Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Готфрид Келлер
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027225873
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hinweggeholfen hat, nicht mehr da, wenn das hundertste Ding ein angenehmes ist? Diese Art zu denken und zu danken ist eigentlich eher eine Blasphemie; denn indem wir für das eine glückliche Ereignis danken, schieben wir dem Schöpfer ja alle die schlimmen und schlechten Erfahrungen mit in die Schuhe. Daher sind nur die asketischen Christen im Rechte, welche dem Gotte auch für das Übel inbrünstig danken. Dieses tun unsere aufgeklärten Herren Deisten aber doch nicht, sie verdanken ihrem Gotte das Unglück nicht im mindesten, und er ist nur ihr Sonntags- und Freudengott.

      Was nun Ihren lieben Gott betrifft, lieber Heinrich, so ist es mir ganz gleichgültig, ob Sie an denselben glauben oder nicht! Denn ich halte Sie für einen so wohlbestellten Kauz, daß es nicht darauf ankommt, ob Sie das Grundvermögen Ihres Bewußtseins und Daseins außer sich oder in sich verlegen, und wenn dem nicht so wäre, wenn ich denken müßte, Sie wären ein anderer mit Gott und ein anderer ohne Gott, so würden Sie mir nicht so lieb sein, so würde ich nicht das Vertrauen zu Ihnen haben, das ich wirklich empfinde.

      Dies ist es auch, was diese Zeiten zu vollbringen und herbeizuführen haben nämlich vollkommene Sicherheit des menschlichen Rechtes und der menschlichen Ehre bei jedem Glauben und jeder Anschauung, und zwar nicht nur im Staatsgesetz, sondern auch im persönlichen vertraulichen Verhalten der Menschen zueinander. Es handelt sich heutzutage nicht mehr um Atheismus und Freigeisterei, um Frivolität, Zweifelsucht und Weltschmerz, und welche Spitznamen man alles erfunden hat für schwächliche und kränkliche Dinge! Es handelt sich um das Recht, ruhig zu bleiben im Gemüt, was auch die Ergebnisse des Nachdenkens und des Forschens sein mögen, und unangetastet und ungekränkt zu bleiben, was man auch mit wahrem und ehrlichem Sinne glauben mag. Übrigens geht der Mensch in die Schule alle Tage, und keiner vermag mit Sicherheit vorauszusagen, was er am Abend seines Lebens glauben werde! Dafür haben wir die unbedingte Freiheit des Gewissens nach allen Seiten!

      Aber dahin muß die Welt gelangen, daß sie mit eben der schuldlosen guten Ruhe, mit welcher sie ein neues Naturgesetz, einen neuen Stern am Himmel entdeckt, auch die Vorgänge und Ergebnisse in der geistigen Welt hinnimmt und betrachtet, auf alles gefaßt und stets sich gleich als eine Menschheit, die da in der Sonne steht und sagt Hier stehe ich!«

      Auf fast ganz weibliche Weise schlüpfte Heinrich in die Grundsätze derer hinein, die er liebte und die ihm wohlwollten, und dies war wohl weniger unmännliche Schwäche als der allgemeine Hergang in diesen Dingen, wo die besten Überzeugungen durch den Einfluß honetter und klarer Persönlichkeit vermittelt werden. War doch der Graf selbst, der gewiß ein Mann war, durch das Wesen eines kleinen unwissenden Mädchens zu seiner Abrechnung veranlaßt worden. Doch wollte Heinrich nicht hinter ihm zurückbleiben und studierte, wohl aufgelegt und von einer anhaltenden neigungsvollen Wärme durchdrungen, die Geschichte des theologischen und philosophischen Gedankenganges der neueren Zeit, wobei ihm jede Erscheinung, jedes Für und Wider, insofern sie nur ganzer und wesentlicher Natur waren, gleich lieb und wichtig wurden, und nur das Naseweise, Inquisitorische und Fanatische in jeder Richtung widerte ihn an.

      Die Kultur der Religionen vermag die Völker nur aus dem Gröbsten zu hobeln und zu verändern. Auf einer gewissen Stufe angekommen, hat jeder Mensch seinen bestimmten Wert, welcher nicht um ein Quentchen verliert oder gewinnt, ob er diesen Wert in oder außer sich sucht. Dies empfand Heinrich, wie der Graf ihm gesagt, mit leichtem Herzen und großem Behagen, und die sich so oft gestellte Frage, ob er an sich gut sei, glaubte er sich nun freundlich beantworten zu dürfen, da er nicht die mindeste Veränderung und Bewegung an sich empfand und sich von Grund aus weder um ein Haar besser noch schlimmer vorkam, seit er das halbe Wesen und das peinliche Polemisieren mit dem Gott in seiner Brust aufgegeben.

      So verging der Winter in mannigfacher, aber ruhiger Bewegung. Der Pfarrer, welcher mit humoristischem Zorne den grünen Fremdling seine Fahne verlassen sah, fand sich noch öfter im Herrenhause ein und suchte durch einen Sprühregen von Angriffen und Witzkompositionen den Flüchtling zu bedrängen und einzufangen. Vorzüglich ging er darauf aus, die Welt unter dem Gesichtspunkte seiner Zuhörer als heillos nüchtern, trivial und poesielos darzustellen, und um zu zeigen, wie ganz anders sie sich ausnehme im Lichte eines innigen Gottesglaubens, nahm er energische phantasievolle Mystiker zu Hilfe, in welchen er weniger als Christ denn als geistreicher Liebhaber sehr belesen war. Er brachte wiederholt dergleichen her und war sehr willkommen damit, da, wenn man sich einmal über solche Gegenstände unterhält, alles, was aus ganzem Holze geschnitten ist, gleich wichtig erscheint, belehrt und erbaut. So werden auch stets ein recht herzlicher glühender Mystiker und ein rabiater Atheist besser miteinander auskommen und größeres Interesse aneinander haben als etwa ein dürrer orthodoxer Protestant und ein flacher Rationalist, weil jene beiden gegenseitig wohl fahlen, daß ein höherer spezifischer Wert in ihnen treibt und durchscheint.

      So hatte er des Angelus Silesius Cherubinischen Wandersmann in das Haus gebracht, und die kleine Gesellschaft empfand die größte Freude über den vehementen Gottesschauer, seine lebendige Sprache und poetische Glut. Diese unbefangene Freude ärgerte aber gerade den guten Pfarrer und wollte ihm gar nicht passen, und er ergriff eines Abends das Büchlein und begann um so eindringlicher und nachdrücklicher daraus vorzulesen, als ob die Leutchen bis jetzt gar nicht gemerkt, was sie eigentlich läsen. Als er sich etwas müde geeifert, nahm Heinrich das Buch auch in die Hand, blätterte darin und sagte dann »Es ist ein recht wesentliches und maßgebendes Büchlein! Wie richtig und trefflich fängt es sogleich an mit dem Distichon: ›Was fein ist, das besteht!‹

      Rein wie das feinste Gold, steif wie ein Felsenstein,

      Ganz lauter wie Kristall soll dein Gemüte sein.

      Kann man treffender die Grundlage aller dergleichen Übungen und Denkarten, seien sie bejahend oder verneinend, und den Wert, das Muttergut bezeichnen, das man von vornherein hinzubringen muß, wenn die ganze Sache erheblich sein soll? Wenn wir uns aber weiter umsehen, so finden wir mit Vergnügen, wie die Extreme sich berühren und im Umwenden eines ins andere umschlagen kann. Da ist Ludwig Feuerbach, der bestrickende Vogel, der auf einem grünen Aste in der Wildnis sitzt und mit seinem monotonen, tiefen und klassischen Gesang den Gott aus der Menschenbrust wegsingt! Glaubt man nicht, ihn zu hören, wenn wir die Verse lesen:

      Ich bin so groß als Gott, Er ist als ich so klein:

      Er kann nicht über mich, ich unter Ihm nicht sein.

      Ferner:

      Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nun kann leben,

      Werd ich zunicht, er muß vor Not den Geist aufgeben.

      Auch dies:

      Daß Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen,

      Hat Er sowohl von mir als ich von Ihm empfangen.

      Und wie einfach wahr findet man das Wesen der Zeit besungen, wenn man das Sinngedichtchen liest:

      ›Man muß sich überschwenken‹

      Mensch! wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit,

      So kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.

      Besonders aber dies:

      ›Der Mensch ist Ewigkeit‹

      Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse

      Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.

      Alles dies macht beinahe vollständig den Eindruck, als ob der gute Angelus nur heute zu leben brauchte und er nur einiger veränderter äußerer Schicksale bedürfte, und der kräftige Gottesschauer wäre ein ebenso kräftiger und schwungvoller Nichtschauer und Feuerbachianer!«

      »Das wird mir denn doch zu bunt«, schrie der Pfarrer, »aber Sie vergessen nur, daß es zu Schefflers Zeiten denn doch auch schon Denker, Philosophen und besonders auch Reformatoren gegeben hat und daß, wenn eine kleinste Ader von Verneinung oder liberaler Humanität in ihm gewesen wäre, er schon vollkommen Gelegenheit gehabt hätte, sie auszubilden!«

      »Sie haben recht!« erwiderte Heinrich, »aber nicht ganz in Ihrem Sinne. Was ihn abgehalten hätte und wahrscheinlich noch heute abhalten würde, ist der Gran von Frivolität und Geistreichigkeit, mit welcher sein glühender Mystizismus versetzt ist;