Das Brio (ein italienisches Wort, das sich nicht gut übersetzen lässt, das Stendhal bei uns eingebürgert hat) zeichnet besonders Frühwerke aus. Es ist die Frucht des Ungetüms und des kühnen Schwunges des jugendlichen Genies, einer Begeisterung, die sich bei späteren Werken nur noch zu besonders glücklicher Stunde äußern kann. Aber dann kommt das Brio nicht mehr aus dem vollen Herzen des Künstlers, und anstatt seine Werke vulkanartig zu überfluten, quillt es nur spärlich und aus von außen erregten Quellen: der Liebe, der Eifersucht, oft auch dem Hasse und noch öfter der Sehnsucht nach dem alten Feuer, dem der Künstler seinen Ruhm verdankt.
Steinbocks Gruppe verhielt sich zu seinen übrigen späteren Werken wie die Vermählung Mariä zu dem Gesamtwerke Raffaels. Es war seine erste Tat, geschaffen in der vollen unnachahmlichen Grazie, im Sturm und Drang und im wundervollsten Reichtum der Jugend.
Hortense unterdrückte ihre Bewunderung, indem sie die Ersparnisse ihrer Kinderjahre im Geiste überschlug. Mit gleichgültiger Miene fragte sie den Händler: »Wie teuer ist dies da?«
»Eintausendfünfhundert Francs«, erwiderte er ihr und blickte rasch nach dem jungen Manne hin, der auf einem Schemel in einer Ecke saß.
Dieser junge Mann war hingerissen von dem lebendigen Meisterwerke, das er in dem jungen Mädchen erschaute. Durch des Händlers Blick aufmerksam geworden, erkannte Hortense sofort in ihm den Künstler. Die Röte, die sein bleiches leidendes Gesicht plötzlich färbte, und das Feuer, das ihre Frage in seinen grauen Augen entzündet hatte, verrieten ihn ihr. Sie betrachtete dieses hagere längliche Gesicht, das ihr wie das eines Asketen erschien. Sie bewunderte diese festgeformten roten Lippen, das feinlinige Kinn und das kastanienbraune Haar mit dem slawischen Seidenglanzschimmer.
»Bei einem Preise von zwölfhundert Francs bitte ich um die Zusendung«, erklärte sie.
»Eine echte Antike, gnädiges Fräulein«, wandte der Händler ein, der sich wie alle Leute seines Gewerbes einbildete, mit Reden wunder was zu sagen.
»Verzeihen Sie, bester Herr, das ist in diesem Jahre entstanden«, entgegnete sie ganz bescheiden, »und ich möchte sie insbesondere bitten, falls es bei der gebotenen Summe bleibt, uns den Künstler persönlich zuzuschicken. Wir könnten ihm vielleicht immerhin ansehnliche Aufträge verschaffen.«
»Wenn er zwölfhundert Francs bekommen soll, was bliebe dann für mich? Ich will verdienen«, meinte der Händler.
»Natürlich!« erwiderte das junge Mädchen nicht ohne einen Anflug von Geringschätzung.
»Ach, gnädiges Fräulein, nehmen Sie das Werk!« rief der Pole aufgeregt dazwischen. »Mit dem Händler werde ich mich schon einigen.« Bezaubert von der hohen Schönheit Hortenses und der in ihren Augen widergespiegelten Liebe zur Kunst, fügte er hinzu: »Ich bin der Schöpfer dieser Gruppe. Seit vierzehn Tagen komme ich dreimal den Tag her, um nachzusehen, ob jemand ihren Wert erkennt und sie kaufen will. Sie sind meine erste Bewunderin. Nehmen Sie sie!«
»Wollen Sie uns in einer Stunde zusammen mit dem Händler besuchen? Hier ist die Karte meines Vaters!« sagte Hortense.
Während der Händler in den Nebenraum ging, um die Gruppe zu verpacken, setzte sie ganz leise hinzu, zum größten Erstaunen des Künstlers, der zu träumen glaubte:
»Zum Vorteile Ihrer Zukunft, Herr Steinbock, zeigen Sie Fräulein Fischer diese Karte nicht, noch sagen Sie ihr den Namen des Käufers. Sie ist unsere Tante.«
Die Worte »unsere Tante« versetzten den Künstler in einen Rausch. Es war ihm, als gehe er in das Paradies ein, und Eva stände vor ihm. Lisbeth hatte ihm soviel von ihrer schönen Nichte erzählt. Und er hatte ebenso von Hortense geträumt wie sie von dem Geliebten ihrer Tante.
Die Blicke, die beide nun in Wirklichkeit tauschten, kann man sich vorstellen. Es waren Flammenblicke. Tugendhafte Verliebte kennen keine Verstellung.
»Donnerwetter, was machst du so lange hier drinnen?« fragte der Vater seine Tochter.
»Ich habe eben meine ersparten zwölf hundert Francs verausgabt, Vater. Komm, wir wollen gehen!«
Sie hängte sich bei ihrem Vater ein. Er wiederholte:
»Zwölfhundert Francs!«
»Sogar dreizehnhundert! Das Fehlende wirst du mir doch leihen!«
»Und wofür hast du diese Summe ausgegeben? In dem Laden da?«
»Ja, ja, dort«, entgegnete sie glücklich. »Wenn ich dabei einen Mann gefunden habe, so ist das doch nicht zuviel, nicht?«
»Einen Mann, Hortense? In dem Laden da?«
»Höre zu, Väterchen! Würdest du mir verbieten, einen großen Künstler zu heiraten?«
»Gewiss nicht, Kindchen«, erwiderte er. »Große Künstler sind heutzutage ungekrönte Fürsten. Ruhm und Geld, das sind die beiden sozialen Angelpunkte ... das heißt, nach der Ehre«, fügte er mit ein wenig Heuchelei hinzu.
»Nun ja«, meinte Hortense, »und wie denkst du über die plastische Kunst?«
»Die Bildhauerei ist so eine Sache!« gab er kopfschüttelnd zur Antwort. »Man braucht da große Protektion, ganz abgesehen von einem großen Können, denn die Regierung ist die alleinige Abnehmerin. Das ist eine Kunst ohne Absatzmöglichkeit, in unserer Zeit, wo es keine Monumentalität mehr gibt. Man kauft nur kleine Gemälde, kleine Skulpturen. Es gibt dementsprechend nur Kleinkünste.«
»Sollte das ein großer Künstler nicht überwinden?« warf Hortense ein.
»Das wäre des Rätsels Lösung, gewiss!«
»Ein Künstler, der unterstützt würde?«
»Desto besser!«
»Ein Edelmann?«
»Ist er das?«
»Er ist Graf!«
»Dabei Bildhauer?«
»Ja. Er hat kein Vermögen.«
»Rechnet er etwa auf das von Fräulein Hulot?« fragte der Baron scherzend, wobei er einen forschenden Blick in die Augen seiner Tochter warf.
»Dieser große Künstler, Graf und Bildhauer hat Ihre Tochter, Herr Baron, soeben zum ersten Male in seinem Leben gesehen, und zwar ganze fünf Minuten lang!« erwiderte Hortense mit ruhigster Miene. »Weißt du, Väterchen, während du gestern im Abgeordnetenhause warst, hatte Mutter einen Ohnmachtsanfall. Dieser Anfall, den sie auf ihre schwachen Nerven schiebt, hatte seine Ursache in ihrer Sorge darüber, dass ich noch nicht verheiratet bin. Sie hat mir nämlich gesagt: um mich an den Mann zu bringen.«