Im nächsten Augenblick wird er durch die Luft gewirbelt und landet zunächst auf der Motorhaube des Wagens. Danach entfernt sich der Unfallwagen mit überhöhter Geschwindigkeit vom Ort des Geschehens. Ihr Atem stockt. Ihre Augen weiten sich. Sie fühlt sich wie gelähmt. Sie will schreien, aber die Worte bleiben in ihrem Hals stecken, verebben. Tränen steigen in ihr hoch. Sie zerrauft sich ihr Haar, das gerade noch sehr ordentlich frisiert hochgesteckt war. Mit einem dumpfen Schlag landet er wieder auf der Fahrbahn. In diesem Moment durchfährt sie ein unsagbarer Schmerz. Vor einem anderen Wagen, der gerade um die Ecke gebogen und zum Stehen gekommen ist, kommt er zum Erliegen. Sally schlägt ihre Hände vors Gesicht und stößt nun einen lauten, beängstigenden Schrei aus. Unter Joeys Kopf breitet sich sofort eine riesige Blutlache aus. Völlig verstört läuft Sally aus dem Lokal, hin zur Unfallstelle und kniet neben Joey nieder. Tränen laufen über ihre Wangen, tropfen auf Joeys lebloses und entstelltes Gesicht. Seine Augen sind weit aufgerissen und er starrt sie an. Sein Mund steht offen, als hätte er ihr noch etwas sagen wollen. Verzweifelt schreit sie um Hilfe. Die Passanten laufen zusammen und gestikulieren wild. Sie kann nichts mehr hören. Kann nicht verstehen, was sie sagen. Gleich darauf ertönt das Signalhorn der herannahenden Ambulanz. Männer in grauen T-Shirts und schwarzen Hosen wimmeln um sie herum. Der Notarzt stellt seinen Koffer neben Joey auf den Boden und ergreift alle nötigen Maßnahmen. Zuerst kommt der Defibrillator zum Einsatz. Dann versucht der Sanitäter die Blutung am Kopf mit einer Kompresse zu stillen. Fast gleichzeitig legt der Arzt einen Venenzugang und verabreicht eine Infusion und Sally hofft. Inständig. Sie weint. Sie blickt in sein starres Gesicht und schluchzt: »Lass mich nicht allein. Joey. Bitte. Hörst du?«
Doch Joey kann sie nicht mehr hören. Er kann niemanden mehr hören. Ihre Augen füllen sich abermals mit Tränen, verschleiern ihren Blick. Sie kann ihren Schmerz nicht mehr unterdrücken. Das Szenario dauert endlos. Sie hat kein Zeitgefühl mehr. Während Joeys Körper durch das Elektroschockgerät auf und ab bewegt wird, breitet sich unter ihm eine immer größer werdende Blutlache aus. Joey bewegt sich nicht. Er atmete nicht. Er liegt einfach nur da, mit einem im Schockzustand befindlichen Gesichtsausdruck. Sicher hat er durch den Aufprall innere Verletzungen erlitten und zu viel Blut verloren. Der Notarzt sieht Sally an. Er schüttelte den Kopf. Ein tiefes Schluchzen durchfährt ihren zarten Körper. Sie ringt die Hände. Es ist vorbei. Joey ist tot. Die Liebe ihres Lebens von einer Sekunde auf die andere ausgelöscht. Um Sally herum dreht sich alles. Jemand legt ihr die Hand auf die Schulter. Es ist Pietro.
»Signora, kommen Sie«, und er bietet ihr seinen Arm an, den sie dankend annimmt. Während sie dem Lokal entgegengehen, fragt er sie: »Kann ich jemanden für Sie anrufen?«
Doch Sally sieht ihn nur mit tränennassen Gesicht an und fragt gedankenverloren: »Wen? Wen soll ich denn anrufen? Ich habe doch nur ihn«, schluchzt sie und er nimmt sie ohne Worte in den Arm, wiegt sie darin hin und her. Ihm kommen selbst die Tränen, weil es ihm ein Rätsel ist, wie man als junger Mensch so mutterseelenallein sein kann. Bei italienischen Familien ist das völlig anders. Wenn man Pech hat, beehren sie einen mit ihrer Anwesenheit auf einmal und füllen einem das Haus bis unters Dach, sodass es zu platzen droht. Pietro bugsiert die Signora Richtung Lokal, vorbei an den neugierigen Passanten und dem Rettungspersonal. Sofia kommt ihnen wild gestikulierend entgegen und als sie völlig aufgelöst ihr Klagelied in Italienisch anstimmt, wirft ihr Pietro einen bösen Blick zu und sie zieht sich in die Küche zurück, wo sie weiterjammert. Die Polizei ist bereits an der Unfallstelle eingetroffen und einige Passanten, die den Unfallhergang beobachtet haben, geben ihre Aussagen zu Protokoll. Leider hat niemand das Kennzeichen des Unfallwagens gesehen, weil dieser sofort nach dem Aufprall weiterfuhr. Auch bei der Automarke selbst sind sich die Zeugen nicht einig. Die einen meinen, es wäre ein Mercedes gewesen, die anderen wiederum sagen, es könnte sich um einen Cadillac gehandelt haben. Während Pietro Sally einen Platz in einem Nebenraum anbietet betritt einer der uniformierten Polizisten das Lokal. Zunächst sieht er sich um, bis ihm ein Gast den Weg in das Extrazimmer weist. Er tritt über die Schwelle und geht auf Sally zu.
»Sind Sie die Verlobte von Joey Winter?«, will er nun von ihr wissen und sie nickt.
»Es wird nicht lange dauern, wir haben nur ein paar Fragen an Sie«, meint er weiter, dabei überreicht er ihr ein kleines Schmuckkästchen.
»Wir nehmen an, dass das hier für Sie bestimmt war. Wir haben es in der Innentasche seines Jacketts gefunden, als wir nach den Personalien gesucht haben«, und Sally nimmt es entgegen. Als sie es in der Hand hält, schließt sie ihre Augen, dabei entfährt ihr ein tiefes Schluchzen, weil sie weiß, welchen Inhalt es beherbergt. Wenn man jetzt glaubt, Polizisten hätten kein Herz und machen nur ihren Job, täuscht man sich hierbei gewaltig, denn dem jungen Mann fällt es extrem schwer, zur Tagesordnung überzugehen, um seine üblichen Fragen zu stellen.
»Können Sie zu dem Unfallhergang etwas sagen?«, fragt er vorsichtig und Sally schüttelt den Kopf. Sie erklärt ihm, dass sie nur eine schwarze Limousine mit überhöhter Geschwindigkeit herannahen sah, dass Joey im nächsten Augenblick durch die Luft gewirbelt wurde und der Fahrer in seinem Wagen geflohen ist. Das Kennzeichen konnte sie sich nicht merken, weil sie nur Augen für den blutüberströmten Joey hatte. Mehr kann sie zur Aufklärung des Unfallhergangs nicht beitragen. Der Polizist bedankt sich bei ihr und drückt ihr seine Visitenkarte in die Hand, falls ihr noch irgendein wichtiges Detail einfällt. Danach verlässt er das Lokal. Pietro reicht ihr ein Taschentuch und fragt sie nochmals: »Gibt es jemanden, den ich für Sie anrufen kann?«, denn er kann es einfach nicht glauben, dass die schöne Signora keinen Menschen außer diesen armen Joey gehabt haben soll.
»Eine Freundin vielleicht oder jemanden aus der Familia?«, und dazu vermeidet er bewusst, die Mutter oder den Vater zu erwähnen, denn er kennt die näheren Umstände nicht und will die Signora nicht nur noch mehr ins Unglück treiben. Sallys Schmerz sitzt tief, sie schluchzt und Pietro hat Mühe sie zu verstehen.
»Meine. Freundin. Nora«, stößt sie unter Tränen hervor, putzt sich kurz die Nase und will schon Anstalten machen, aufzustehen, um ihre Handtasche vom Tisch zu holen. Doch die hat Pietro bereits in