„Ich war gerade dabei, den Papierkram für Ellingtons nächsten Fall fertig zu machen, als McAllister anrief und mir von dem Unfall erzählte. Das mag jetzt vielleicht unsensibel klingen, aber ich brauche einen Agenten für den Fall und zwar sofort.“
Mackenzie wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen und schwieg daher. Doch als auch McGrath nichts weiter sagte, konnte sie sich nicht zurückhalten. „Ich kann es machen, Sir.“
„Deshalb rufe ich an. Ich hatte vor, McAllister zu schicken, aber ich will ihn nicht von dem Fall wegziehen, in dem er gerade steckt. Vor allem da er und Ellington den schon fast unter Dach und Fach haben.“
„Dann geben Sie ihn mir.“
„Sind Sie sicher, dass Sie bereit sind?“
Die Frage irritierte sie, aber sie schluckte die Verunsicherung herunter. War sie bereit? Nun, sie war nur fünf Monate nach ihrem Kaiserschnitt einem Mörder an eine Felswand gefolgt. Die folgenden drei Monate, die sie zu Hause verbracht hatte, waren seine Entscheidung gewesen. Sie war anderer Meinung gewesen, hatte sich aber bemüht, folgsam zu sein.
„Ja, Sir. Ich hätte nächste Woche sowieso wieder anfangen sollen, oder?“
„Abhängig von dem Resultat unseres Treffens, ja. Aber, White … der Fall ist in Seattle. Sind Sie dafür bereit?“
Sofort wollte sie ja sagen. Aber als ihr das Wort auf der Zunge lag, überlegte sie, wie es sein würde, so weit weg von Kevin zu sein. In den letzten drei Monaten waren sie noch enger zusammengewachsen und sie hatte die Art von Bonding erlebt, von denen alle Bücher sprachen. Sie würde alles für ihren Sohn tun und der Gedanke, für unbestimmte Zeit auf der anderen Seite des Landes zu sein, gefiel ihr nicht. Vor allem, da Kevin mit einem Elternteil zurückbleiben würde, der nur einen Arm zur Verfügung hatte.
Aber McGrath gab ihr sozusagen ihre Karriere zurück. Und das auf einem Silberteller. Sie musste zusagen.
„Das sollte in Ordnung sein, Sir.“
„In Ordnung reicht nicht, White. Hören Sie … ich gebe Ihnen und Ellington zehn Minuten, um darüber zu sprechen. Aber ich brauche einen Agenten, der spätestens heute Abend um sieben im Flieger nach Seattle sitzt. In zweieinhalb Stunden geht ein Flug.“
„Okay. Ich rufe gleich zurück.“
Sie beendete den Anruf und sah, dass Ellington sie beobachtete. Der Arzt hatte damit begonnen, den nassen Gips auf seinen Arm aufzutragen und wickelte die Lagen um das geschwollene, verfärbte Handgelenk. Ellingtons Blick verriet ihr alles, was sie wissen musste. Er hatte zumindest einen Teil der Unterhaltung mitangehört und noch nicht entschieden, wie er dazu stand.
„Also, wo ist es?“, fragte Ellington. „Das ist das einzige, was ich nicht verstehen konnte.“
Er grinste sie an und sie wusste, dass er das gesamte Telefonat gehört hatte. Sie witzelten oft, wie unglaublich laut McGrath am Telefon war.
„Seattle. Ich würde heute Nachmittag oder Abend losmüssen.“ Sie sah Kevin an und schüttelte den Kopf. „Aber ich kann dich nicht mit ihm alleine lassen … nicht mit einem gebrochenen Arm.“
„Mac, ich kann sehen, wie gerne du annehmen möchtest. Kevin und ich kommen schon klar.“
„Liebling, du kannst seinen Windeln ja kaum mit zwei Händen wechseln.“
Er nickte. Obwohl sie scherzte, verstand er ihr Argument. Doch er schien einen Gedanken zu haben. Eine Weile schwiegen sie beide. Lediglich das Anlegen der nassen Gipslagen störte die Stille. Auch der Arzt schwieg und gab sich Mühe, ihre seltsame Situation zu respektieren.
„Weißt du was?“, sagte Ellington. „Meine Mutter hat schon mehrmals gefragt, wann sie mal wieder Zeit mit Kevin verbringen kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sofort ja sagen würde. Du hast doch nicht vergessen, wie sehr sie das Gefühl liebt, den Tag gerettet zu haben?“
Mackenzie dachte darüber nach. Sie und Ellington hatten beide keine einfache Beziehung zu ihren Müttern. Doch seitdem sie ihnen einen Enkel geschenkt hatten, waren Wunder geschehen. Und ja, es war egoistisch, aber seine Mutter zu Besuch zu haben, wenn sie selbst nicht vor Ort war, wäre prima. Mackenzie gab zwar vor, sie zu mögen, wenn sie in der Nähe war, doch auch Ellington wusste, dass seine Mutter und Mackenzie aneinander aneckten.
„Hat sie überhaupt Zeit?“
„Wir sprechen von meiner Mutter“, sagte Ellington. „Was könnte sie sonst vorhaben? Außerdem hat der Kleine sie längst um den Finger gewickelt. Selbst wenn sie etwas anderes vorhätte, würde sie das für ihn nur zu gerne ausfallen lassen. Ich ruf sie an. Und du gibst McGrath Bescheid.“
Bevor sie etwas entgegensetzen konnte, zog Ellington bereits mit seinem gesunden Arm das Handy aus der Tasche. Der Arzt sah ihn streng an und unterbrach das Eingipsen.
Mackenzie rief McGrath ebenfalls an. Während das Telefon klingelte, sah sie Kevin an. Er war damit beschäftigt, seinen Vater anzusehen und zu lächeln. Obwohl ihr Herz bereits vor Aufregung klopfte, so plötzlich wieder zu arbeiten, bereitete es ihr auch Sorgen, wie es sein würde, so weit weg von ihrem Baby zu sein. Vermutlich würde sie sich oft in dieser Lage befinden, solange sie zwischen ihren zwei großen Lieben – der Arbeit und der Familie – stand.
Und jetzt, wo ein frischer Fall auf der anderen Seite des Landes auf sie wartete, wusste sie, dass sie sich an dieses Gefühl auch nie wirklich gewöhnen würde.
KAPITEL DREI
Der Abschied fiel Mackenzie schwerer, als erwartet. Es half nicht, dass ihr Mann einen frischen Gips hatte und ihre Schwiegermutter noch nicht angekommen war, als sie das Haus bereits verlassen musste. Kevin hielt zum Glück gerade seinen Mittagsschlaf. Sie wusste, dass er noch mindestens eine weitere Stunde schlafen und Ellingtons Mutter bis dahin hoffentlich eintreffen würde. Trotzdem hatte sie das Gefühl, ihre Familie im Stich zu lassen. So ähnlich hatte sie sich beim letzten Fall gefühlt, doch dieses Mal traf es sie härter. Dieses Mal war sie selbstbewusster in ihrer Rolle als Mutter und kannte die Kraft, die sie und Ellington gemeinsam hatten.
„Es wird alles gut gehen“, versicherte Ellington ihr, als er sie zur Tür brachte. „Meine Mutter ist absolut überwältigend, sie wird sich zu gut um Kevin kümmern. Und um mich. Gott, sie wird es genießen. Und vielleicht nie wieder gehen.“
„Das hilft nicht gerade.“
Ellington küsste sie auf den Mund. Es war ein Kuss, der noch länger auf ihren Lippen verweilte. Sie hatte sich in den letzten Monaten zu sehr daran gewöhnt. Manche würden sogar sagen, sie sei verwöhnt.
„Geh“, sagte er, während er ihr mit tiefgründiger Leidenschaft in die Augen sah. „Verlier dich für eine Weile in der Arbeit. Ich denke, das wird dir guttun. Wir werden hier sein, wenn du zurückkommst.“
Er gab ihr einen Klaps auf den Po, um die Ernsthaftigkeit seiner Stimme zu verdrängen. Sie liebten einander mit aller Kraft und das wussten sie. Aber keiner von beiden, und vor allem nicht Ellington, war je besonders gut darin gewesen, das auszudrücken.
Sie küssten einander noch ein letztes Mal und dann war Mackenzie im Flur und die Tür hinter ihr schloss sich. Sie hatte einen Rollkoffer bei sich, der klein genug war, um als Handgepäck durchzugehen. Sonst nichts. Langsam ging sie zum Fahrstuhl. Sie war mehr als bereit, zur Arbeit zurück zu kehren, aber vermisste ihre Familie jetzt schon.
***
Im Flugzeug versuchte sie, einen Film anzusehen, aber schlief, zu ihrer Überraschung, bereits nach fünfzehn Minuten ein. Als sie aufwachte, kündigte der Pilot gerade an, dass sie bereits im Landeanflug auf Seattle waren und sie hatte das Gefühl, man hätte ihr Zeit gestohlen. Auf der anderen Seite war sie sich nicht sicher, wann sie zum letzten Mal ein Nickerchen gemacht hatte. Obwohl sie sich