Er hätte ohne Zweifel gerne eine stetige, einträchtige Reichskirche gehabt, aber die stärksten Schwankungen waren eingetreten. Bei seiner innern Neutralität wurde es ihm nun nicht schwer, die kirchlichen Parteien in der Schwebe zu halten und keiner sich bleibend hinzugeben. Er liess sie daher abwechselnd siegen und sorgte nur immer durch kräftige Eingriffe dafür, dass man ihn und seine Macht nicht vergass. Er sah wahrscheinlich von Anfang an, dass der Streit grossenteils um des Streites willen geführt wurde und dass alles Versöhnen am unrechten Orte angebracht wäre. Hierin versahen es seine Nachfolger, weil sie selber ernstlich in den theologischen Fragen befangen waren und der von ihnen unterstützten Partei die Hände frei liessen zu Gewalttat und Rache.
Ein lebendiges Zeugnis hievon besitzen wir noch in dem bekannten Ketzeredikt736, aus den letzten Jahren vor seinem Tode. Der geistliche Koncipient fährt die Ketzer auf das härteste an, so viele ihrer sind, Novatianer, Valentiner, Marcioniten, Kataphryger u. a.; allein es bleibt nach allen Schimpfworten dabei, dass man ihnen die Versammlungslokale wegnimmt. Euseb jubelt: »Sie wurden vertrieben, ausgetrieben wurden sie wie die Tiere!« – allein man bemerkt wohl, dass ihm dieses lange nicht genügte. Von den Novatianern wird ausdrücklich bemerkt, Constantin habe sie nur etwas erschrecken wollen; eigentliche Verfolgungen trafen, wie es scheint, bloss die Montanisten oder Kataphryger, welche als Fanatiker gefährlich werden konnten, und auch diese blieben wenigstens in Phrygien, dem Heimatland der Sekte, unangefochten. Es kommen allerdings in Constantins Massregeln einzelne wunderliche Inkonsequenzen vor; nach der Verdammung des Arius ergeht zum Beispiel ein Befehl737 an alle Kirchen, dessen Schriften zu verbrennen, mit den Schlussworten: »Wer ein Buch verhehlt, wird getötet. Gott erhalte euch« – allein den Arius selber liess man ruhig in der Verbannung leben und zog ihn nachher wieder zu Ehren.
Nach Constantins Tode verfallen gleich seine Söhne ganz persönlich den kirchlichen Parteien; sie waren dazu erzogen, und die Schändlichkeit ihres Charakters hinderte sie nicht daran. Sokrates (II, 2) erzählt zum Beispiel, wie Constantius für den Arianismus gewonnen wurde; ein ungenannt gebliebener Presbyter, welcher ihm das Testament seines Vaters überbracht haben soll und sich bei diesem Anlass am Hofe festsetzte, brachte zuerst den Grosskammerherrn Eusebius, einen Eunuchen, auf die arianische Seite, dann auch die übrigen Eunuchen; diese und der Presbyter gewannen dann auch die Kaiserin; endlich entschied sich Constantius selbst. Darauf parteite sich die ganze Hofdienerschaft, die militärische Suite und die Stadt Konstantinopel. Im Palast disputierten Eunuchen und Weiber, während in der Stadt jedes Haus der Schauplatz eines »dialektischen Krieges« wurde, und dieses Wesen verbreitete sich über den ganzen Orient, während Constantin II. und nachher Constans im Westen athanasianisch gesinnt waren. Im Verlauf der Dinge kommt es bald zu den scheusslichsten Verfolgungen, Verbannungen, Ermordungen; alle Martern und Henkerskünste der maximinischen Zeit kehren stellenweise wieder738; Abendmahl und Taufe sogar werden Gegenstand polizeilichen Zwanges, und die Besetzung der Bistümer fällt dem heftigsten Faktionswesen anheim.
Diese weitern Krisen gehören nicht mehr zu unserer Aufgabe. Neben dieser von heillosem Starrsinn und Ehrgeiz, von der absurdesten Dialektik zerrissenen Kirche erwuchs damals der Knabe Julian, kaum gerettet aus dem allgemeinen Mord, den Constantius über die eigene Familie verhängt hatte. Ihn und seinen Bruder Gallus erzog man auf der Villa Macellum im entlegenen Kappadocien zu Geistlichen; ihre Erholung bestand darin, dem heiligen Märtyrer Mamas eine Kapelle zu bauen. Unter diesen Eindrücken bildete sich der künftige heidnische Reaktionär aus.
Man darf aber nicht vergessen, dass es neben dieser im Siege so rasch ausgearteten Kirche noch eine Religion gab. Die schönen sittlichen Folgen der Einführung des Christentums entziehen sich nur allzusehr dem Blicke, während der dogmatische und hierarchische Hader ganz unverhältnismässig sich vordrängt. Die grossen Männer dieser und der nächstfolgenden Jahrzehnte, Athanasius, Basilius, Gregor von Nazianz, Hieronymus, Chrysostomus, tragen wohl neben ihrer Religiosität ein mehr oder weniger starkes Gepräge äusserlicher Kirchlichkeit und erscheinen deshalb einseitiger, unangenehmer als die grossen, ganzen, harmonischen Menschen des Altertums, allein ihr Lebensprinzip ist ein höheres, inkommensurables.
Vor allem darf man die sittlichen Folgen des Christentums bei den tiefern Naturen nicht etwa nach der Anschauung eines Euseb bemessen, welcher ohne weiteres für den Übertritt zum Christentum das irdische Glück und die Herrschaft als Gotteslohn postuliert739. Es handelte sich vielmehr um ein ganz neues Verhältnis zu den irdischen Dingen, dessen man sich bald mehr, bald weniger bewusst wurde. Der grosse Haufe richtete sich im Christentum sein Leben ein so genussreich als es eben ging und als die Sittenpolizei des Staates zuliess; die ernstern Menschen dagegen entsagten manchen Genüssen ganz; schon gegen Ende des dritten Jahrhunderts muss es sogar ein christlicher Lehrer740 missbilligen, dass durch getrenntes Leben von Mann und Frau die Ehe geschädigt werde; in betreff ihrer weltlichen Güter aber fanden viele sich teils zur Mitteilung an die Armen und an die Kirchen verpflichtet, teils zu einer gänzlichen Entsagung für ihre Person. Die beiden grossen praktischen Lebensäusserungen des damaligen Christentums sind die Beneficenz und die Ascese, wenn wir eine dritte, nämlich die Mission bei heidnischen Völkern, als eine fast ausschliessliche Angelegenheit des Klerus, hier übergehen dürfen.
Was die Beneficenz betrifft, so konnte der Christ sie nach dem bekannten Sprichwort zunächst