Frank folgte ihnen auf die Straße; er ließ das Glas Whisky-Soda fast unberührt stehen.
Die beiden bogen in die Regent Street ein und gingen eine kurze Strecke die Straße entlang. Dann riefen sie ein Auto heran.
Frank gab dem nächsten Taxi, das vorüberfuhr, ein Zeichen.
»Folgen Sie dem Wagen dort«, sagte er dem Chauffeur. »Halten Sie sich in einigem Abstand hinter ihm; falls er hält, fahren Sie an ihm vorbei und lassen mich in einiger Entfernung davon aussteigen.«
Der Chauffeur langte an die Mütze, und die beiden Wagen setzten sich in Bewegung.
Sie fuhren auf den Victoria-Bahnhof zu, ließen ihn dann zur Linken liegen und wandten sich nach rechts zur Grosvenor Road. Bald darauf bogen sie in das Labyrinth der Straßen von Pimlico ein.
Der erste Wagen hielt schließlich vor einem hohen, schmalen Haus in einer Straße, die früher einmal ansehnlich gewesen sein mußte, jetzt aber einen heruntergekommenen Eindruck machte.
Frank sah, wie die beiden Männer ausstiegen, und ließ sein Auto etwa achtzig Meter weiter auf der anderen Seite der Straße halten. Er hatte sich das Haus gemerkt; es war leicht zu unterscheiden.
Sparks und Jakobs waren schon in dem Haus verschwunden, bevor Frank die Stelle erreichen konnte. Er überquerte die Straße und wählte einen Beobachtungsposten, von dem aus er die Haustür überschauen konnte.
Eine Kirchturmuhr in der Nähe hatte schon halb eins geschlagen, ehe sich irgend etwas ereignete.
Ein Polizist war auf seinem Streifengang an Frank vorbeigekommen und hatte ihn mißtrauisch von der Seite angesehen, und die wenigen Fußgänger, die zu dieser Zeit noch die Straße passierten, betrachteten ihn nicht weniger argwöhnisch.
Die Glockenschläge waren kaum verklungen, als ein Privatauto mit ziemlicher Geschwindigkeit die Straße entlangfuhr und plötzlich vor dem Hause anhielt.
In dem Herrn, der aus dem Auto stieg, konnte Frank von seinem Posten aus ohne Schwierigkeiten Oberst Black erkennen. Man erwartete ihn offenbar, denn die Tür wurde sofort geöffnet.
Drei Minuten später fuhr ein anderer Wagen die Straße herunter und hielt in einiger Entfernung von dem Haus, als kenne der Chauffeur sein Ziel nicht genau.
Ein elegant gekleideter Herr stieg aus, und Frank sah in dem ungewissen Licht einer Straßenlaterne, daß es Sir Isaac Tramber war.
Als sich der Fremde zu seinem Chauffeur wandte, um ihm einen Auftrag zu geben, blitzte kurz eine weiße Hemdbrust unter einem dunklen Mantel auf.
Er zögerte am Fuß der Treppe, die zu der Haustür emporführte, stieg dann langsam hinauf und tastete nach der Klingel. Bevor er sie aber berührte, öffnete sich die Tür bereits, und nach einer kurzen Unterhaltung trat er ein.
Frank, der geduldig auf der anderen Seite der Straße wartete, sah plötzlich im ersten Stock Licht.
Er wußte allerdings nicht, daß dort oben die ›Aufsichtsratssitzung‹ einer Gesellschaft abgehalten wurde, deren Aktienkapital größer war als das der angesehensten Firmen in der City, einer Gesellschaft, deren Zweigniederlassungen und Agenten man in den verschiedensten Teilen der Welt antreffen konnte. Es wurden sogar Bücher geführt – man mußte sie nur finden und ihre chiffrierten Eintragungen entziffern können.
*
Oberst Black und der Herr, der eben gekommen war, saßen sich an einem langen Tisch gegenüber. Sir Isaac Tramber war ein gutaussehender junger Mann von sechsundzwanzig Jahren, mit einem schwachentwickelten Kinn und einem dünnen blonden Schnurrbart. Das Gesicht des sportliebenden Baronets war allen Rennstallbesitzern oder an Pferderennen interessierten Zuschauern wohlvertraut.
Aus einem bestimmten Grund wurde Sir Isaac von den Angehörigen der guten Gesellschaft gemieden, obwohl er aus einer Familie stammte, die in der Geschichte Englands eine Rolle gespielt hatte und Anfang des 17. Jahrhunderts geadelt worden war.
Er führte einen stolzen Namen, und viele seiner Vorfahren hatten ihn fleckenlos rein erhalten und stolz getragen. Trotzdem sprach man nicht von Sir Isaac; seine Einladungen wurden mit größter Höflichkeit abgelehnt und niemals erwidert.
Er war einmal in einen Skandal verwickelt gewesen, der nie ganz aufgeklärt worden war. Die gute Gesellschaft ist ihren Angehörigen gegenüber sehr nachsichtig; es gibt Verbrechen und Sünden, die sie, wenn auch nicht gerade bereitwillig, aber doch schließlich entschuldigt und verzeiht. Aber gewisse Vergehen können nie vergeben werden, und die Tore der Gesellschaft schließen sich mitleidslos vor jedem, der mit solcher Schuld beladen ist.
Sie hatten sich auch vor Sir Isaac Tramber geschlossen nicht, weil sein Name mit Skandalaffären verquickt war, sondern wegen eines Midland-Rennens, bei dem er sein eigenes Pferd geritten hatte. Sein Pferd war damals Favorit gewesen.
Die genaueren Umstände dieses Rennens sind in den Akten des ›Jockei Club‹ verzeichnet. Die erregte Menge stürmte die Barrieren und versuchte an diesen Amateurjockei heranzukommen. Auch die Sportjournalisten hatten das außergewöhnliche Ereignis in ihren Zeitungen genau geschildert.
Sir Isaac wurde vor die Rennleitung zitiert, und später wurde der Fall dem Vorstand des ›Jockei Club‹ unterbreitet. Als der Rennkalender des nächsten Jahres erschien, enthielt er die kurze, schwerwiegende Bemerkung, daß Sir Isaac Tramber wegen der Vorkommnisse in Newmarket Heath die Rennlizenz entzogen worden sei.
Erst nach vier Jahren wurde dieser Bann von ihm genommen.
Er konnte nun wieder auf Rennen erscheinen und eigene Pferde laufen lassen. Er tat auch beides. Aber die Ächtung der guten Gesellschaft, deren ungeschriebene Gesetze er verletzt hatte, blieb bestehen, und die Türen aller maßgebenden Häuser schlössen sich vor ihm.
In der vornehmen Welt besaß Sir Isaac Tramber nur einen einzigen Freund. Aber viele Leute behaupteten, daß Lord Verlond, dieser unliebenswürdige und verbitterte alte Herr, die Bekanntschaft mit ihm nur aus Eigensinn aufrechterhielt. Diese Behauptung mochte vielleicht auch der Wirklichkeit entsprechen, denn Lord Verlond hatte die schärfste Zunge in ganz England.
Der Weg zur Hölle ist leicht, wie das Sprichwort sagt, und er war besonders leicht für Isaac Tramber, der schon so früh dekadente Neigungen gezeigt hatte und diese auch eifrig weiterentwickelte.
Nun saß er an dem einen Ende des Tisches, hatte beide Hände in die Hosentaschen gesteckt und den Kopf etwas auf die Seite gelegt wie ein kecker Vogel. Er war ein tüchtiger Geschäftsmann, wie Black schon während der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft hatte feststellen können.
»Ich glaube, wir sind vollzählig«, sagte Black und sah seinen Partner belustigt an.
Sparks und seinen Freund hatten sie in einem der unteren Räume zurückgelassen.
»Ich habe Sie heute abend hergebeten, um Ihnen einen Bericht über unsere Geschäfte zu geben, und ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß wir im letzten Jahr mehr verdient haben als jemals zuvor.«
Dann machte der Oberst noch genauere Angaben über seine Tätigkeit als ›Geschäftsführer‹, und er tat es mit dem Auftreten und Gebaren eines Mannes, der eine große Versammlung abhält.
»Man könnte einwenden«, fuhr Black geheimnisvoll fort, »daß das Geschäft eines nicht an der Börse zugelassenen Maklers mit meiner anerkannten Stellung in der Finanzwelt nicht vereinbar wäre. Aber der nichtkonzessionierte Börsenmakler ist eine sehr nützliche Persönlichkeit, besonders wenn er Tausende von Kunden an der Hand hat. Er kann zum Beispiel große Posten unserer Aktien seinen Klienten zum Ankauf empfehlen, ohne daß er in Verdacht kommt, selbst daran interessiert zu sein. Und gerade augenblicklich bin ich stark darauf angewiesen, daß der Ankauf dieser Aktien dem Publikum nahegelegt wird.«
»Haben wir durch Fanks’ Tod irgendwelche Verluste gehabt?« fragte der Baronet sorglos. »Der arme Mann hatte