»Was ist denn los mit diesem Orden? Er bezweckt doch nur Wohltätigkeit und Kameradschaft. So steht es in den Statuten.«
»Vielleicht anderswo, aber nicht hier.«
»Und wie ist er denn hier?«
»Eine Mörderbande, das ist er hier.«
McMurdo lachte ungläubig –.
»Wie wollen Sie das beweisen?« fragte er.
»Beweisen! Haben wir hier nicht fünfzig Morde gehabt, die das beweisen? Man braucht nur an Milman und van Shorst und die Nicholson-Familie, an den alten Hyam, den kleinen Billy James und alle die anderen zu denken. Beweisen! Gibt es etwa in diesem Tal einen Mann oder eine Frau, denen all dies unbekannt ist?«
»Lieber Freund,« sagte McMurdo ernst, »entweder nehmen Sie zurück, was Sie da gesagt haben, oder Sie beweisen es. Eines oder das andere müssen Sie tun, bevor ich dieses Zimmer verlasse. Versetzen Sie sich doch in meine Lage. Ich bin hier ein Fremder und gehöre einer Verbindung an, die nach meinem besten Wissen vollkommen harmlos ist. Sie ist über die ganzen Staaten verbreitet. Überall gilt sie als ehrenwert und harmlos. Ich bin gerade im Begriff, mich hier eintragen zu lassen, und nun kommen Sie und erzählen mir, daß es eine Mörderbande ist, die sich die Rächer nennt. Nach meinem Dafürhalten müssen Sie sich entweder entschuldigen, oder mir eine Aufklärung über das geben, was Sie gesagt haben.«
»Ich kann Ihnen nur sagen, was die ganze Welt weiß, Herr. Die Leute hängen zusammen wie ein Clan. Wer einen von ihnen beleidigt, hat es mit der ganzen Bande zu tun. Das weiß jedes Kind hier.«
»Es handelt sich wahrscheinlich um ganz gewöhnlichen Tratsch. Was ich haben möchte, sind Beweise,« sagte McMurdo.
»Wenn Sie lange genug hier gewohnt haben, werden Sie sich um Beweise nicht zu sorgen brauchen. Aber Sie sind doch selbst einer von der Bande. Es wird nicht lange dauern, bis Sie genau so schlecht sind, wie die anderen. Sie müssen sich nach einem anderen Quartier umsehen, Herr, hier können Sie nicht bleiben. Es ist schon schlimm genug, daß einer von euch meiner Ettie nachstellt und ich es nicht wagen kann, ihm das zu verbieten. Muß ich da noch einen Zweiten unter meinem eigenen Dach dulden? Nein, heute nacht können Sie noch hier schlafen, aber morgen müssen Sie hinaus.«
So wurde McMurdo nicht allein aus seinem gemütlichen Heim, sondern auch von dem Gegenstand seiner Liebe verbannt. Er fand sie am selben Abend allein Wohnzimmer sitzen und schüttete ihr sein Herz aus.
»Ihr Vater hat mir gekündigt,« sagte er. »Ich würde mir nichts daraus machen, wenn es sich nur um mein Zimmer handelte. Aber, Ettie, obwohl wir uns erst eine Woche kennen, sind Sie bereits mein Alles geworben, und ich kann nicht mehr ohne Sie leben.«
»Seien Sie doch still, Mr. McMurdo, Sie dürfen so nicht sprechen,« sagte das Mädchen. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß es für Sie zu spät ist. Es ist bereits ein anderer da, und wenn ich ihm mein Jawort auch noch nicht gegeben habe, so kann ich es doch keinem anderen geben!«
»Wenn ich der Erste gewesen wäre, hätte ich dann Aussicht gehabt, Ettie?«
Das Mädchen schlug die Hände vors Gesicht.
»Wollte Gott, daß Sie der Erste gewesen wären,« schluchzte sie.
McMurdo fiel vor ihr auf die Knie.
»Ettie! Ich beschwöre dich, daran festzuhalten,« rief er. »Wärest du imstande, diesem Manne dein und mein Lebensglück zu opfern? Folge der Stimme deines Herzens, Liebste. Sie ist ein besserer Wegweiser als all das, was man dir vorerzählt.«
Er hatte eine von Etties weißen Händen ergriffen, die er in seinen eigenen starken, braunen gefangenhielt.
»Sage, daß du die Meine sein willst, und wir werden der ganzen Welt trotzen.«
»Nicht jetzt.«
»Doch! Sogleich.«
»Nein, nein, Jack.«
Er schlang seine Arme um sie.
»Ich kann es hier nicht sagen. Kannst du mich nicht mit dir fortnehmen?«
Ein innerer Kampf zuckte einen Augenblick lang über McMurdos Gesicht, wich jedoch in wenigen Sekunden einem Ausdruck starrer Entschlossenheit.
»Warum nicht hier?« fragte er, »Du bist mein, und ich laße dich nicht, was auch immer kommen möge.«
»Warum können wir nicht zusammen fortgehen?«
»Nein, Ettie, ich kann nicht fort.«
»Aber warum?«
»Ich könnte niemals wieder der Welt in die Augen schauen, wenn ich mich von hier vertreiben ließe. Außerdem, was haben wir denn zu fürchten. Sind wir nicht in einem freien Land und Mitglieder eines freien Volkes? Was können uns denn die Leute anhaben, wenn ich dich liebe und du meine Liebe erwiderst?«
»Das verstehst du nicht, Jack. Du bist noch nicht lange genug hier. Du kennst diesen Baldwin nicht. Du kennst noch nicht McGinty und die Rächer.«
»Nein, ich kenne sie noch nicht, aber ich fürchte sie auch nicht und halte nichts von den Leuten,« sagte McMurdo. »Ich habe oft genug unter rauhem Volk gelebt, Liebling, und anstatt mich vor den Leuten zu fürchten, ist es gewöhnlich dazu gekommen, daß sie mich zu fürchten lernten. Jawohl, Ettie, die ganze Sache ist ein aufgelegter Wahnsinn. Wenn dein Vater recht hat und diese Leute hier im Tal tatsächlich Verbrechen über Verbrechen begangen haben, warum, frage ich dich, ist noch keiner zur Rechenschaft gezogen worden? Kannst du mir das sagen, Ettie?«
»Weil kein Mensch wagt, gegen sie als Zeuge aufzutreten, er würde es nicht vier Wochen überleben. Dagegen haben die Leute immer Zeugen in Bereitschaft, die beschwören, daß die Täter zur Zeit der Tat meilenweit von der Stätte des Verbrechens entfernt waren. Das alles mußt du doch gelesen haben, Jack. Man sagt doch, daß die Zeitungen in den ganzen Staaten voll davon sind.«
»Nun, ich habe einiges darüber gelesen, aber ich muß gestehen, daß ich es für müßiges Gerede hielt. Vielleicht auch haben die Leute Grund zu dem, was sie tun. Vielleicht werden sie unterdrückt und können sich nicht anders helfen.«
»Oh, Jack, ich kann dir nicht zuhören, wenn du so redest. Es ist genau dasselbe, was er immer sagt, – er, der andere.«
»Du meinst Baldwin? Er sagt dasselbe?«
»Jawohl, und deswegen hasse ich ihn aus ganzem Herzen. Aber ich fürchte ihn auch. Ich fürchte ihn wegen meiner selbst, aber noch mehr wegen Vater. Ich weiß ganz genau, was uns zustoßen würde, wenn ich verlauten ließ, wie es mir ums Herz ist. Darum habe ich ihn immer mit halben Versprechungen hinzuhalten gesucht. Darin liegt unsere einzige Rettung. Wenn du aber mit mir fliehen willst, Jack, könnten wir Vater mitnehmen und weit, weit fortgehen, wo uns die Leute nichts mehr anhaben können.«
Wieder spiegelte sich in McMurdos Gesicht ein innerer Kampf, und wieder erschien nach kurzem die steinerne Maske.
»Es wird dir nichts geschehen, Ettie, – weder dir noch deinem Vater. Und was diese Bösewichte anbelangt, so fürchte ich, daß du in mir, bevor noch viele Wochen vergangen sind, einen ebenso schlimmen erkennen wirst.«
»Nein, nein, Jack, das kann ich nicht glauben.«
McMurdo lachte bei diesen Worten bitter auf.
»Du lieber Gott! Wie wenig du mich kennst, Liebling. Du könntest dir in deiner Unschuld nicht einmal vorstellen, was in mir vorgeht. Aber wen haben wir denn da?«
Die Tür wurde in diesem Moment aufgerissen, und herein schlenderte ein junger Mann, in der Haltung eines Menschen, der sich ganz zu Hause fühlt. Es war ein hübscher, verwegen aussehender Bursche, ungefähr im selben Alter und von dem, selben Wuchs wie McMurdo. Sein anziehendes Gesicht, mit geschwungener Nase, war halb von einem breiten Filzhut beschattet, den abzuziehen