal den Versuch, beschäftigt zu wirken.
»Sie ... Sie haben mir das Leben gerettet«, brachte er schließlich hervor.
»Das war mein Job.« Sie fühlte, wie platt diese Antwort klang, aber sie war eben ein Cop – keine Dichterin.
»Und trotzdem ... will ich mich bedanken.«
Sie brachte ein Lächeln zustande.
»Hätten Sie Lust, mit mir heute Abend Essen zu gehen?«
»Ich ...« Essen? »Ich ...« Ihr Atem beschleunigte sich. Sie hatte heute Abend Dienst.
»Ich habe heute Abend keine Zeit ...«
»Doch, hat sie«, schritt Caleb dazwischen. Er grinste.
Samantha warf ihrem Sergeant einen bösen Blick zu. »Aber ich muss ...«
»Schon gut, Brian übernimmt für dich.« Cal grinste noch breiter.
Sam fühlte sich völlig überrumpelt.
»Dann heute Abend um acht«, fasste Jared zusammen. »Ich hole Sie ab.«
***
Ihr Sergeant – Caleb Bricks – hatte einmal gemeint, ihr Lächeln wäre viel zu hübsch für einen Cop. Trotzdem – oder gerade deswegen – fühlte sich Samantha unwohl in dem körperbetonten Jerseykleid, das man leicht mit einem Longshirt hätte verwechseln können. Was das betraf, war sie schon in der Highschool immer das zurückhaltende Mädchen gewesen. Sie lebte in einer Männerwelt und hatte stets versucht, der Sohn zu sein, den sich ihr verstorbener Dad gewünscht hatte.
»Sie sehen hinreißend aus, Samantha«, sagte Jared, als er einen Blick über ihren Körper gleiten ließ.
Samantha errötete. In ihrer Uniform hätte sie sich bedeutend sicherer gefühlt. Weniger verletzlich. Weniger attraktiv für die Männeraugen, die verstohlen von den anderen Tischen herüberblickten und ihr auf den Po und ihre Schenkel starrten. Sie zeigte definitiv zu viel Bein und die hohen Absätze ihrer Pumps machten es nur noch schlimmer.
»Ganz bezaubernd.«
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihr letztes Date gehabt oder zuletzt ein Kleid getragen hatte. Und jetzt saß sie hier. Mit ihm. In einem der teuersten Restaurants von San Francisco. In einem Restaurant, in das sie wahrscheinlich ohne ihn nie gegangen wäre. Das hier war eine komplett andere Welt. Am Horizont hob sich schwarz die Brücke vor dem flammenden Abendhimmel ab.
»Auf immer neue Chancen im Leben.« Er hob sein Glas.
»Auf neue Chancen.« Sie stieß mit ihm an und nippte an ihrem Drink. Fast etwas zu hastig und ein wenig unbeholfen. Schnell wischte sie sich eine honigblonde Strähne aus der Stirn. »Erzählen Sie mir von Ihrem Buch.«
Er lächelte bescheiden und zuckte mit den Schultern. »Es handelt von Ihnen.«
»Von mir?!«
»Nun ja ... zumindest das letzte Drittel.« Er zwinkerte unwiderstehlich.
»Ich würde es gern lesen.«
Er griff in seine Tasche und holte ein Exemplar hervor. Hardcover. Mit einer teuren Füllfeder schrieb er etwas auf die erste leere Seite.
»Nur Narren können Engel mit Stripperinnen verwechseln. Für Samantha – in immerwährender Dankbarkeit,
Jared.«
Ihr Blick konnte sich kaum von seiner schönen Handschrift lösen. Er half ihr aus der Verlegenheit, indem er ihr das Kapitel aufschlug, in dem sie in Erscheinung trat. Und schon vom ersten Wort an war sie ergriffen. Wie mühelos die Sätze zu Papier gebracht waren.
Wie schaffte er das? Sie auf einer Seite zu charakterisieren und ihre ganze Existenz damit abzudecken? Er urteilte nicht über sie, sondern zeichnete sie in den strahlensten Farben.
»Schön.« Ihre Stimme war ein Flüstern. »Woher wissen Sie das alles?« Sie sah ihm in die Augen. »Woher kennen Sie mich?«
»Tue ich das wirklich?« Er erwiderte ihren Blick. »Ich hatte gehofft, Ihnen gerecht zu werden, ohne Ihnen ... mit Google, Facebook und anderen sozialen Netzwerken nachschnüffeln zu müssen. Ich hoffte, es wäre mir gelungen.«
Es tat ihr leid, dass er sie falsch verstanden hatte. Wahrscheinlich hatte sie wieder einmal zu sehr wie ein Cop geklungen.
»Ich ... Ich bin sprachlos.« Insgeheim beneidete sie ihn, sich so wundervoll mit Worten ausdrücken zu können. Und dieses Talent hatte er mit einem Sprung von der Brücke zerstören wollen. Was für eine Verschwendung. »Sie kannten mich doch nur ... eine Stunde.«
»In dieser Stunde bin ich gestorben – ohne es zu wissen. Und wurde dank Ihnen wiedergeboren. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Aber ich erinnere mich an jedes Wort, das Sie gesagt haben.« Er blickte auf die Serviette vor ihm auf dem Tisch. »Ich schulde Ihnen alles, Samantha.«
Sie schluckte. Glücklicherweise wurde das Essen serviert und bewahrte sie vor der Peinlichkeit, etwas darauf erwidern zu müssen. Sie hätte ja doch nicht das Richtige zu sagen gewusst, um zu beschreiben, wie sehr sie seine Worte bewegten.
Konnte es sein, dass sich zwei Menschen, die sich nur für eine einzige Stunde in die Augen gesehen hatten, näherstanden als Menschen, die sich jeden Tag begegneten?
Sie sah ihm ins Gesicht und sein attraktives Lächeln scheuchte alle Schmetterlinge in ihrem Bauch hoch. Jared sah wirklich attraktiv aus – und wenn sie nicht höllisch aufpasste ...
Das kam ihr alles so verrückt vor. Verrückter als alles andere, was sie bisher erlebt hatte. Verrückt genug, um zu ihm in den Wagen zu steigen und ihn nach Hause zu begleiten?
Ja. Ein hervorragendes Essen und eine kurze Autofahrt später stieg