Szenen aus dem Landleben. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014797
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zu denken, und wir würden zu spät kommen, was noch nie geschehen ist.‹ Es schien ihm besser zu gehen, und ich, ich bin gegangen. Während meiner Abwesenheit ist er gestorben, ohne dass ich seiner letzten Umarmungen teilhaftig geworden bin! In seiner letzten Stunde hat er mich nicht bei sich gesehen, wie ich es sonst immer war!«

      »Der Herr ist tot!« schrie man.

      »Ach, er ist tot, und ich habe weder seine letzten Blicke noch seinen letzten Seufzer empfangen. Warum nur an die Steuern denken? Wär' es nicht besser gewesen, unser ganzes Geld zu verlieren, als das Haus zu verlassen? Könnte unsere Habe sein letztes Lebewohl bezahlen? Nein ... Mein Gott! Wenn dein Vater krank ist, Verlass ihn nicht, Jean, du würdest dir sonst dein ganzes Leben über Vorwürfe machen.«

      »Lieber Freund,« sagte Genestas zu ihm, »ich habe Tausende von Männern auf den Schlachtfeldern sterben sehen, und der Tod wartete nicht, bis ihre Kinder kamen und ihnen Lebewohl sagten; also tröstet Euch, Ihr seid nicht der einzige.«

      »Ein Vater, mein lieber Herr,« erwiderte er in Tränen ausbrechend, »ein Vater, der ein so guter Mann war.«

      »Diese Leichenrede,« sagte Benassis, sich mit Genestas nach den Nebengebäuden der Meierei wendend, »dauert bis zu dem Augenblick, da die Leiche in den Sarg gelegt wird, und die ganze Zeit über wird die Rede dieser klagenden Frau sich an Wucht und an Bildern steigern. Doch, um vor einer so großen Versammlung so zu reden, muss eine Frau durch ein makelloses Leben das Recht dazu erworben haben. Wenn die Witwe sich den geringsten Fehl vorzuwerfen hätte, würde sie nicht ein einziges Wort zu sagen wagen; andernfalls hieße das sich selber dazu verurteilen, Angeklagte und Richterin zugleich zu sein. Ist solch eine Sitte, die dazu dient, den Toten und den Lebenden zu richten, nicht erhaben? Die Trauerkleidung wird erst acht Tage später in einer öffentlichen Zusammenkunft angelegt. Während dieser Woche wird die Familie bei den Kindern und der Witwe bleiben, um ihnen ihre Angelegenheiten ordnen zu helfen und um sie zu trösten. Diese Versammlung übt einen großen Einfluss auf die Gemüter aus, unterdrückt die bösen Leidenschaften durch jenen menschlichen Respekt, der die Menschen überkommt, wenn sie einander gegenüberstehen. Am Tage der Traueranlegung endlich findet ein feierliches Mahl statt, bei dem alle Verwandten sich Lebewohl sagen. All das geht würdig vor sich, und wer den Pflichten, die der Tod eines Familienoberhauptes auferlegt, nicht nachkäme, würde niemanden bei seiner Totenklage haben.« In diesem Augenblick machte der Arzt, da sie sich beim Kuhstall befanden, die Türe auf und ließ den Major eintreten, um ihn ihm zu zeigen.

      »Sehen Sie, Rittmeister, alle unsere Ställe sind nach diesem Muster ausgebaut worden. Ist er nicht prachtvoll?«

      Genestas konnte nicht umhin, diesen weiten Raum zu bewundern, wo Kühe und Ochsen in zwei Reihen standen, mit dem Schwanze gegen die Seitenmauern und dem Kopf nach der Mitte des Stalles hin, in den sie durch ein ziemlich breites Gässchen hineingingen, das zwischen ihnen und der Mauer freigelassen worden war. Ihre durchbrochenen Krippen ließen ihre gehörnten Köpfe und ihre glänzenden Augen sehen. Der Herr konnte sein Vieh also leicht überblicken. Das Futter, das im Gebälk untergebracht war, wo man eine Art Bretterboden angelegt hatte, fiel ohne Verlust und Mühe in die Raufen.

      Zwischen den beiden Krippenreihen befand sich ein großer gepflasterter, sauberer und durch Zugluft gelüfteter Raum.

      »Zur Winterzeit«, fuhr Benassis fort, mit Genestas in der Mitte des Stalles auf und ab gehend, »finden hier die Spinnabende und die Arbeiten gemeinsam statt. Man stellt Tische auf und jedermann wärmt sich auf diese Art wohlfeil. Die Schafställe sind gleichfalls nach diesem System gebaut worden. Sie können sich nicht denken, wie leicht die Tiere sich an Ordnung gewöhnen; ich habe sie häufig bewundert, wenn sie hereinkommen: jedes von ihnen kennt seinen Platz und lässt das, welches zuerst hineingehen muss, auch als erstes hinein. Sehen Sie, es ist genug Platz zwischen dem Tier und der Mauer da, dass man es melken und säubern kann; außerdem senkt sich der Boden leicht, so dass er das Wasser schnell abfließen lässt.«

      »Nach diesem Stalle kann man auf alles übrige schließen,« sagte Genestas; »ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, das sind schöne Resultate !«

      »Die nicht mühelos erzielt worden sind,« antwortete Benassis, »aber was für Tiere sind das auch!«

      »Wahrlich, sie sind prächtig, und Sie haben alle Ursache, sie mir zu rühmen!« antwortete Genestas.

      »Jetzt«, fuhr der Arzt fort, als man zu Pferde saß und das Portal hinter sich hatte, »wollen wir unsere neuen urbar gemachten Felder und die Getreideschläge durchqueren, jenen kleinen Winkel meiner Gemeinde, den ich die Beauce genannt habe.«

      Etwa eine Stunde lang ritten die beiden Reiter durch Felder, über deren schöne Kultur der Offizier dem Arzte Komplimente machte; dann erreichten sie, dem Berge folgend, bald plaudernd, bald schweigend, je nachdem die Gangart der Pferde ihnen zu sprechen erlaubte oder sie zum Schweigen verurteilte, wieder das Gebiet des Fleckens.

      »Gestern hab' ich Ihnen versprochen,« sagte Benassis zu Genestas, als sie in eine kleine Schlucht einritten, aus welcher die beiden Reiter in das große Tal herauskamen, »Ihnen einen der beiden Soldaten zu zeigen, die nach Napoleons Sturz von der Armee zurückgekommen sind. Wenn ich mich nicht täusche, werden wir ihn einige Schritte von hier finden, wo er eine Art natürlichen Beckens, worin sich die Gebirgsgewässer sammeln und das angeschwemmte Stein- und Erdmassen angefüllt haben, wieder ausgräbt. Um Ihnen diesen Mann aber interessant zu machen, muss ich Ihnen sein Leben erzählen ... Er heißt Gondrin und ist bei der großen Aushebung von 1792 im Alter von achtzehn Jahren eingezogen worden und zur Artillerie gekommen. Als einfacher Soldat hat er die italienischen Feldzüge unter Napoleon mitgemacht, ist ihm nach Ägypten gefolgt und nach dem Frieden von Amiens aus dem Orient zurückgekehrt. Dann, unter dem Kaiserreiche, ist er beim Brückentrain der Garde eingereiht worden und hat ständig in Deutschland gedient. Zuletzt ist der arme Arbeiter nach Russland gegangen.«

      »Da sind wir in gewisser Beziehung Brüder,« sagte Genestas, »ich habe die gleichen Feldzüge mitgemacht. Man hat einen stählernen Körper haben müssen, um den Launen so vieler verschiedenen Klimate zu widerstehen! Der liebe Gott hat denen, die noch auf ihren Beinen stehen, nachdem sie Italien, Ägypten, Deutschland; Portugal und Russland durchquert haben, meiner Treu, ein Erfinderpatent für Lebenskunst geschenkt!«

      »Auch werden Sie ein gutes Stück von einem Menschen sehen,« erwiderte Benassis; »Sie kennen ja die wilde Flucht, es erübrigt sich, Ihnen davon zu erzählen. Mein Mann ist also einer der Brückenbauer der Beresina gewesen; er hat mitgeholfen am Bau der Brücken, über die das Heer gegangen ist, und um ihre ersten Stützen zu befestigen, hat er bis an die Brust im Wasser gestanden. Der General Éblé, unter dessen Befehl die Pontoniere standen, hat unter ihnen nur zweiundvierzig gefunden, die, wie Gondrin sagt, haarig genug waren, um dies Werk zu unternehmen. Auch hat der General sich selber ins Wasser gestellt, sie ermutigt, getröstet und jedem von ihnen tausend Franken Pension und das Kreuz der Ehrenlegion versprochen. Dem ersten Manne, der in die Beresina gegangen, ist das Bein von einer großen Eisscholle abgeschnitten worden, und der Mann ist seinem Beine nachgefolgt. Doch Sie werden die Schwierigkeiten des Unternehmens besser aus den Resultaten verstehen: von den zweiundvierzig Pontonieren ist heute nur Gondrin übrig. Neununddreißig von ihnen sind beim Übergang über die Beresina umgekommen, und die beiden anderen haben elendiglich in den Hospitälern Polens geendigt. Unser armer Soldat ist erst 1814 nach der Rückkehr der Bourbonen aus Wilna zurückgekehrt. General Éblé, von dem Gondrin nie redet, ohne Tränen in den Augen zu haben, war tot. Der taub und kränklich gewordene Pontonier, der weder lesen noch schreiben konnte, hat also weder eine Stütze mehr, noch einen Verteidiger gefunden ... Sein Brot erbettelnd, ist er nach Paris gekommen und hat dort Schritte in den Schreibstuben des Kriegsministeriums unternommen, nicht um die versprochene Tausendfranken-Pension oder das Kreuz der Ehrenlegion, sondern um den simplen Abschied mit Gnadengehalt zu bekommen, auf den er nach zweiundzwanzigjähriger Dienstzeit und, ich weiß nicht wieviel Feldzügen, Anspruch hatte; hat aber weder rückständigen Sold, noch Marschkosten, noch Pension gekriegt. Nach einem Jahre vergeblicher Eingaben, währenddessen er allen, die er gerettet hatte, die Hand hingehalten, ist der Pontonier ohne Trost, aber resigniert hierher zurückgekehrt. Dieser unbekannte Held gräbt für zehn Sous das Klafter Gräben. Gewöhnt, wie er es ist, in den Sümpfen zu arbeiten, übernimmt