Überdeutlich erkennbar ist der Manichäismus beim pangermanistischen Historiker und Schriftsteller Ewald Banse (1883–1953), welcher der NSDAP 1933 beitrat und dessen Publikationen wie das im Jahr 1926 erschienene Werk Abendland und Morgenland dem nationalsozialistischen Rassismus den Weg ebnen halfen. Gleich zu Beginn heißt es hier:
»Tragik in jedem Menschenleben ist, dass Gut und Böse, helles und dunkles Prinzip, […] mit einem Worte: Gott und Teufel gegeneinander zu Felde liegen und um die Oberhand ringen. […] Gut sein, das heißt, das Böse abtöten. Schlecht werden, heißt das Böse nicht überwinden können. […] Diese Unterscheidung […] findet sich wieder zwischen Rasse und Rasse. Es gibt gute und es gibt schlechte Rassen. Die guten, d. h. schöpferischen Rassen sind die hellen, insbesondere die nordische oder germanische; die schlechten, d. h. nur empfangenden Rassen sind die farbigen, am meisten die schwarze. Nirgends aber auf Erden tritt das Gegenspiel zwischen Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Schaffen und Nachahmen so auffallend, so fesselnd und so lehrreich zutage wie in den beiden Nachbar-Erdteilen Abendland und Morgenland. Beide sind Gegensätze und einander feindselig seit Jahrtausenden. […] So sind Abendland und Morgenland mehr als zwei geographische Begriffe – sie sind schicksalhaft aneinander gefesselt und suchen einander zu überwinden. Es ist der lautlose Kampf von Rasse gegen Rasse, zwischen Herr und Knecht, zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Weiß und Schwarz, zwischen Gut und Böse – nun eben zwischen Gott und Teufel.« (Banse 1926: 7/8)
Die antisemitische Ideologie adaptierte das manichäistische System nicht erst in den Schriften des dt. Nationalsozialismus, sondern bereits im 4. Jh. nach Christi in Gestalt der Konzeption des Antichristen, der das Prinzip der Finsternis bzw. der Antigöttlichkeit verkörpert, für dessen Existenz die Ermordung Christi verantwortlich gemacht wurde. In der Vorstellungswelt der mittelalterlichen Judenfeindschaft bekämpfte der Antichrist als apokalyptische Figur gemeinsam mit den „roten Juden“ als den Mächten der Finsternis Christus bei dessen Wiederkunft. Erst der Sieg Christi beendet die weltliche Gemengelage von Gut und Böse und führt schließlich zur Verheißung.
In Abrede gestellt werden soll damit nicht, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s der Antisemitismus seinen ideologischen Charakter, seine politischen Erscheinungsformen, seine Träger als auch seine Funktionalität veränderte, aber es ist bemerkenswert, dass die moderne Rassenideologie dem manichäistischen Weltbild verhaftet blieb und der „Rassenkampf“ als Endzeitkampf zwischen dem Prinzip des Bösen in der Person des „Semiten“ und dem Prinzip des Guten in Gestalt des „Ariers“ im Mittelpunkt der pseudobiologisch gestützten nationalsozialistischen Weltanschauung und ihres Vernichtungsantisemitismus stand. An die Stelle von Christus trat nunmehr der „Arier“ als Lichtgestalt, als Weltenretter, der die Menschheit vom „Semiten“ erlöst.
Die Kontinuität derlei manichäistischer Denkmuster auf säkularer Grundlage verdeutlicht das klassische Werk des „Rassenantisemitismus“ nämlich Eugen Dührings im Jahr 1881 erschienene Schrift Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Erst dem dt. Nationalsozialismus und Autoren wie Hitler und Rosenberg gelang es, Dührings Manichäismus noch zu steigern, insofern in ihren Schriften „der Jude“ als Sinnbild alles nur erdenklich Bösen sowie als »Urstoff alles Negativen« erscheint. Der 1833 geborene Berliner Philosoph Dühring war zu Lebzeiten einer der einflussreichsten Antisemiten des Wilhelminischen Kaiserreichs. Die sogenannte „Judenfrage“ stellte sich für Dühring als Eigenheit eines elementaren Rassengegensatzes dar, der aus dem Tatbestand resultiere, dass es sich beim Judentum um den Feind aller Kulturvölker handele. Bereits bei Dühring stellen die Juden das „Prinzip der Finsternis“ dar, gegen das sich alle anderen Völker, die das „Prinzip des Lichts“ verkörpern, zu wehren hätten. Bei Dühring handelt es sich um einen endzeitlichen Kampf, der über Untergang oder Überleben entscheidet. Die „jüdische Rasse“ verfolge die Absicht, die Weltherrschaft zu erobern, alle anderen Völker zu unterdrücken wie auszubeuten und sei ein schädlicher „Parasit“, dessen „Wirt“ auf absehbare Zeit absterben werde, wenn es ihm nicht gelinge, den Überlebenskampf aufzunehmen und sich des tödlichen Feindes mittels eines Notwehraktes zu erwehren. Der Manichäismus liegt bei Dühring in aller Klarheit vor, obwohl dieser die Definition des Judentums als einer Religion für irrig hielt. Der Berliner Philosoph sah die jüdische Religion vielmehr als Ausdruck »jüdischer Rasseeigenschaften« und verstand den Monotheismus in antichristlich gewendeter Intention als Eigenheit »jüdischer Intoleranz«. Da der Rassebegriff bei Dühring zentral ist, lehnte dieser folglich eine Taufe bzw. die Konversion entschieden ab, da es so zur »Rassenmischung« komme.
Das »praktische Programm« Dührings sah die »völkerrechtliche Internierung« der Juden vor, die »Ausgliederung« von Juden sowie ihre »Deportation« bei Landesverrat, die Kontrolle ihres Vermögens sowie die Beseitigung ihres Einflusses auf dem Gebiet des Staatsapparats, der Presse und der Erziehung sowie ein Verbot von Mischehen. Als Endziel der von ihm gewünschten Politik bezeichnete Dühring explizit die »Ausscheidung des Judentums«, so heißt es etwa:
»Darum kann auch für die bis jetzt absehbaren Verhältnisse nicht auf die Anwendung jenes leitenden Grundsatzes verzichtet werden, Ausnahmeschädlichkeiten auch mit Ausnahmemitteln zu behandeln. […] Der allgemeine Weg zu einer nicht halben, sondern ganzen Lösung der Judenfrage […] kann kein blos geistiges Princip und auch kein Princip der Judenbesserung sein. Er muss in Einschränkungen von Ausnahmenatur bestehen, die allein für die Angehörigen des Judenstammes gültig sind. […] Der letzte Erfolg systematischer Einschränkungsmassregeln muss nothwendig das verhältnissmässige Zusammenschrumpfen des Judenwesens in Bevölkerungszahl und Reichthum sowie überhaupt in der Theilnahme an Staat und Gesellschaft sein.« (Dühring 1892: 136/137)
Dühring ist als einer der maßgeblichen Propheten des dt. Nationalsozialismus zu bezeichnen, insofern bei ihm der Rassenantisemitismus ganz und gar im Vordergrund steht und selbst die jüdische Religion als solche nur noch als Ausdruck von Rasseeigenschaften erscheint.
Gleichfalls zu den Propheten der Nazis zu zählen ist der Theologe und Orientalist Paul de Lagarde (1827–1891). Lagarde propagierte ein völkisches Christentum, welches von allen jüdischen Elementen zu reinigen sei, so etwa in seiner im Jahr 1873 erschienenen politischen Schrift Über das Verhältnis des dt. Staates zu Theologie, Kirche und Religion. Wie bei so manchem Judenfeind, radikalisierte sich auch der Antisemitismus des Kulturphilosophen Lagarde, der im Jahr 1881 zum Schluss gelangte »wer Beschneidung, Speisegesetze, jüdischen Monotheismus und Aehnliches als eine Forderung der Religion ansieht, gehört nach Palästina, aber nicht in den deutschen Staat.« Die Juden bildeten für Lagarde das Haupthindernis auf dem Weg zur »inneren Reichseinheit«. Zwar war die völlige Assimilation der Juden auch vor Lagarde das Ziel antisemitischer Autoren, doch der Berliner Gymnasiallehrer verband diese Sichtweise mit der Forderung nach einer unerbittlichen Aussiedelung der Juden, falls diese nicht »vom Judenthume geheilt werden« könnten. Bereits in einem Vortrag aus dem Jahr 1853 heißt es:
»Bleiben die Juden in Mitteleuropa, so müssen sie ihr Judenthum (auch ihre Religion) so aufgeben, dass sie als Juden gar nicht mehr erkennbar sind. Aber um Gottes willen, ganz herein mit ihnen, oder ganz hinaus.« (Lagarde 1903: 35)
Die fortschreitende Radikalisierung Lagardes wird am Tatbestand deutlich, dass dieser in den kommenden drei Jahrzehnten die Position der Rassentheoretiker übernahm und nunmehr von den Juden als »fremder Rasse« sprach. So heißt es in der Schrift Die Stellung der Religionsgesellschaften im Staate von 1881, die sich der Begrifflichkeit des „Semiten“ bedient und verdeutlicht, warum Lagarde als Prophet des dt. Nationalsozialismus zu betrachten ist:
»Die Alliance Israeélite ist nichts als eine dem Freimaurerthume ähnliche internationale Weltherrschaft, auf semitischem Gebiete dasselbe was der Jesuitenorden auf katholischem ist: ihr bloßes Dasein erhärtet, daß die in Deutschland, Frankreich, England wohnenden Juden nicht Deutsche, Franzosen, Engländer, sondern Juden sind. […] Jeder fremde Körper in einem lebendigen anderen erzeugt Unbehagen, Krankheit oder sogar Eiterung und Tod. […] Die Juden sind als Juden in jedem europäischen Staate Fremde, und als Fremde nichts anderes als Träger der Verwesung.« (Lagarde 1903: 255/256)
In Lagardes Spätschriften wird bereits der Vernichtungsantisemitismus des dt.