Für die Europäer spielte besonders ein religiöses Sendungsbewusstsein eine herausragende Rolle, war es doch dieses, was zunächst dominant wirkte. Eigentliches Ziel der Fahrten aber war die Bereicherung: Man hoffte Gewürze oder andere wertvolle Handelsware zu finden oder, als höchstes Gut, das Gold.
So kamen europäische Sprachen, Institutionen, Rechts- und Staatsvorstellungen, Religion und schließlich Techniken und Produktionsweisen in andere Teile der Welt, genauso wie die außereuropäischen Gebiete in vielfacher Hinsicht Europa beeinflussten.
1. Grundlagen, Definition und Epochengrenzen
Grundlagen, Verständnis und Grenzen des Kolonialismusbegriffs
Globalisierung ist keineswegs eine Erscheinung, die erst im 21. Jahrhundert beginnt, sondern lässt sich vielmehr auf das frühe 16. Jahrhundert zurückführen. Seit dieser Zeit führten Entdeckungsreisen zu immer neuen Gebieten, wurden regelmäßige Handelskontakte von Europa nach Afrika, Asien und Amerika entwickelt, umfassten also erstmals die ganze Welt. Es sollte die ganze frühe Neuzeit dauern, bis durch die Veränderungen der Aufklärung, besonders aber der Napoleonischen Zeit eine neue Periode begann, an deren Anfang die amerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen einerseits und der festere Griff der Europäer auf Afrika und Teile Asiens andererseits standen. Immer stärker wurden nun die Kolonien an das Mutterland gebunden, was gravierende und irreversible Einflüsse auf Gesellschaft, Kirchen, Kleidung, besonders aber auch auf die Beziehungen von Gruppen und Völkern zu einander haben sollte. Es ist also nach der »gemeinsamen Geschichte« zu fragen, wenngleich dies aus einem eurozentrischen Blickwinkel geschehen wird, aus welchem unsere Sicht meistens erfolgt. Mit dieser Perspektive verbunden ist die Erkenntnis, dass die Beziehungen durch Ungleichheit zwischen Herrschern und Beherrschten geprägt wurden, die Macht ausübten, vielfach auch repressiv. Globalisierung bzw. auch die Ressentiments gegenüber einer Zusammenarbeit mit Europa hat vielfach mit den tief sitzenden negativen Erfahrungen aus der Kolonialzeit zu tun.
Im 15. Jahrhundert vollzog sich in allen Bereichen der europäischen Gesellschaft ein tiefgreifender Wandel, der die Grundlage des umfassenden Ausgriffs in die außereuropäische Welt sein sollte. Mythen und Legenden wurden kritischer hinterfragt und nun auch geprüft. Hieraus erwuchs der Wunsch, die kartographischen Kenntnisse nicht nur zu vergrößern, sondern durch systematische Überprüfung den Horizont durch Fahrten zu erweitern. Damit begann die Globalisierung unter »europäischen Vorzeichen« (Horst Gründer), weil die europäischen Kolonialherren noch konsequenter und damit auch dauerhafter ihre Vorstellungen und Wertesysteme in anderen Erdteilen durchsetzten. Die Expansion, die Schaffung großer Reiche, die eine Benachteilung der unterworfenen Völker einschloss, war kein europäisches Phänomen, sondern findet sich auch bei der Expansion Chinas oder der islamischen Reiche. Jedoch ist die europäische Kolonisierung zu einem weltumspannenden Netz geworden, das alle Kontinente einschloss und damit auch zu einem Weltsystem wurde.
Dieses Weltsystem der Eroberung führte zu einem Weltsystem des Handels, welches freilich sehr unterschiedlich strukturiert war. Auf der einen Seite gab es jene Regionen, in welche sich die Europäer anfangs nur als Juniorpartner eingliedern durften. Dies gilt für den gesamten asiatischen Raum, wo es nicht nur sehr viel alte Handelskontakte mit Europa gab, sondern die verschiedenen asiatischen Staaten miteinander umfangreich Handel trieben und den Europäern allenfalls Nischen in dem Handelssystem einzuräumen bereit waren. Anders hingegen verhält es sich in Afrika, besonders aber in Amerika und ab dem Ende des 18. Jahrhunderts auch mit Australien. Diese Kontinente hatten kein inner- oder gar transkontinentales Handelsnetz aufgebaut und wurden mit dem Kolonialismus in ein auf Europa ausgerichteten Handelsnetz zwangsweise integriert.
Neben dem Handel sollte aber auch der Möglichkeit der Wissens- und Informationsweitergabe eine zentrale Funktion zukommen. Da den Europäern zudem keine religiöse Beschränkung bei der bildlichen Wiedergabe von Lebewesen, wie im Islam, auferlegt war, konnte man in Bild und Text zu einer wahren »Überseebegeisterung« gelangen, die bis in das 20. Jahrhundert alle europäische Staaten ergriff. Grundlage für diesen »Orientalismus« war der in der Mitte des 15. Jahrhunderts von Johannes Gutenberg erfundene Buchdruck mit beweglichen Lettern. Damit war es möglich, die in Übersee gesammelten Eindrücke medienwirksam in Europa zu verbreiten. Medienwirksamkeit bedeutete freilich in vielen Fällen alles andere als wahrhafte und allein am Angetroffenen orientierte Beschreibungen, sondern vielmehr ein wirtschaftliches Interesse und die Frage, was sich in Europa gut verkaufen ließ, wobei die europäische Öffentlichkeit auch an bestimmten Geschichten, Erdteilen und besonders Kuriositäten sehr interessiert war.
Es trafen die Handelsinteressen und die europäische medialen Sensationslust mit Heilsungewissheit und einem christlichen Missionsimpetus zusammen. Es gab in Europa kein Jahr, in dem kein Krieg tobte. Viele Regionen kamen kaum zur Ruhe. Missernten, eine steigende Bevölkerungszahl nach dem großen Bevölkerungseinbruch durch die Pestwelle von 1346-49 führten zu einer allgemeinen Unsicherheit in Bezug auf das geistliche Heil. Es war nicht nur Martin Luther, der sich in Deutschland die Frage nach dem gerechten Gott stellte, sondern überall in Europa traten Prediger auf, die vor dem Weltende mahnten. Die Menschen waren ergriffen und verbanden die Expansion immer mit einer Bekehrung zu einem nicht in Frage gestellten Christentum. Diese Sendungsidee brachte aber gleichzeitig die Legitimation für die rücksichtslose Expansion der europäischen Mächte mit sich. Erst mit dem Ende der Frühen Neuzeit und dem Beginn der Aufklärung kam es zu einem Wechsel der Vorzeichen. Ab 1750 ist nicht mehr die Bekehrung der »Heiden« offiziell einziges oder zumindest vorrangiges Ziel als Begründung, sondern nun kommen neue Faktoren ins Spiel, die freilich für die betroffenen Völker außerhalb Europas die Lage keinesfalls besser machten. Die europäischen Staaten wurden sich ihrer »Nationalität« bewusst. Sie versuchten daher, im außereuropäischen Bereich verstärkt auch der Kolonie die Identität des eigenen Landes aufzuzwingen. Zudem dienten Rassentheorien zur »wissenschaftlichen« Begründungen der Minderwertigkeit der indigenen Bevölkerung. Man verstand sich jetzt also nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, sondern durch die Zugehörigkeit zu einer Nation als etwas Besseres.
Der Kolonialismus lief aber nicht nur in eine Richtung. So nämlich, wie Europa durch seine Expansion unterschiedlichen Einfluss auf die übrigen Kontinente nahm, so wurde umgekehrt auch Europa durch das Zeitalter des Kolonialismus und die auf Europa zurückwirkenden Einflüsse umfassend geprägt. Tomaten, Kartoffeln, Zucker auf dem Speiseplan, »Kajak«, »Samba«, »Iglo« im Sprachgebrauch sind nur wenige Beispiele von prägenden Einflüssen. Aber auch die Sicht von Völkern im außereuropäischen Bereich wurde nicht nur von den Kolonialherren, sondern durchaus auch von den Betroffenen selbst mitgestaltet. Eine wichtige und sehr prägende Rolle nahm hierbei die Druckgraphik und später die Fotografie ein. Besonders seit dem Ende des 19. Jahrhundert überschwemmten Postkarten mit Motiven aus den Kolonien oder aus Übersee den europäischen Markt. Die meisten Postkarten wurden in Deutschland gedruckt, allein 1907 mehr als 300 Millionen, also fast eine Million pro Tag! Doch nicht nur die Kolonialmächte, sondern gerade auch Nationen in Asien ließen mit solchen Postkarten einen bestimmten Eindruck verbreiten, der uns bis heute prägt. So tauchen erst auf diesen Postkarten Hawaiimädchen im Bastrock auf, obwohl dieser auf Hawaii gar nicht zu finden war und erst von Fotografen eingeführt wurde.
Der Kolonialismus ist also ein sehr weites, ja die gesamte Erde umspannendes Phänomen, welches aufgrund der sehr unterschiedlichen Art nicht einfach zu erfassen ist, wie von Jürgen Osterhammel und Ania Loomba betont worden ist, zunächst allein schon aufgrund der schieren geographischen Größe und der sich damit ergebenden Uneinheitlichkeit und Unterschiedlichkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg war mehr als die Hälfte der Erde europäischer Kolonialbesitz und zwei fünftel der Weltbevölkerung unterstanden kolonialer Herrschaft.
Daher gibt es auch unterschiedliche Auffassungen über den Terminus »Postkolonialismus«. Für die einen bezeichnet er die nachkoloniale Zeit, andere lehnen den Begriff deswegen ab, weil er im Rahmen von