Du wirst wie der Ganges zur Regenzeit: Du trittst über deine Ufer, du brichst alle Dämme, überflutest alle Grenzen… du wirst unerschöpfliches Leben. Aber das wird nie geschehen, ehe du nicht stirbst.
Da liegt also das Paradox: Jesus sagt, dass dir das Leben entgeht, wenn du dich daran klammerst. Wenn du dein Leben retten willst, wird es dir entgleiten. Die einzige Möglichkeit, es zu besitzen, ist, es zu verlieren. Und das ist es, was ich Sannyas nenne. Es ist eine innere Verwandlung. Es ist die Bereitschaft zu sterben, die Bereitschaft, dem Ego zu sterben. Die eine Tür schließt sich – die Tür des Ego; eine andere öffnet sich – die Tür zur Unsterblichkeit.
Das ist die Bedeutung des geheimnisvollen Spruches:
„Der Mensch muss sterben, bevor er stirbt.“
Ihr seid zwar schon viele Male gestorben, aber von dieser Art des Todes ist hier nicht die Rede. Diese Art kennt ihr, ohne dass euch das einen Schritt weitergebracht hätte. Ihr überlebt ihn.
Was ihr braucht, ist ein größerer Tod als das. Es gibt einen Tod, der natürlich eintritt; denn alles, was geboren wurde, muss sterben; alles, was zusammengesetzt ist, muss wieder auseinander fallen. Also muss euer Körper sterben, das ist natürlich. Das ist Millionen Menschen geschehen, und es wird immer so weiter gehen, es sei denn, ihr werdet wach und bewusst.
Es gibt aber noch einen anderen Tod.
Dieser Tod ist eine völlig neue Dimension. Es ist ein freiwilliger Tod, kein natürlicher. Der Körper stirbt nicht dabei, aber du springst hinein – und dabei stirbt dieses Du. Du wartest nicht erst den natürlichen Tod ab. Das ist Sannyas. Es bedeutet, freiwillig in den Tod aller Tode zu springen. Durch diesen Tod erreichst du das Todlose. Das ist die Bedeutung des geheimnisvollen Spruches: „Der Mensch muss sterben, bevor er stirbt.“
Die Gabe erfolgt erst nach diesem ‚Tod‘, nicht vorher.
Und trotzdem kann ohne Hilfe dieser ‚Tod‘ nicht geschehen.
Deshalb bin ich hier. Allein auf euch gestellt, seid ihr nicht einmal zum Sterben fähig. Nicht einmal so etwas Einfaches bringt ihr selber fertig. Es ist so einfach! – aber es ist zu schwer für euch, es allein zu tun. Ihr braucht die Hilfe von einem, der schon vor euch gestorben ist. Er kann euch anschubsen und mitziehen; er kann eine Situation herstellen, in der ihr, ohne es zu wissen, in die Falle geht. Ein Meister wirft sein Netz aus und fängt viele Fische. Ausgewählt werden diejenigen, die bereit sind, zu sterben. Diejenigen, die nicht bereit sind zu sterben, werden in den Fluss zurückgeworfen. Ihr seid von allen Enden der Welt zu mir gekommen. Ihr könnt gerne glauben, dass ihr von euch aus zu mir gekommen seid – aber das ist nur eine weitere Selbsttäuschung des Ego. Ich habe euch gefischt. Und darum seid ihr hier. Glaub nicht, dass du von dir aus gekommen bist. Du glaubst, aus eigener Initiative gekommen zu sein, aber das stimmt nicht. Ich habe dich auf unsichtbare Weise schon lange gerufen, an mich gezogen. Und du bist gekommen. Jetzt bist du im Netz. Und viele von euch sind immer noch damit beschäftigt, sich nicht fangen zu lassen.
Sannyas ist nur eine Geste der Hingabe eurerseits. Damit erlaubt ihr mir zu tun, was immer ich für richtig halte. Diese Auslieferung ist ein Akt des Vertrauens: „Ich trete ab – jetzt übernimm du, tu was du willst. Ich misch mich von jetzt an nicht mehr ein.“ Es ist so, wie wenn du zum Chirurgen gehst, und dich ihm vertrauensvoll überlässt; denn wenn du es nicht tust und sagst: „Ich muss dir auf die Finger schauen“, dann ist ein chirurgischer Eingriff nicht möglich. Du musst völlig unbewusst werden, und mit der Unbewusstheit lieferst du dich vollkommen aus. Selbst wenn der Chirurg dich tötet, bist du nicht mehr da, um dich zu wehren.
Vertrauen bedeutet, dass du dich den Händen eines andern überlässt – sogar auf die Gefahr hin, dass er dich tötet. Sogar das bist du bereit durchzustehen.
Sannyas bedeutet, dass du dich auf meinen Operationstisch legst und mir die Freiheit gibst, zu schneiden, wo und wie ich will. Das ist schmerzlich. Es ist sehr, sehr schmerzhaft, weil diese Art von Chirurgie nicht in Narkose geschehen kann – ich muss sie durchführen, während du voll bei Bewusstsein bist. Ich kann euch kein Morphium, ich kann euch kein Chloroform geben; im Gegenteil – ich muss euch Meditationstechniken geben, damit ihr immer bewusster und empfindsamer werdet.
Dies hier ist eine andere Form von Chirurgie, eine vollkommen andere Form: Hier geht es nicht ohne dein Bewusstsein ab. Du musst ein hellwacher Zeuge des Geschehens sein, damit ich dir vor deinen Augen etwas amputieren kann, das gar nicht zu dir gehört, mit dem du dich aber bis jetzt voll identifiziert hattest. Nur so kann ich dir den Weg zeigen, wie du zu deinem innersten, zu deinem eigentlichen Wesen gelangen kannst. Es war schon da, bevor du geboren wurdest. Es ist da, bevor du stirbst. Es wird da sein, wenn du tot bist.
Die Schöpfung nimmt immer neue Lebensformen an. Du brauchst jemanden, der dir dabei hilft, das Formlose aufzuspüren, das sich hinter allen Formen verbirgt. Du hängst an Formen, deine Au gen sind von Formen geblendet, und so ist ein tiefer chirurgischer Eingriff notwendig. So, wie es dieses Sufi-Sprichwort sagt:
Die Gabe erfolgt erst nach diesem „Tod“, nicht vorher.
Und trotzdem kann ohne Hilfe dieser „Tod“ nicht geschehen.
Diese Hilfe ist möglich, wenn du dich einem Meister überlässt. Ja, indem du dich einem Meister überlässt, wird genau dieser Tod möglich, von dem hier die Rede ist. Selbstaufgabe ist wie Tod; darum hast du eine so große Angst davor. Du versuchst dich zu schützen. Du möchtest mit Gewalt etwas von mir bekommen, aber trotzdem du selbst bleiben. Aber das ist nicht möglich.
Du musst sterben. Nur so kannst du etwas bekommen. Das Geschenk ist fertig, es ist schon verpackt, die Adresse steht schon drauf – aber du bist noch nicht bereit, es in Empfang zu nehmen.
Du kannst nichts von mir bekommen, ehe du nicht stirbst.
2. KAPITEL
URTEILE NICHT
Ein junger Mann kam zu Dhun-Nun, dem Ägypter.
Er behauptete, dass die Sufis im Irrtum seien,
und noch viele andere Dinge mehr.
Der Ägypter gab ihm zur Antwort einen Ring,
den er sich mit den Worten vom Finger streifte:
„Nimm diesen Ring und geh zu den Marktständen da drüben.
Sieh zu, ob du ein Goldstück dafür bekommen kannst.“
Er konnte auf dem ganzen Markt keinen Händler finden,
der mehr als ein kleines Stück Silber dafür geboten hätte.
Der junge Mann kam mit dem Ring zurück.
„Und jetzt“, sagte Dhun-Nun, „geh zum Goldschmied und
frag ihn, was er zu zahlen bereit ist.“
Der Goldschmied bot eintausend Goldstücke für das Juwel.
Der junge Mann war hoch erstaunt.
„Und nun, mein Sohn“, sagte Dhun-Nun,
„zu deiner Einschätzung der Sufis: Du verstehst gerade
soviel davon, wie die Krämer da drüben
von der Goldschmiedekunst. Wenn du Edelsteine schätzen willst,
musst du erst Goldschmied werden.“
Jesus sagt: „Richte nicht deinen Nächsten“, und das ist einer der größten Aussprüche, die je von einem Menschen auf Erden getan wurden. Aber für den Verstand ist das zuviel verlangt. Der Verstand muss augenblicklich urteilen. Der Verstand braucht keine Gründe, um zu einem