Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Brandes
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066113728
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gebe sich keine Mühe damit, im „Salamander“ nach einem „Falken“ zu suchen: Handlung gibt es da nicht, die Charaktere entwickeln sich so gut wie gar nicht, und doch wird jeder empfängliche Leser unter dem Einflüsse des Zaubers dieser Terzinen einen so lebhaften Genuss empfinden, dass es ihm vorkommt, als hätte das Gedicht ausser seinen eigenen Vorzügen noch alle die, die ihm abgehen. Von der epischen Ruhe, von dem objectiven Stil, der Heyse's eigentliches Ideal im Novellenfach ist, wird man hier nicht viel finden. Diese epische Ruhe passt vielleicht überhaupt weniger für den unruhigen Geist unserer Zeit. Vollständig ist die Verwirklichung dieses Ideals Heyse wohl eigentlich auch nur gelungen in den wenigen Prosanovellen, die das moderne Culturleben gar nicht berühren, wie in den genialen Pastichen aus der Vorzeit: „Die Stickerin von Treviso“ und „Geoffroy und Garcinde“, wo der edel einfältige Stil der altitalienischen oder provencalischen Erzählungen idealisirt ist, oder bei denjenigen Stoffen, die dem Leben des Volkes in Italien oder Tyrol entnommen sind; denn das Volk scheint ihm in jenen Ländern selbst ein naives und aus einem Guss geformtes Stück Mittelalter. Eine Erzählung wie das kleine Juwel „L'Arrabbiata“, das Heyse's Ruhm begründete, kommt erst durch ihre schlichte, strenge Einfassung zu ihrem Rechte; mit stilistischen Verzierungen oder mit psychologisch zugeschliffenen Facetten ausgestutzt, würde sie ihre ganze Schönheit verlieren, wenn nicht unmöglich sein. Ebenso ist „Die Stickerin von Treviso“, die wohl nach der eben genannten Novelle den grössten Beifall geerntet hat, in ihrer rührenden Einfachheit und Grösse auf solche Weise eins mit ihrer Chronikform, dass sie ohne diese gar nicht denkbar ist. Aber wo ganz moderne Eigenschaften und Scenen dargestellt werden, da kann der Stil kaum zu individuell und nervös sein. Heyse selbst kann es nicht unterlassen, sich in dieser Hinsicht nach seinem Stoffe zu richten; wie fieberhaft ist die Darstellung in der hübschen Krankengeschichte in Briefen „Unheilbar“! Indess lässt er sich augenscheinlich nur widerstrebend oder unfreiwillig zu einem so leidenschaftlich wogenden und zitternden Stil wie im „Salamander“ hinreissen. Diese Novelle ist lauter Vortrag, ihre Schönheit beruht ganz und gar auf der bestrickenden Anmuth der metrischen Diction und doch findet sich hier kein Wort, das nicht zur Sache gehört. Alles ist hier lebendiges Leben, jede stilistische Wendung tiefgefühlt und durchsichtig; die kämpfende Seele des Schreibenden liegt offen vor dem Leser. Die Situationen sind unbedeutend und alltäglich; keine bengalische Beleuchtung, nicht einmal in einem Schlusstableau. Aber diese merkwürdigen, unglaublich schönen, naturwidrig leichten, nervös leidenschaftlichen Terzinen verleihen mit ihrem Fragen und Antworten, Scherzen, Singen und Klagen der theatralisch natürlichen, beherrscht verliebten, blasirt koketten Heldin und der Leidenschaft, die sie einflösst, einen solchen Reiz, dass keine spannende Geschichte mit Angel- und Wendepunkt fesselnder sein könnte. Zum Abschluss tönen diese seltenen Terzinen, welche durch die Behandlung ein ganz neues Versmass geworden sind, ebenso überraschend wie genial und kühn, in die Accorde dreier naturfrischer Ritornelle aus. Allen Theorien zum Trotz behauptet eine Dichtung wie diese ihren Platz.

      Es will mich überhaupt bedünken, als mache Heyse sich einen unrichtigen Begriff von der Bedeutung des poetischen Stils. Theoretisch fürchtet er dessen selbständige Entwickelung und mag keine Werke, die „lauter Vortrag und Stil“ sind. Nichtsdestoweniger hat er in Gedichten wie „Das Feenkind“ und noch mehr in einem Gedichte wie „Frauenemancipation“ selbst solche Productionen geliefert. Das erste von diesen Gedichten ist fein und graziös, aber der Scherz dauert reichlich lange — von Schlagsahne isst man nicht gern allzu viel; das andere, dessen Tendenz übrigens die beste ist, leidet an einer Plauderhaftigkeit ohne Salz. Aber ein ausgeprägter Stil ist ja auch nicht dasselbe wie die formelle Virtuosität des Vortrags. Dass ein Sprachkünstler wie Heyse, der Uebersetzer Guisti's, der Troubadours, der italienischen und spanischen Volkslieder, diese im vollsten Masse besitzt, versteht sich von selbst. Allein der in Wahrheit künstlerische Stil ist nicht die formelle Anmuth, die sich gleichmässig über alles verbreitet: Stil im höchsten Sinne des Wortes ist Durchführung, in allen Punkten durchgeführte Form. Wo Sprachfarbe, Ausdruck, Diction, persönlicher Accent noch eine gewisse abstracte Gleichartigkeit haben, wo es nicht gelungen ist, in jedem Moment die Seele sich in allen diesen äusseren Formen prägen zu lassen, da hängt die sprachliche Draperie, aus wie leichtem Gewebe sie auch bestehen mag, steif und todt um die Persönlichkeit des Sprechenden. Der vollkommene moderne Stil dagegen umschliesst diese, wie das Gewand den griechischen Redner, die Haltung des Körpers und jede Bewegung hervorhebend. Der virtuosenhafte Vortrag kann, selbst wenn er „glänzend“ ist, herkömmlich und alltäglich sein; der echte Stil ist das nie. An der Erzählungsweise in Heyse's Novellen habe ich nicht viel auszusetzen; seine dramatische Diction spricht mich nicht so an.

      Mancher wird vielleicht meinen, wenn einige der historischen Dramen Heyse's nicht die Anerkennung, wie seine Novellen, gewonnen haben, so liege es daran, dass sie zu wenig Handlung und zu viel Stil besitzen. Wenn das Wort Stil aber verstanden wird, wie ich es hier bestimme, so muss man gewiss eher sagen, dass ihre Jambenform abgetragen war und dass sie nicht Stil genug haben. Die Diction in „Elisabeth Charlotte“ z. B. trägt weder hinlänglich die Farbe des Zeitalters, noch der Person, welche spricht. Man vergleiche nur die hinterlassenen derben Memoiren der Prinzessin. Der Dichter hat bei seiner fabelhaften Fertigkeit, sich in jedes poetische Genre hinein zu finden, ein Drama ebenso leicht zu Stande zu bringen, wie er eine Geschichte erzählt, sich die Arbeit etwas zu bequem gemacht. Die kleine Tragödie „Maria Moroni“, die unter den Schauspielen den Novellen am nächsten steht, könnte sowohl durch Plan wie durch Charakterzeichnung den italienischen Dramen Alfred de Musset's, an die es erinnert, würdig zur Seite stehen, wenn sie in der Sprachfarbe nicht so viel trockener wäre. Der Dialog Musset's funkelt nicht nur von Witz, sondern lodert zugleich von Innigkeit und Leben. Heyse ist in seinen Dramen nicht so persönlich mit seiner ganzen Seele an jedem Punkte zugegen gewesen. Aber dies: „an jedem Punkte“ ist der Stil.

      Wie ich also wegen der Vorzüglichkeit des Vortrags den „Salamander“ unter den versificirten Novellen am höchsten schätze, so würde ich um der Idee willen unter den Prosaerzählungen dem „Letzten Centaur“ einen hohen Platz geben, obwohl diese Novelle ebenfalls zu denen gehört, die der Definition am fernsten stehen. Es handelt sich in ihr nämlich nicht um eine Begebenheit oder einen Conflict in einem bestimmten Lebenskreise, nicht um einen besonderen psychologischen Fall, überhaupt nicht um ein Stück Leben, sondern um das Leben selbst; sie lässt gleichsam das ganze moderne Leben innerhalb eines engen Rahmens sich abspiegeln. Ein Schuss in das Centrum ist so erquickend. Warum es leugnen? Der peripherische Charakter einzelner anderen Arbeiten Heyse's ist Schuld daran, dass sie weniger interessiren. Wenn man eine lange Reihe Novellen durchgelesen hat, kann man nicht wohl umhin, sich nach Kunstformen zu sehnen, die bedeutungsvollere, allgemeingültigere Ideen und Probleme in poetische Form fassen.

       Inhaltsverzeichnis

      Heyse's Dramen sind höchst verschiedenartig: bürgerliche Tragödien, mythologische, historisch-patriotische Schauspiele von sehr verschiedener Kunstrichtung; sein Talent ist so biegsam, dass er sich an jede Aufgabe wagen darf. Einen starken Drang zum Historischen hat Heyse nicht gehabt; die geschichtlichen Dramen sind alle einem patriotischen Gefühl entsprungen und wirken am meisten durch dies Gefühl. Die für den Dichter bezeichnendste von diesen Dramengruppen ist die, welche antike Stoffe behandelt. Zu der Zeit, da man überall in dem höheren Schauspiel politische moderne Action verlangte, hat man in Deutschland über diese Beschäftigung mit altgriechischen und römischen Stoffen unverständig lamentirt oder gespottet. Man fragte, was in aller Welt den Dichter und uns an einem Gegenstande wie Raub der Sabinerinnen oder Meleager oder Hadrian zu interessiren vermöchte. Für den, welcher kritisch liest, ist es klar genug, was Heyse zu diesen Sujets hat hinziehen können. Sie verkörpern ihm seine Lieblingsideen über Frauenliebe und Frauenloos, sein eigenes Wesen spiegelt sich in ihnen. Wer das heissblütige Drama „Meleager“ mit Swinburne's „Atalanta in Kalydon“, das denselben Stoff behandelt, vergleichen will, wird zu manchen interessanten Beobachtungen über die Eigenthümlichkeit der beiden Dichter Anlass finden. „Hadrian“ hat wol am meisten die Kritik verwirrt. Was den Dichter zu einem uns so fremdartigen, noch dazu an die Schattenseiten des antiken Lebens erinnernden Verhältniss, wie dem zwischen Hadrian und Antinous