»Was willst du denn aber mit diesem verrückten Dempsi anfangen?« fragte Bobby. Er beugte sich vor und sprach leise.
»Ich weiß es auch noch nicht. Diesmal kann ich nicht wieder darauf rechnen, daß er in den Busch läuft. Nun –?«
Mr. Superbus war wieder in der Tür erschienen. Sie konnte es nicht leiden, daß er immer die Hand aufs Herz legte; bevor er sich verneigte.
»Der Geistliche ist wieder gekommen«, flüsterte er heiser, »es ist der Vikar von Banhurst.«
Mr. Superbus hatte eine große Ehrfurcht vor Vertretern der Kirche, und der Vikar von Banhurst war für ihn eine Respektsperson hohen Ranges. Aber Diana sah in ihm nur den Mann, der sie verheiraten und ihrer Freiheit berauben wollte. Sie war sehr bestürzt über sein Erscheinen.
»Sagen Sie ihm, daß ich krank bin, sagen Sie ihm – ich bin – ich bin sehr, sehr krank! Bitten Sie ihn, morgen wiederzukommen. Aber teilen Sie nur nicht Mr. Dempsi mit, daß er hier war!«
»Er sagte, für den Fall, daß Sie ihn anläuten wollten –«
Superbus versuchte, ihr eine Visitenkarte zu überreichen, aber sie machte eine abwehrende Handbewegung.
»Ich brauche seine Adresse nicht –«
Mr. Superbus machte eine feierliche Verbeugung und verließ das Zimmer.
»Bobby, was soll ich nur tun? Das war nun schon der dritte Besuch!«
»Wer ist es denn?«
»Der Geistliche! Natürlich hat Dempsi das veranlaßt! Er glaubt, daß wir in einigen Stunden verheiratet sein werden. Das sieht ihm so ganz ähnlich! Es ist ja so absurd, so vollkommen verrückt! Aber er war kaum zwei Minuten im Haus, als er mir schon sagte, daß er zum Pfarrer schicken wolle, um uns zu vereinen …«
Bobby suchte nach einer Lösung. »Hast du keinen Plan?«
Ob sie einen Plan hatte? Dachte sie nicht jede Sekunde daran, wie sie sich von diesem Alpdruck befreien könnte?
»Ich habe hundert Pläne, aber sie sind alle töricht und unausführbar. Ich wollte schon fortlaufen – das erschien mir bisher als die einzig vernünftige Idee.«
»Wohin willst du denn gehen?« fragte er.
»Nach Schottland – zu Gordon.«
Bobby sprang auf.
»Das darfst du nicht tun! Wozu du dich auch immer entschließen magst, das ist unmöglich! Erstens weiß niemand von uns, wo er ist, und zweitens … nein, das würde ich nicht tun!«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Aber warum denn nicht? Ich könnte Gordon alles sagen, und ich bin fest überzeugt, daß er sehr lieb zu mir sein würde. Ich fühle, daß ich in dieser Krisis einen großen Halt an ihm hätte.«
»Aber wenn Dempsi dir nun folgt? Soweit ich die Sache übersehen kann, wird er das sicher tun! Wenn er herausbringt, daß du ihn getäuscht hast, wenn er dich bei Gordon findet?«
Sie lächelte, und ihre Augen strahlten.
»Das ist ein guter Gedanke. Gordon hat doch seine Jagdgewehre bei sich – pst, hier kommt er!«
Bobby hatte schon versprochen, die Nacht im Hause zu bleiben, denn Superbus war müde. Auch er war nur ein Mensch, wie er erklärte, und hatte nur ein Paar Augen, die jetzt dringend der Ruhe bedürften.
Bald darauf versammelten sich alle zum Abendessen. Heloise hatte es gekocht, und Dianas Respekt vor ihr wuchs. Dempsi war in der ausgelassensten Stimmung und wollte Wein, roten, köstlichen Wein, auf die Gesundheit seiner Braut trinken. Er verlangte, daß der Wein rot und rosig in geschliffenen Gläsern funkeln und den lachenden Sonnenschein der Weinberge widerspiegeln sollte. Seine Farbe sollte dem warmen, pulsenden Blut der Jugend entsprechen, das vor Lust und Liebe wallte.
Dies sagte er in so vielen wortreichen Phrasen, daß Bobby schließlich kurz und beleidigend wurde und ihm statt dessen Whisky-Soda anbot. Mr. Dempsis Gesichtsfarbe wurde dunkel. Diana vermittelte schnell und wollte ihn zum Schweigen bringen, aber ebensogut hätte sie versuchen können, das rollende Rad der Zeit aufzuhalten. Dempsi hatte sich aber von seinem Ärger sehr bald wieder erholt und sprach nun in den höchsten Tönen von seinem Glück. Er küßte Dianas Hand und erzählte ihr zum drittenmal die Geschichte seines Lebens.
»Der Teufel soll Sie holen!« brummte Bobby.
Mr. Dempsi brach in Tränen aus.
»Diana, der Kerl fällt mir wirklich derartig auf die Nerven, daß ich es nicht mehr aushalten kann!« sagte Bobby, als der begeisterte Liebhaber verschwunden war.
Diana lehnte sich erschöpft in ihren Stuhl zurück und fächelte sich mit ihrem Taschentuch.
»Es ist entsetzlich!« stöhnte sie. »Aber wir müssen eine Lösung finden!«
Mr. Dempsi hatte dank seiner temperamentvollen Veranlagung sein Gleichgewicht schon wiedergefunden, als er durch die Diele schritt. Julius Superbus machte sich gerade an dem Ofen im Studierzimmer zu schaffen, als er eintrat. Er ging auf ihn zu und legte seine Hand auf seine Schulter.
»Ah, mein Freund«, murmelte er.
Julius, dem nicht gleich eine passende Antwort einfiel, wollte sichergehen.
»Guten Abend«, sagte er nur und klopfte ihm auf den Kopf.
»Sie sind der einzige Freund, den ich in diesem Hause habe, die einzige verstehende Seele, der einzige ehrliche Charakter! Ich werde immer an Sie denken!«
Mr. Dempsi sprach dauernd so, als ob er erst kürzlich von einem Ferienaufenthalt im Himmel zurückgekommen wäre.
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht sagen«, entgegnete Julius großzügig. »Es gibt auch noch andere große Menschen hier.«
»Ich sage es aber, ich Giuseppe Dempsi! Wer will mir dieses Recht verwehren?« fragte er wild.
Julius machte schleunigst einen Rückzug.
»Ich nicht, mein Herr, ganz gewiß nicht!« erwiderte er schnell. »Das ist das letzte, was ich tun würde.«
Giuseppe wurde wieder sehr liebenswürdig.
»Gleich, als ich Sie sah, sagte ich: ›Das ist ein Mann mit einer glänzenden Phantasie, ein tapferer, begabter Mann mit großem Verstand! Superbus hat ein Herz, er hat Mitgefühl, er ist ein Mann von Welt, ein kühner Verteidiger des Rechts, ein Vertreter des Gesetzes!‹«
Mr. Superbus wurde es ganz unheimlich zumute. Er fürchtete wie alle Amateurdetektive, daß seine Stellung falsch aufgefaßt werden könne. Er räusperte sich.
»Ich bin nicht direkt ein Vertreter des Gesetzes, mein Herr. In gewisser Weise stimmt das wohl, aber in anderer Beziehung bin ich es auch wieder nicht, obwohl ich diese Bezeichnung mit allem Recht führen durfte, als ich ein Gerichtsvollzieher in der Provinz war.«
Dempsi lächelte.
»Aber jetzt sind Sie ein großer Detektiv, ein Schüler des unsterblichen Sherlock Holmes – was für ein Mann, welch ein Genie! Ja, das sind Sie, Sie haben es mir ja selbst gesagt!«
Julius beeilte sich, einen falschen Eindruck, den er hervorgerufen hatte, richtigzustellen.
»Ich bin ein Privatdetektiv, mein Herr, Privat! Ich habe es Ihnen doch erklärt, ich kam hierher, um –«
Aber Dempsi erlaubte keinem anderen zu reden.
»Um einen gemeinen Schuft zu bewachen«, fuhr er begeistert fort. »Daß solch ein Mensch überhaupt frei umherlaufen darf! Der Doppelgänger! Schon sein Name ist schlimm. Sie sind erstaunt, daß auch ich von diesem Menschen gehört habe, der die heiligsten Gesetze verletzt? Sie, der kluge Detektiv, sind verwirrt und bestürzt, daß ich etwas von diesem teuflischen Briganten weiß? Superbus, ich bitte Sie um einen Gefallen.