ZUR EINFÜHRUNG
Am Anfang steht ein Widerspruch. »Die Psychologie hat eine lange Vergangenheit, aber nur eine kurze Geschichte«, stellte im Jahr 1908 der Gedächtnisforscher Hermann Ebbinghaus fest. Er hatte Recht. Seit Jahrtausenden beschäftigen sich die Menschen mit den Geheimnissen der Seele, weshalb die Wurzeln der Psychologie weit in die vorchristliche Zeit hinabreichen.
Als Wissenschaft im Sinne empirischer, das heißt methodisch überprüfbarer Forschung wird die Psychologie jedoch erst seit dem 19. Jahrhundert betrieben. Seit der Zeit also, da sich die Naturwissenschaften zu emanzipieren begannen und ihrerseits die Deutungshoheit über Mensch und Welt beanspruchten. Was vorher in die Zuständigkeit von Dichtern und Philosophen gefallen war, wurde nun zum Arbeitsfeld für Biologen, Physiker, Chemiker und Mediziner. Die noch junge Wissenschaft der Psychologie verstand sich selbst überwiegend als naturwissenschaftlicher Forschungszweig der Philosophie. An den Universitäten blieb sie auch lange, trotz ihrer experimentellen Arbeitsweise, ein Teil der philosophischen Fakultäten. Doch bestand daneben eine zweite, geisteswissenschaftlich orientierte Psychologie fort. Sie arbeitete mit dem Verstehen statt mit dem naturwissenschaftlichen Experiment.
Der doppelte methodische Ansatz prägt die Psychologie bis heute. Er rührt daher, dass ihre eigenständige Entwicklung just in der Epoche begann, in der sich Geistes- und Naturwissenschaften voneinander trennten. Innerhalb der Psychologie kam es dabei zu interessanten Überkreuzungen. Zum Beispiel befassten sich gerade die Neurologen und Psychiater als Erste mit der unempirischsten aller psychologischen Richtungen, mit der Psychoanalyse nämlich. Was daran lag, dass deren Begründer Sigmund Freud selber Arzt war.
Während sich also die Psychoanalyse entfaltete, erforschten andere die Wahrnehmung und das Verhalten, das menschliche Lernen, die Intelligenz, die Kommunikation und vieles mehr. In der praktischen Anwendung fanden die verschiedenen Themen dann nicht selten wieder zusammen