»Wie kann ein Bursche in deinem Alter auch noch auf die Idee verfallen, den Rächer zu spielen!«, höhnte Healy.
Old Tates knochigen Hände umschlossen die Sharps fester.
»Wieso spielen?«, fragte er leise. »Ich brauche nur den Finger zu krümmen, damit ich erreiche, was ich wollte.«
»Du bist verrückt! Zum Teufel, was glaubst du, was dann geschieht? Morrister und seine Jungs werden dich in Fetzen schießen. Hier draußen gibt’s kein Versteckspiel wie in Canyon City! Hier herrscht Krieg, Tate, und du stehst auf der Verliererseite!«
Slocum stand da, als wäre er durch eine unsichtbare kugelsichere Wand von den drohenden Schritten, dem Sporengerassel und dem Schnappen der Gewehrschlösser getrennt. Ein furchtloses Lächeln zerriss die Staubmaske auf seinem Ledergesicht.
»Bob, was erwartest du eigentlich von einem Mann, der genau weiß, dass er nichts mehr zu verlieren hat?«
Einen Moment starrte Healy ihn erschrocken an. Dann sprang er fluchend zurück. Die anderen bewegten sich nicht, als seine Hand zum Revolver zuckte. Old Tate wartete genau bis zu dem Moment, in dem die Waffe bereits auf ihn zeigte und Healy nur mehr den Finger zu krümmen brauchte. Da krachte die Sharps. Es klang, als würde eine Haubitze abgefeuert. Für Sekunden war Slocums dürre Gestalt in eine Pulverrauchwolke gehüllt.
Das schwere Geschoss durchschlug Healys Körper und schleuderte ihn mehrere Yards zurück. Er war schon tot, als die dornigen Zweige eines Comastrauchs ihn auffingen. Als der Qualm sich verzog, stand Tate Slocum noch genauso da, wie er geschossen hatte, breitbeinig, mit fest eingestemmten Füßen, die Sharps im Hüftanschlag. Einen Moment schien die Zeit stehenzubleiben. »Ich will ihn lebend!«, gellte dann ein wilder Ruf, der sich an den in der Sonne glühenden Felsmauern brach. »Dafür soll dieser Dreckskerl baumeln.«
Morristers Stimme … Sie riss den Oldtimer herum. Er schleuderte das leergefeuerte einschüssige Gewehr weg, während er mit einem Satz einen Felsblock als Rückendeckung hinter sich brachte. Gleichzeitig schob er blitzschnell die Jacke hinter den Colt an seiner Hüfte zurück. Alles eine Bewegung. Keiner der Männer, die mit angeschlagenen Waffen im Halbkreis in der Schlucht standen, hatte dem Weißhaarigen diese Schnelligkeit zugetraut.
»Okay, ihr Hundesöhne, dann strengt euch mal an!« Slocums glitzernde Augen fanden die sehnige schwarzgekleidete Gestalt des Anführers. »Hallo, Morrister! Ein herrlicher Tag zum Sterben heute, findest du nicht auch?«
Er lachte krächzend. So hatte noch keiner den alten Frachtfahrer erlebt. Auch der Reiter nicht, der unbemerkt von allen an einer nahen Schluchtbiegung auftauchte, sein braunes Pferd im Schatten verhielt und eine Hand auf den Revolverknauf stützte. Die breite Hutkrempe verdeckte den meisten Teil des schmalen, hartlinigen Gesichts. Eine dicke Staubschicht bedeckte die einfache Reiterkleidung. Auch seine Augen suchten Morrister. Augen, die kein Gefühl und keinen Gedanken verrieten. Der Boss der Revolverschwinger nahm mit der behandschuhten Rechten die Zigarette aus dem Mund. Er ließ sie fallen, stellte den Stiefelabsatz darauf. »Du rechnest dir doch wohl nicht aus, Slocum, dass du mich noch erwischst?«
»Gewiss!«
»Du Narr!«, sagte Dean Morrister so schneidend und siegesgewiss, dass es auch den Reiter an der Felsecke für einen Augenblick kalt überlief. »Du glaubst, ich kann nur Befehle austeilen und andere die Revolverarbeit für mich erledigen lassen. Ich werd’ dir beweisen, alter Mann, wie sehr du dich irrst. Auch wenn Healy, dieser Dummkopf, nur noch als Köder gut war und schon vergessen ist. Zieh nur! Du wirst trotzdem einen Strick um den Hals bekommen. Denn ich halte meine Versprechen. Und ich verspreche dir auch, dass ich dir den Arm zerschieße, wenn du dein Eisen anfasst!«
Die Männer neben ihm wollten sich mit ihm in Bewegung setzen, als er langsam auf den am Felsen stehenden Oldtimer zuging. Morristers herrischer Wink hielt sie zurück. Ein grausames Lächeln umspielte seinen Mund. Seine Schritte waren katzenhaft. Auch er hatte nun die Jacke hinter die Waffe geschoben. Der Kolben seines Sechsschüssers war mit Perlmuttschalen ausgelegt.
Die Hitze war wie ein Panzer, der sich um Old Tates Brust zusammenzog. Die Falten in seinem Gesicht zuckten. Er begriff, dass da der Tod herankam, kalt und mitleidlos. Morristers Augen erinnerten ihn an die einer Klapperschlange, die im nächsten Moment zustoßen und ihr tödliches Gift verspritzen würde. Er wusste plötzlich, dass er nicht schnell genug sein würde.
»Na los, Old Tate, willst du’s nicht wenigstens versuchen?«
Ein krächzender Schrei brach über Slocums Lippen. Sein Sixshooter flog hoch. Die Todesangst verlieh ihm eine Schnelligkeit, die er selber nicht für möglich gehalten hatte. In seinem Gehirn war plötzlich kalte Leere.
Dean Morrister war nur leicht in die Knie gefedert. Im selben Augenblick lag der 44er Colt wie hingezaubert in seiner Hand. Nur mehr ein Fingerdruck, dann … Schon schlug der Schuss donnernd gegen die glühenden Steilwände.
Old Tate schrie abermals. Ein heftiger Schmerz jagte von den Fingern seiner rechten Hand zur Schulter hinauf. Fassungslos starrte er auf seinen plötzlich im Sand liegenden Revolver. Die Kugel hatte nicht mal seine Haut geritzt. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass kein Feuerstrahl Morristers Waffe verlassen hatte.
Morrister und seine Bewaffneten waren herumgezuckt. Doch die in der Sonne funkelnden Stahlläufe beeindruckten den Reiter an der nur wenige Yards entfernten Felsbiegung offenbar nicht. Ein wenig theatralisch blies er den Rauch von der Mündung seines Remingtons. Dann verjüngte ein Lächeln sein kantiges und eben noch bis in die letzte Faser konzentriertes Gesicht.
»Das hätte ja direkt ins Auge gehen können. Und das bei dieser Hitze! Na, hoffentlich habt ihr wenigstens einen kräftigen Begrüßungsschluck für mich, Leute.« Ein leichter Sporendruck genügte, damit der Braune mit nickendem Kopf auf den Halbkreis der wie versteinerten Revolvermänner zustampfte.
Sie waren zu acht. Ihre Revolver und Gewehre bewegten sich mechanisch mit dem dunkelhaarigen Fremden, der seine Waffe lässig, als hätte er lediglich vergessen, sie wegzustecken, auf dem rechten Oberschenkel hielt. Nicht einmal Morrister, der sonst gewohnt war, blitzschnell und vor allem richtig zu reagieren, wusste, was er von dieser Situation halten sollte.
Slocum lehnte noch mit aschfahler Miene am Felsen. Als der Reiter so nahe war, dass er das Gesicht unter der Stetsonkrempe erkannte, begann er, an seinem Hemdkragen zu zerren. Er keuchte. Sein Mund klappte auf. Doch der schnelle, durchdringende Blick des Ankömmlings war ein Signal, das Schweigen hieß.
Der Fremde, der immer noch so tat, als existierten die auf ihn gerichteten Waffen nicht, zügelte sein Pferd vor Morrister. »Bisschen viel Aufwand für ’nen alten Mann, nicht wahr?«, lächelte er spöttisch.
Morrister straffte sich.
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht! Zur Hölle, was wollen Sie hier eigentlich?«
»Sagte ich das nicht?« Larry Langtry wies mit einer Kopfbewegung auf den Kaffeekessel über dem fast erloschenen Feuer. »Ein Schluck von dieser Brühe mit ’nem Schuss Brandy gewürzt, wäre jetzt nicht das Schlechteste, was Sie mir anbieten könnten, Morrister.«
Absichtlich nannte er Morristers Namen. Er wusste, dass dessen Neugier und die Tatsache, dass er, Larry, Old Tate den Colt aus der Hand geschossen hatte, bisher die einzigen Gründe waren, dass er noch lebte. Keiner rührte sich, bis Morrister wieder winkte. Da hob einer von den Kerlen, die bei Healy gesessen waren, dessen Becher auf, schöpfte ihn voll Kaffee und brachte ihn mürrisch dem Reiter.
»Den Brandy bekommen Sie, nachdem Sie meine Frage beantwortet haben, Mister«, versuchte es nun Morrister mit beißendem Spott. Er hatte sich gefangen und fühlte sich inmitten seiner Schießer sicher genug, den Peacemaker zu halftern. Herausfordernd verschränkte er die Arme vor der Brust. »Fangen wir damit an, wie Sie hierherkommen. Aber erzählen Sie mir nur nicht, Sie sind rein zufällig in diese Sache geplatzt.«
»Nicht doch.« Der junge Reiter lächelte den Boss der Revolverschwinger über den Becherrand treuherzig an. »Ich habe erst