Der Mann in der Kiste
Mit vollen Segeln steuert Encisos Schiff von Española dem amerikanischen Festland zu, schon sind die Umrisse der Insel in den blauen Horizont versunken. Es ist eine stille Fahrt und nichts Sonderliches zunächst zu vermerken, nur allenfalls dies, dass ein mächtiger Bluthund von besonderer Kraft – er ist ein Sohn des berühmten Bluthundes Becericco und selbst berühmt geworden unter dem Namen Leoncico – unruhig an Deck auf und nieder läuft und überall herumschnuppert. Niemand weiß, wem das mächtige Tier gehört und wie es an Bord gekommen. Schließlich fällt noch auf, dass der Hund von einer besonders großen Proviantkiste nicht wegzubringen ist, welche am letzten Tage an Bord geschafft wurde. Aber siehe, da tut sich unvermuteterweise diese Kiste von selber auf, und aus ihr klimmt, wohlgerüstet mit Schwert und Helm und Schild, wie Santiago, der Heilige Kastiliens, ein etwa fünfunddreißigjähriger Mann. Es ist Vasco Nuñez de Balboa, der auf solche Art die erste Probe seiner erstaunlichen Verwegenheit und Findigkeit gibt. In Jerez de los Caballeres aus adeliger Familie geboren, war er als einfacher Soldat mit Rodrigo de Bastidas in die neue Welt gesegelt und schließlich nach manchen Irrfahrten mitsamt dem Schiff vor Española gestrandet. Vergebens hat der Gouverneur versucht, aus Nuñez de Balboa einen braven Kolonisten zu machen; nach wenigen Monaten hat er sein zugeteiltes Landgut im Stich gelassen und ist derart bankrott, dass er sich vor seinen Gläubigern nicht zu retten weiß. Aber während die andern Schuldner mit geballten Fäusten vom Strande her auf die Regierungsboote starren, die ihnen verunmöglichen, auf das Schiff Encisos zu flüchten, umgeht Nuñez de Balboa verwegen den Kordon des Diego Kolumbus, indem er sich in eine leere Proviantkiste versteckt und von Helfershelfern an Bord tragen lässt, wo man im Tumult der Abreise der frechen List nicht gewahr wird. Erst als er das Schiff so weit von der Küste weiß, dass man um seinetwillen nicht zurücksteuern wird, meldet sich der blinde Passagier. Jetzt ist er da.
Der »bachiller« Enciso ist ein Mann des Rechts und hat, wie Rechtsgelehrte meist, wenig Sinn für Romantik. Als Alcalde, als Polizeimeister der neuen Kolonie, will er dort Zechpreller und dunkle Existenzen nicht dulden. Barsch erklärt er darum Nuñez de Balboa, er denke nicht daran, ihn mitzunehmen, sondern werde ihn an der nächsten Insel, wo sie vorbeikämen, gleichgültig, ob sie bewohnt sei oder unbewohnt, am Strande absetzen.
Doch es kam nicht so weit. Denn noch während das Schiff nach der Castilia del Oro steuert, begegnet ihm – ein Wunder in der damaligen Zeit, wo im Ganzen ein paar Dutzend Schiffe auf diesen noch unbekannten Meeren fahren – ein stark bemanntes Boot, geführt von einem Mann, dessen Name bald durch die Welt hallen wird, Francisco Pizarro. Seine Insassen kommen von Encisos Kolonie San Sebastian, und zuerst hält man sie für Meuterer, die ihren Posten eigenmächtig verlassen haben. Aber zu Encisos Entsetzen berichten sie: es gibt kein San Sebastian mehr, sie selbst sind die Letzten der einstigen Kolonie, der Kommandant Ojeda hat sich mit einem Schiffe davongemacht, die Übrigen, die nur zwei Brigantinen besaßen, mussten warten, bis sie auf siebzig Personen herabgestorben waren, um in diesen beiden kleinen Booten Platz zu finden. Von diesen Brigantinen wiederum ist eine gescheitert; die vierunddreißig Mann Pizarros sind die letzten Überlebenden der Castilia del Oro. Wohin nun? Encisos Leute haben nach den Erzählungen Pizarros wenig Lust, sich dem fürchterlichen Sumpfklima der verlassenen Siedlung und den Giftpfeilen der Eingeborenen auszusetzen; nach Española wieder zurückzukehren, scheint ihnen die einzige Möglichkeit. In diesem gefährlichen Augenblick tritt plötzlich Vasco Nuñez de Balboa vor. Er kenne von seiner ersten Reise mit Rodrigo de Bastidas, erklärte er, die ganze Küste Zentralamerikas, und er erinnere sich, dass sie damals einen Ort namens Darien am Ufer eines goldhaltigen Flusses gefunden hätten, wo freundliche Eingeborene wären. Dort und nicht an dieser Stätte des Unglücks solle man die neue Niederlassung gründen.
Sofort erklärt sich die ganze Mannschaft für Nuñez de Balboa. Seinem Vorschlag gemäß steuert man nach Darien an dem Isthmus von Panama, richtet dort zunächst die übliche Schlächterei unter den Eingeborenen an, und da sich unter der geraubten Habe auch Gold findet, beschließen die Desperados, hier eine Siedlung zu beginnen, und nennen dann in frommer Dankbarkeit die neue Stadt Santa Maria de la Antigua del Darien.
Gefährlicher Aufstieg
Bald wird der unglückliche Financier der Kolonie, der Bachiller Enciso, es schwer bereuen, die Kiste mit dem darin befindlichen Nuñez de Balboa nicht rechtzeitig über Bord geworfen zu haben, denn nach wenigen Wochen hat dieser verwegene Mann alle Macht in Händen. Als Rechtsgelehrter aufgewachsen in der Idee von Zucht und Ordnung, versucht Enciso in seiner Eigenschaft eines Alcalde Mayor des zur Zeit unauffindbaren Gouverneurs die Kolonie zugunsten der spanischen Krone zu verwalten und erlässt in der erbärmlichen Indianerhütte genauso sauber und streng seine Edikte, als säße er in seiner Juristenstube zu Sevilla. Er verbietet mitten in dieser von Menschen noch nie betretenen Wildnis den Soldaten, von den Eingeborenen Gold zu erhandeln, weil dies ein Reservat der Krone sei, er versucht dieser zuchtlosen Rotte Ordnung und Gesetz aufzuzwingen, aber aus Instinkt halten die Abenteurer zum Mann des Schwertes und empören sich gegen den Mann der Feder. Bald ist Balboa der wirkliche Herr der Kolonie: Enciso muss, um sein Leben zu retten, fliehen, und wie nun Nicuesa, einer der vom König eingesetzten Gouverneure der terra firma, endlich kommt, um Ordnung zu schaffen, lässt ihn Balboa überhaupt nicht landen, und der unglückliche Nicuesa, verjagt aus dem ihm vom König verliehenen Lande, ertrinkt bei der Rückfahrt.
Nun ist Nuñez de Balboa, der Mann aus der Kiste, Herr der Kolonie. Aber trotz seines Erfolges hat er kein sehr behagliches Gefühl. Denn er hat offene Rebellion gegen den König begangen und auf Pardon umso weniger zu hoffen, als der eingesetzte Gouverneur durch seine Schuld den Tod gefunden hat. Er weiß, dass der geflüchtete Enciso mit seiner Anklage auf dem Wege nach Spanien ist und früher oder später über seine Rebellion Gericht gehalten werden muss. Aber immerhin: Spanien ist weit, und ihm bleibt, bis ein Schiff zweimal den Ozean durchfahren hat, reichlich Zeit. Ebenso klug als verwegen sucht er das einzige Mittel, um seine usurpierte Macht so lange als möglich zu behaupten. Er weiß, dass in jener Zeit Erfolg jedes Verbrechen rechtfertigt und eine kräftige Ablieferung von Gold an den königlichen Kronschatz jedes Strafverfahren beschwichtigen oder hinauszögern kann; Gold also zuerst schaffen, denn Gold ist Macht! Gemeinsam mit Francisco Pizarro unterjocht und beraubt er die Eingeborenen der Nachbarschaft, und mitten in den üblichen Schlächtereien gelingt ihm ein entscheidender Erfolg. Einer der Kaziken, namens Careta, den er heimtückisch und unter gröblichster Verletzung der Gastfreundschaft überfallen hat, schlägt ihm, schon zum Tode bestimmt, vor, er möge doch lieber, statt sich die Indios zu Feinden zu machen, ein Bündnis mit seinem Stamme schließen, und bietet ihm als Unterpfand der Treue seine Tochter an. Nuñez de Balboa erkennt sofort die Wichtigkeit, einen verlässlichen und mächtigen Freund unter den Eingeborenen zu haben; er nimmt das Angebot Caretas an, und, was noch erstaunlicher ist, er bleibt jenem indianischen Mädchen bis zu seiner letzten Stunde auf das Zärtlichste zugetan. Gemeinsam mit dem Kaziken Careta unterwirft er alle Indios der Nachbarschaft und erwirbt solche Autorität unter ihnen, dass schließlich auch der mächtigste Häuptling, namens Comagre, ihn ehrerbietig zu sich lädt.
Dieser Besuch bei dem mächtigen Häuptling bringt die welthistorische Entscheidung im Leben Vasco Nuñez de Balboas, der bisher nichts als ein Desperado und verwegener Rebell gegen die Krone gewesen und dem Galgen oder der Axt von den kastilischen Gerichten bestimmt. Der Kazike Comagre empfängt ihn in einem weiträumigen, steinernen Haus, das durch seinen Reichtum Vasco Nuñez in höchstes Erstaunen versetzt, und unaufgefordert schenkt er dem Gastfreund viertausend Unzen Gold. Aber nun ist die Reihe des Staunens an dem Kaziken. Denn kaum haben die Himmelssöhne, die mächtigen, gottgleichen Fremden, die er mit so hoher Reverenz empfangen, das Gold erblickt, so ist ihre Würde dahin. Wie losgekettete Hunde fahren sie aufeinander los, Schwerter werden gezogen, Fäuste geballt, sie schreien, sie toben gegeneinander, jeder will seinen besonderen Teil an dem Gold. Staunend und verächtlich sieht der Kazike das Toben: Es ist das ewige Staunen aller Naturkinder an allen