»Dagegen läßt sich freilich nichts einwenden.«
»Die weiteren Punkte, nämlich daß er in mittleren Jahren steht, daß er gräuliches, frisch geschnittenes Haar hat und für dieses Pomade gebraucht, ergeben sich sämtlich aus einer genauen Prüfung des unteren Teils des Futters. Unter der Lupe sieht man eine große Anzahl durch die Schere des Barbiers glatt abgeschnittener Haarspitzen, die sämtlich ankleben und deutlich nach Pomade riechen. Dieser Staub ist, wie du bemerken wirst, nicht der sandige Staub der Straße, sondern der weiche braune Hausstaub, der zeigt, daß der Hut die meiste Zeit zu Hause hing, während die Platten auf der Innenseite desselben mit Bestimmtheit beweisen, daß sein Träger gewaltig schwitzen mußte und deshalb kaum ein starkes Gehen gewöhnt sein konnte.«
»Aber seine Frau? Du sagtest ja schon, daß sie nicht mehr so gut mit ihm lebe.«
»Dieser Hut ist seit Wochen nicht mehr ausgebürstet worden. Sollte ich einmal dir, mein lieber Watson, mit dem Staube einer ganzen Woche auf deinem Hut begegnen und hätte dich deine Frau in einem solchen Zustand ausgehen lassen, so müßte ich wirklich fürchten, es habe dich gleichfalls das Unglück betroffen, die Liebe deiner Frau zu verlieren.«
»Aber er konnte doch auch Junggeselle sein.«
»Nein, er brachte die Gans als Friedensstifterin seiner Frau nach Hause. Denke nur an die Karte, die sie an dem einen Bein trug.«
»Du weißt auf alles Antwort, aber wie in aller Welt willst du aus dem Hut entnehmen, das er keine Treppenbeleuchtung habe?«
»Ein Talgfleck oder auch zwei können zufällig entstehen, aber wenn ich deren nicht weniger als fünf wahrnehme, so ist es kaum zweifelhaft, daß der Mann öfters mit brennendem Talg in Berührung gekommen sein muß – er hielt vermutlich, wenn er nachts die Treppe hinaufging, den Hut in der einen Hand und in der andern ein tropfendes Talgstümpchen. Jedenfalls bekommt er niemals Talgflecken von einer Glühbirne. Bist du nun zufrieden?«
»Nun ja, das ist ja allerdings höchst scharfsinnig«, erwiderte ich lachend, »aber da, wie du eben bemerkt hast, kein Verbrechen vorliegt und außer dem Verlust einer Gans auch kein Schaden entstanden ist, so kommt es mir vor, als sei das alles doch eine recht überflüssige Mühe.«
Holmes hatte eben die Lippen geöffnet zu einer Erwiderung, als die Tür aufgerissen wurde und Peterson, der Kommissionär, mit hoch geröteten Wangen und allen Zeichen höchster Erregung hereinstürzte. »Die Gans, Mr. Holmes! Die Gans!« stotterte er hervor.
»Nun, was ist denn damit los? Ist sie wieder lebendig geworden und zum Küchenfenster hinausgeflogen?« Holmes drehte sich auf dem Sofa herum, um dem Mann besser in sein erregtes Gesicht blicken zu können.
»Sehen Sie hier. Das hat meine Frau in ihrem Kropf gefunden.« Dabei streckte er die Hand aus, auf deren innerer Fläche ein prächtig funkelnder blauer Stein sichtbar wurde, etwas kleiner als eine Bohne, aber so klar und strahlend, daß derselbe in der dunklen Höhlung seiner Hand blitzte wie ein elektrischer Funke.
Mit einem Ruck richtete sich Holmes auf. »Hui!« rief er, »beim Himmel, Peterson, das heißt ja wahrhaftig einen Schatz finden. Ich denke, Sie wissen doch, was sie da erwischt haben?«
»Einen Diamanten. Einen kostbaren Stein. Er schneidet Glas, als ob es Kitt wäre.«
»Es ist mehr als ›ein‹ kostbarer Stein. Es ist geradezu der kostbarste Stein.«
»Doch nicht der blaue Karfunkel der Gräfin von Morcar?« rief ich dazwischen.
»Doch freilich; ich muß ja ganz genau wissen, wie er aussieht, habe ich doch in letzter Zeit Tag für Tag die ihn betreffende Anzeige in der ›Times‹ gelesen. Er ist ganz einzig, und sein Wert läßt sich nur vermuten. Aber die Belohnung von tausend Pfund, die auf seine Beibringung ausgesetzt ist, stellt sicherlich noch nicht den zwanzigsten Teil seines Verkaufswertes dar.«
»Tausend Pfund. Großer, gütiger Gott!«
Peterson starrte auf einen Stuhl und starrte uns der Reihe nach an.
»Diese Belohnung ist darauf ausgesetzt, und ich habe Grund anzunehmen, daß dabei Erwägungen zarter Natur im Hintergrunde stehen, denen zuliebe die Gräfin für die Beibringung des Steins gern ihr halbes Vermögen hingeben würde.«
»Er kam, wenn ich mich recht erinnere, im Hotel Cosmopolitan abhanden«, bemerkte ich.
»Gewiß; am 22. Dezember, genau vor fünf Tagen. Der Klempner John Horner wurde bezichtigt, ihn aus dem Schmuckkästchen der Dame entwendet zu haben. Die Anzeichen gegen ihn waren so schwere, daß der Fall vor die Geschworenen verwiesen wurde. Ich glaube, da kommt irgendwo einen Bericht darüber.« Er suchte unter seinen Zeitungen und fand auch wirklich den betreffenden Artikel.
Dieser lautete:
»Juwelendiebstahl im Hotel Cosmopolitan. – John Horner, 26 Jahre alt, Klempner, stand unter der Anklage, am 22. dieses aus dem Schmuckkästchen der Gräfin von Morcar den unter dem Namen ›der blaue Karfunkel‹ bekannten kostbaren Stein entwendet zu haben, James Ryder, erster Hausdiener im Hotel bezeugte, er habe den Horner am Tag des Diebstahls nach dem Toilettenzimmer der Gräfin gewiesen, wo derselbe eine Stange des Kaminrostes, die los war, wieder anbringen sollte. Er war kurze Zeit bei Horner geblieben, jedoch schließlich abgerufen worden. Bei seiner Rückkehr fand er Horner nicht mehr vor und entdeckte gleichzeitig, daß der Schreibtisch erbrochen worden war und das kleine Maroquinkästchen, worin, wie sich später herausstellte, die Gräfin ihre Juwelen aufzubewahren pflegte, leer auf dem Tische stand. Ryder schlug augenblicklich Lärm, und Horner wurde noch am selben Abend festgenommen, ohne daß jedoch der Stein bei ihm selbst oder in seiner Behausung gefunden worden wäre. Katharina Cusack, Kammermädchen der Gräfin, welche auf den Schrei, den Ryder bei seiner Entdeckung ausstieß, zu diesem ins Zimmer geeilt war, wußte lediglich Ryders Angaben über den dortigen Befund zu bestätigen. Polizeiinspektor Bradstreet, über die Verhaftung Horners als Zeuge vernommen, erklärte, daß dieser sich dabei wie wütend gewehrt und seine Unschuld hoch und teuer versichert habe. Da gegen denselben eine Vorbestrafung wegen Diebstahls vorlag, so lehnte der Untersuchungsbeamte eine summarische Behandlung der Anklage ab und verwies dieselbe an das Schwurgericht. Horner, der schon während des ganzen Verfahrens hochgradige Erregung gezeigt hatte, wurde bei der Schlußverhandlung ohnmächtig, so daß er aus dem Saale getragen werden mußte.«
»Hm! so viel, was die Gerichtsverhandlung betrifft«, fügte Holmes nachdrücklich bei, indem er die Zeitung wegschob. »Unsere Aufgabe ist es jetzt, den Faden aufzufinden, der uns von dem erbrochenen Schmuckkästchen, mit dem die Geschichte begann, bis zum Gänsekropf am Schlusse leitet. Du siehst, Watson, unsere kleinen Erhebungen haben mit einemmal ein weit gewichtigeres und weniger unschuldiges Gesicht bekommen. Der Stein ist hier, der Stein stammt aus der Gans, und die Gans von Mr. Henry Baker, dem Herrn mit dem schlechten Hut und all den besonderen Kennzeichen, mit denen ich dir so viel zu schaffen machte. So müssen wir denn nun allen Ernstes daran gehen, diesen Herrn und die Rolle, die er in dieser geheimnisvollen Geschichte gespielt hat, zu ermitteln. Zu dem Ende müssen wir es zunächst mit dem einfachsten Mittel versuchen, und das wäre zweifellos eine Anzeige in sämtlichen Abendzeitungen. Schlägt dieses fehl, so werde ich zu anderen Mitteln greifen.«
»Wie willst du denn die Anzeige abfassen?«
»Gib mir einen Bleistift und diesen Streifen Papier. Also:
›Gefunden an der Ecke von Goodge Street eine Gans und ein schwarzer Filzhut. Mr. Henry Baker kann die Gegenstände heute abend um 6 ½ Uhr in Nr. 221 Baker Street abholen.‹
»Das ist klar und kurz beisammen.«
»Allerdings; aber wird er es auch zu Gesicht bekommen?«
»Nun, sicherlich wird er die Zeitungen mit Aufmerksamkeit verfolgen, denn für einen armen Mann wie er, ist sein Verlust kein