»Wir sind da! Hier liegt die ›Seabreaker‹.«
Der eine der Männer zeigte auf einen Schlepper, der direkt vor ihnen lag. Es war ein großes, starkgebautes Schiff, das durchaus auch auf offener See fahren konnte.
Das Boot legte an der Steuerbordseite an und machte an einem Tau fest. Bell kletterte eine Strickleiter hinauf und schwang sich, oben angelangt, über die Reeling.
»Sie müssen unbedingt ein ordentliches Fallreep beschaffen, Captain«, sagte er.
Ein kräftiger, untersetzter Mann mit dichtem, graumeliertem Vollbart legte die Hand zum Gruß an den Südwester.
»Ich habe es schon in Auftrag gegeben, Sir.«
»Es wäre mir lieb, wenn Sie dafür sorgten, daß es schon morgen angebracht wird«, erklärte Bell. »Ich werde jetzt das Schiff inspizieren.«
Der Dampfer war ganz neu und für einen Schlepper wirklich ein Muster an Sauberkeit und Ordnung. Eine ganze Anzahl von Lampen beleuchteten das Oberdeck. Achtern, wo sich sonst bei einem solchen Schiff die Vorrichtungen zur Befestigung der Schleppseile befinden, war das große, breite Deck mit Glaswänden abgeschlossen und zu einem geschmackvoll eingerichteten Raum umgewandelt. Auch hinter dem Kartenzimmer lag noch eine andere große Kabine. Comstock stieg die Leiter zu der kleinen Kommandobrücke hinauf und begab sich in diesen Raum.
Die geräumige Kabine war in zwei Einzelräume unterteilt und mit schönen Möbeln ausgestattet worden. Ein Bett stand unter dem einen Fenster und ein wertvoller Schreibtisch unter dem andern. Auf dem Fußboden lag ein hübscher Teppich. Außer durch die Seitenfenster erhielt die Kabine auch noch von oben Licht, sie war mit Milchglas abgedeckt. Eine Tür führte in ein kleines, ebenfalls luxuriös ausgestattetes Badezimmer.
Auch dieses inspizierte Bell kurz und ging dann in den nebenan liegenden Raum. Dort stand an einer Wand ein großer Bücherschrank; ein breites Sofa und ein Teppich vervollständigten die Ausstattung.
»Kommen Sie herein, Captain Lauder«, sagte Bell durch die geöffnete Tür zu dem Mann, der draußen wartete.
Lauder trat näher.
»Bitte nehmen Sie Platz. Sie kennen also genau Ihre Instruktionen?«
»Jawohl, Sir.«
»Sind Sie mit dem Schiff zufrieden?«
»Vollkommen. Ich bin letzte Woche damit bei starkem Südwest in die Nordsee gefahren, und das schlechte Wetter hat ihm nicht im geringsten geschadet.«
»Wie steht es mit der Besatzung?«
»Sie ist unbedingt zuverlässig, Sir. Ich habe meine beiden Söhne mit an Bord genommen. Sie haben vor einiger Zeit ihr Steuermannsexamen gemacht. Unten im Maschinenraum arbeitet mein Bruder Georg mit seinem Sohn und einem andern mit ihm befreundeten jungen Mann.«
»Dann haben wir ja fast die ganze Familie beisammen.« Bell lächelte. »Aber letzten Endes hängt doch alles von Ihnen ab, Lauder.«
»Mir können Sie völlig vertrauen«, entgegnete der Kapitän ruhig. »Ich werde niemals vergessen, was ich Ihnen verdanke.« »Ich selbst bin Ihnen zu Dank verpflichtet, aber darüber wollen wir nicht mehr reden. Wenn Sie Ihr Fallreep angebracht haben, fahren Sie nach Gravesend hinunter und warten dort weitere Befehle ab. Sie können ruhig an Land gehen, bis ein Telegramm von mir eintrifft. Dann tun Sie alles, was in dem versiegelten Brief steht, den ich Ihnen gegeben habe. Und bedenken Sie immer, daß ich nichts von Ihnen verlange, was gegen die Gesetze verstößt. Weder Sie noch die Mannschaft brauchen sich die geringste Sorge zu machen.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Legen Sie dieses Geld in Ihren Safe.« Bell holte ein kleines Paket Banknoten aus der Tasche. »Es reicht einige Zeit für alle Ausgaben und Löhne.«
Ohne ein weiteres Wort zog er dann seinen Mantel wieder an, stieg in das Boot hinunter und ließ sich an Land rudern.
8
Helder klingelte, und die junge Dame, die gerade einen Artikel ins Englische übersetzte, unterbrach ein wenig ungehalten ihre Arbeit und ging in sein Büro. Er hatte sie heute schon zweimal gerufen und war jedesmal sehr liebenswürdig zu ihr gewesen.
Als sie eintrat, blätterte er in einem Katalog über Druckereimaschinen.
»Ach, Miss Maple«, sagte er freundlich. »Ich habe nach Ihnen geklingelt, um Ihnen zu sagen, daß ich mit Ihrer Arbeit wirklich sehr zufrieden bin.«
Es waren erst drei Tage vergangen, seit sie ihre neue Stellung angetreten hatte, und sie ärgerte sich fast über dieses Lob.
»Nehmen Sie doch bitte Platz.« Er legte den Katalog beiseite. »Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen.«
»Danke, ich bleibe lieber stehen«, entgegnete sie.
»Wie Sie wünschen. Es stört Sie doch hoffentlich nicht, daß ich sitzen bleibe? Also – erstens möchte ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen statt der vereinbarten drei Pfund vier Pfund wöchentlich zahlen werde.«
»Ich denke, Sie zahlen mir genug für meine Arbeit. Es ist doch wirklich nicht viel zu tun.«
»Mit der Zeit wird es mehr Arbeit geben. Wir befinden uns augenblicklich in der stillen Saison. Nebenbei – sind Sie nicht die Nichte einer sehr bekannten Persönlichkeit?«
Sie wurde rot.
»Ich meine das nicht ironisch«, fügte er hastig hinzu. »Thomas Maple hat tatsächlich einen außerordentlichen Ruf. Soviel ich weiß, hat er die neuen österreichischen Banknoten graviert?«
»Ich kümmere mich wenig um die Geschäfte meines Onkels«, erwiderte sie. »Es ist mir nur bekannt, daß er früher Platten für Banknoten graviert hat.«
»Früher?«
»Er lebt jetzt ganz zurückgezogen. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr. Helder, möchte ich lieber nicht über meinen Onkel sprechen.«
Er lächelte wohlwollend.
»Meine liebe Miss Maple, ich wollte mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten einmischen, aber interessante Leute beschäftigen mich nun einmal.«
Er schaute sie an. Sie war wirklich außerordentlich hübsch, und er betrachtete es als einen persönlichen Erfolg, daß er sie für sein Büro hatte gewinnen können.
»Ich werde Sie Verity nennen«, sagte er plötzlich.
Sie wurde rot und sah zur Seite.
Er ging auf sie zu und legte ihr seine Hände auf die Schultern, während sie ihn starr vor Schrecken anblickte.
»Verity, wir müssen gute Freunde werden. Aber – zuvor möchte ich, daß Sie mich besser kennenlernen.«
Bevor sie eine abwehrende Bewegung machen konnte, legte er den Arm um sie. Sie stieß einen Schrei aus.
»Seien Sie doch ruhig«, flüsterte er aufgeregt. »Sie machen ja die Leute im ganzen Haus aufmerksam!« Er war wütend über sich selbst. Wie hatte er nur so die Beherrschung verlieren können.
Ohne ein weiteres Wort rannte sie zur Tür, doch bevor sie diese öffnen konnte, hatte er sie eingeholt und gepackt.
»Lassen Sie sich ja nicht einfallen, irgend jemandem etwas zu erzählen – auch Ihrem Onkel nicht! Verstehen Sie mich?« Er schüttelte sie wild hin und her. »Und morgen früh kommen Sie wie gewöhnlich wieder hierher. Wenn Sie es nicht tun, werde ich Sie finden – und dann gnade Ihnen Gott! Ich brauche nur gewisse Dinge, die ich weiß, den Leuten zu erzählen …«
»Lassen Sie mich gehen«, bat sie leise.
Er