Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: О. Генри
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788075834942
Скачать книгу
man nicht alles ... Sollten Sie irgend etwas Interessantes finden, so wird es den Fürsten sehr freuen.«

      Harro hat kein besonderes tendre für alte Töpfe. Da es immer noch herunterrieselt ... ein grauer, farbloser Herbsttag – die Maurer in der Ruine – er hat bereits die großen Stiefel an ... An einem solchen trostlosen Tag müßte Schloß Schweigen seinem Namen Ehre machen.

      Harro geht durch den tropfenden Wald, wo es rauscht und rauscht vom Regen und dem Fallen der Blätter, die wie große traurige Schmetterlinge sich langsam herabsenken. Smaragdgrün sind die Wiesen mit den letzten frierenden nackten Herbstkindlein. In Wettermantel, Kapuze und hohen Stiefeln – wie genießt man die Regenwelt. Wie jeder Baum seine Regenlast anders trägt, am schönsten die Birke, an deren feinem Gezweig die glänzenden Perlen wie Geschmeide hängen. Im Tannenwald ist's am heimlichsten, da klingt's auf dem Nadelboden, wenn das Dach den Regen hindurchläßt, da webt's von Nebelfetzen, und an den Stämmen stehen wie aus feinstem mattem Gold die Elfenringe der Pilze.

      Die dunkeln Mauern von Schloß Schweigen verlieren sich in den Nebelhimmel. Der Bergfried sieht wie ein phantastisches Ungetüm aus. Harro stöhnt vor Entzücken. Ein Riesenschloß von Dämonen bewohnt! Das ist das Wetter für Schweigen! »Ich darf nur deinen Spuren nachgehen, Seelchen, so habe ich Glück! Ich könnte jetzt zu Hause sitzen, bei Staub und Mörtelgeruch. Das liegt so da, kein Mensch sieht's! Dort aus der Mauerluke müßte ein kleines rotes Licht hervorbrechen, wie ein böses Auge, daß man sieht, die Dämonen, die schlafen nicht – sie wachen. Und ich sollte nun nicht im Lodenmantel dastehen, sondern neben einem müden Schimmel mit Eisenhaube und verbeultem Harnisch ... und vor mir noch die alte Zugbrücke, dort sind die steinernen Angeln, in denen sie lief. Das Seelchen kann dazu dichten, was der Ritter vor der Geisterburg will ... sie wird es schon wissen ... Ich brauch's nur zu malen ... Herrgott, ist das eine Freud!« –

      Es ist eine lange Andacht, die der Thorsteiner vor der düstern, eingenebelten Burg hält, eine gesegnete Stunde, wie sie den Glücklichen wird, die die sehenden Augen haben, den Narren und Träumern.

      Endlich zerreißt ein Windstoß den Nebel und ein stärkerer Regen prasselt nieder, – und er erinnert sich, daß er alte Töpfe ansehen wollte und merkt, daß es eiskalt geworden ist. »Wenn die Dämonen mir zum Empfang einen Hexenschuß schicken, soll mich's nicht wundern!« brummt er. Die Försterin ist sehr erstaunt über den Besuch und läßt ihn freundlich mithalten an den Leberspätzlen, die sie für sich und die zwei Rotköpfchen gekocht hat. Sie wohnen noch nicht lange in Schweigen, und die Försterin weiß nichts von altem Gerümpel. Auf dem Dachboden liegt auch nichts mehr. Sie hielten auf Ordnung. –

      »Ordnung, heilige Himmelstochter,« seufzt Harro über seinen festen Leberspatzen. Aber dann bekommt er alle Schlüssel und kann den kurzen Nachmittag so gut anwenden als er will. So riechen also Geister. Die Stuben, deren schmale Fenster noch durch die Efeuranken verdüstert sind, sehen so finster aus wie möglich. Die reizenden Rokokomöbel sehen ganz verdrossen drein, und die Porzellanschäferin dort muß es sicher frieren. Und nie hat Harro Spiegel gesehen, die mehr darnach aussahen, als ob sich plötzlich von hinten ein zweites Gesicht hinter dem eigenen präsentieren könnte. Die heilige Himmelstochter herrscht wirklich überall, bis zum obersten Dachboden, wo in einer vielversprechenden Kammer sich schließlich nur wohlgehaltene Gastbetten vorfinden, die auf Jagdgäste warten. Die Küche ist sehr interessant, aber Harro bringt für die schönsten ziselierten Messingmörser nur ein schwaches Interesse auf. – Nirgends ein blaues Männlein! Harro findet seine Idee, darnach zu suchen, nun sehr absurd und lächerlich. Das Schloß ist gründlich untersucht, aber es gibt noch Nebengebäude. – Dort in dem Anbau neben dem Palas die kleinen vergitterten Fenster. Das sei die Schreinerstube, belehrt ihn das rotköpfige Försterkind. Darin wären einmal Räuber gewesen, und deshalb sei Vaters Flinte immer geladen.

      »Wollen wir zu den Räubern oder fürchtest du dich?« Das Rotköpfchen lächelt zu ihm hinauf, der lange Herr sieht aus, als traute er sich mit allen Räubern, und sie kennt den Schlüssel. Ein großer, finsterer Raum, der Harro der Inbegriff von all dem Düstern, das er heut gesehen, erscheint, öffnet sich ihnen, sehr groß und so nieder, daß Harro kaum aufrecht stehen kann. Die fernen vergitterten Fenster scheinen ins Unendliche zu verdämmern. Altes Handwerkszeug liegt herum, die niedrige Decke tragen rohe Holzsäulen.

      »Hier kann unmöglich je etwas anderes geschreinert worden sein als Särge,« denkt Harro, »Särge für alle Braunecker. Rotköpfchen, geh und bitte die Mutter um eine Kerze ...« Er läuft herum, gebückt, die Hände in den Hosentaschen. »Haben das die Dämonen wohl zu Winterställen für ihre Lindwürmer gebaut ... für Menschen kann das doch nie gedacht gewesen sein, wie ein Saal ist's aus einem bösen Traum; immer niedriger wird er, bis man schließlich kriechen muß, – puh ... ein wahrer Alp ... der Teufel hol ...«

      Die alten Säulen erfahren nicht, was der so viel Angerufene in seiner bunten Rumpelkammer versorgen soll, Harro sitzt plötzlich auf einem Sägebock, es brummt ihm wie hundert Hummeln vor den Ohren, über seine Stirne rinnt ein Blutstreifen. »Nun, ich muß sagen, ganz, was man von den Dämonen erwarten sollte!«

      Da kommt die Kleine mit der brennenden Kerze herein und stellt sie auf den Boden und fängt gellend an zu jammern: »Räuber sind da ... Dein Blut läuft heraus!« und rennt, so schnell sie die Füßchen tragen, zum Eingang zurück. Harro wischt sich das Blut von der Stirne.

      »Wo der Teufel hab ich mich so fürchterlich angestoßen?«

      Er nimmt die Kerze, da, der vorspringende Balkenkopf, wenn man so unmöglich lang ist! Der Balkenkopf. Herrgott! ... Zu – einem hockenden Männlein geschnitzt, das den Finger an die Lippen hält, das Röcklein gegürtet, das noch Spuren blauer Bemalung trägt. Und wie er jetzt die Säulenreihe hinabgeht und sie mit seiner Kerze ableuchtet, da trägt jeder Balkenkopf das Zeichen, manchmal nur in einem Stückchen blauer Bemalung oder in einem Stück des Kopfes. Von allen Seiten haben sie herabgesehen, drohend, warnend, lächelnd auf die Knappen, die wohl in dem unheimlichen Saale tafelten.

      Die Försterin kommt, von zwei weinenden Rotköpfchen, die an ihrem Rock hängen, begleitet.

      »Herr Graf, Sie haben ein Unglück gehabt, Sie sehen ganz weiß aus! Es ist ein zu wüster Ort.«

      »Gar nicht, Frau Försterin, man muß sich nur darin zu benehmen wissen, und Leute ohne Augen bekommen eben eins vor den Kopf. Sie geben mir ja schon eine Leinenbinde. Nimmer weinen, Klärle, die Räuber sind fort, da muckst keiner mehr ... Wenn ihr ausgeweint und eure Näschen geputzt habt, mach ich von jedem von euch ein Konterfei.« »Ach, das wäre mir eine Ehre,« sagt die Försterin errötend. »Das kann ich doch nicht verlangen! Und ich darf einen Kaffee machen; die Kälte geht heute bis auf die Knochen.« – –

      Es ist schon stockfinster, die Frau Försterin hält überselig zwei feine Blättchen in der Hand. – »Ach, schenken Sie uns doch wieder einmal die Ehre, Herr Graf!« Und Harro wandert den finstern weiten Weg wieder zurück, und so todmüde er ist, so spannt er sich doch noch eine Leinwand auf in den großen Rahmen, den ihm Märt gezimmert hat.

      Noch im halben Dämmer und mit schmerzendem Kopfe steht er am andern Morgen davor und bewegt den Gedanken. Sage ich's nun dem Seelchen, daß ich ihr blaues Männlein gefunden habe, oder nicht? – Sie kam niemals in die Schreinerstube, die Frau Försterin entsetzte sich über seine Anfrage ... Da müßte sie sich doch schämen vor den Herrschaften: mit dem »wüsten Gruft«. Aber der Fürst soll es sicher erfahren, er wird des Kindes Fragen nicht vergessen haben. Und er beschließt, dem Fürsten es in der Form mitzuteilen: Schloß Schweigen habe ihm die Anregung zu einem neuen Bilde gegeben und er habe dabei eine Schnitzerei entdeckt, die sich auf den Namen des Schlosses beziehe ...

      Und das Seelchen! Nein, er darf Frau von Hardenstein nicht in ihre pädagogischen Maximen hineingreifen ... Also erfährt das Seelchen nichts vom blauen Männlein. Und Harro geht auch nicht wieder nach Schweigen und malt sein Bild aus dem einzigen Eindruck heraus.

      Und es wird ein stiller Winter, aber der Ruinengraf feiert doch wieder Weihnachten! Der Fürst hat sich zwar nicht gedacht, daß seine kleine Tochter immer noch allein bleiben sollte in Brauneck, nun sie wieder eine Mutter hat; aber kaum ist die Kleine in Berlin installiert, bekommen die Portierskinder in Palais Brauneck Diphtherie,