»Sehr unangenehm«, bemerkte Parker. Stocksteif saß er vor Doktor Givons, einem straffen Endvierziger, dessen glattes Gesicht wie ein undurchdringlicher Vorhang wirkte. Die kühlen, klugen Augen verbargen sich hinter spiegelnden Brillengläsern.
»Man gewöhnt sich daran«, stellte Doktor Givons fest. »Sie kommen also wegen Harrisons Verschwinden …! Tut mir leid, da werde ich Ihnen nicht helfen können.«
»Wie Mrs. Harrison behauptet, begann ihr Mann erst nach seiner Entlassung richtig zu trinken. Mißverstehen Sie mich nicht, Sir, das kann ein durchaus subjektiver Eindruck sein.«
»Er ist es …! Als wir Mr. Harrison entließen, war er entwöhnt. Ich selbst untersuchte ihn. Die Kur war ein voller Erfolg. Garantien, daß unsere Patienten nach der Entlassung grundsätzlich nicht mehr trinken, können war natürlich nicht übernehmen.«
»Ich möchte annehmen, Sir, daß Sie Ihr Personal für vollkommen zuverlässig halten.«
»Selbstverständlich. Ich arbeite mit den Pflegern schon seit Jahren zusammen.«
»Wer beschäftigte sich mit Mr. Harrison, falls diese Frage gestattet ist.«
»Moment mal, Mr. Parker.« Doktor Givons stand auf und schüttelte den Kopf. »So geht es ja nicht. Wollen Sie meiner Klinik was anhangen? Da werde ich nicht mitspielen. Was bezwecken Sie mit Ihren Fragen?«
»Ich würde mich sehr gern mal mit dem Pfleger unterhalten, der Mr. Harrison betreute. Da Sie Ihrem Personal voll vertrauen, zu Recht, wie ich ohne weiteres unterstellen möchte, können Sie nichts dagegen haben, daß ich diesem Mann einige Fragen stelle. Ich möchte natürlich nicht aufdringlich erscheinen, Sir.«
Doktor Givons preßte die Lippen zusammen. Platte er Parker eben noch für eine Witzblatterscheinung gehalten, änderte er jetzt schnell seine Meinung.
»Gut, ich habe nichts dagegen«, sagte er grimmig.
»Sie ahnen nicht, Sir, welchen Gefallen Sie mir erweisen.«
»Ja, schon gut«, wehrte Doktor Givons nervös ab. Er drückte eine Taste der Sprechanlage. »Steffens soll zu mir kommen. Sofort.«
»Ich weiß, daß ich Ihre kostbare Zeit unnötig in Anspruch nehme«, plauderte Parker inzwischen weiter, »keiner bedauert das mehr als ich.«
»Reden wir doch offen miteinander«, meinte Doktor Givons, »Sie glauben, daß in meiner Klinik einiges nicht stimmt.«
»Aber Sir …!« protestierte Parker, »nicht im Traum würde es mir einfallen, Sie oder Ihre Leute zu verdächtigen. Wenngleich ich einige Fälle kenne, in denen ungetreue Angestellte ihren Chef hintergingen.«
Bevor Doktor Givons antworten konnte, klopfte es an der Tür. Steffens trat ein. Er war mittelgroß, hatte einen leichten Bauchansatz und besaß ein gutmütiges, offenes Gesicht ohne jeden Arg. Seine hellblauen Augen verrieten Naivität.
»Das ist Steffens, er kümmerte sich um Harrison. Steffens, das ist Mr. Parker. Er möchte Ihnen einige Fragen stellen. Antworten Sie frei und offen.«
»Aber Sie brauchen doch nicht zu gehen, Sir«, erklärte Parker, obwohl Doktor Givons weiß Gott keine Anstalten machte, sein Arbeitszimmer zu verlassen. »Nur ein Mensch, der etwas zu verbergen hat, würde diese Unterhaltung an Ort und Stelle überwachen.«
Doktor Givons bekam einen roten Kopf. Er ärgerte sich schrecklich. Um sich vor Steffens keine Blöße zu geben, verließ er wütend sein eigenes Zimmer.
Das war für Parker das Zeichen, mit seinen Fragen zu beginnen. So ganz nebenbei vergewisserte er sich, daß die Sprechanlage abgestellt war. Was er Steffens zu sagen hatte, brauchte Doktor Givons nicht unbedingt zu hören …!
*
»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, Mr. Rander«, sagte Gay Harrison burschikos, »ich habe Sie längst durchschaut. Sie glauben, daß ich Joel absichtlich an den Alkohol brachte, nicht wahr?«
»Sprach ich auch nur ein einziges Wort davon?«
»Aber Sie denken es …! Sie glauben, ich hätte mit meinem Chefbuchhalter Glidden ein Verhältnis. Lassen Sie uns die Dinge beim Namen nennen!«
»Also gut.«
»Sie sind auf dem Holzweg, Rander. Glidden ist ein guter Buchhalter. Er sieht gut aus, weiß ich alles, aber er interessiert mich nicht. Ich will Ihnen mit wenigen Worten sagen, was mit ihm los ist.«
»Vielleicht ist es gut, wenn wir uns offen aussprechen.« Mike Rander nickte und beschäftigte sich mit seinem Glas. Er saß in Gay Harrisons Büro. Irgendwo in einem anderen Büro arbeitete Glidden. Alle anderen Angestellten waren längst gegangen. Im Bürotrakt war es sehr still.
»Ich komme von ganz unten, Mr. Rander, verstehen Sie? Ich bin durch jeden Dreck gegangen, den es gibt. Ich arbeitete als Bardame, als Modell, als Kellnerin in einem Motel und als Geschäftsführerin einer Tankstelle. Ein Engel war ich bestimmt nicht. Ich wollte nach oben, jedes Mittel war mir recht.
Bis ich Joel kennenlernte.
Er war betrunken, als wir uns sahen. Er war restlos herunter, aber er hatte Geld. Glauben Sie mir, Rander, ich witterte meine ganz große Chance. Ich setzte alles auf diese Karte und schmiß mich an ihn ran, wie man so sagt.
Joel spielte überraschend schnei! mit. Wir heirateten bald. Vielleicht gefiel es ihm, daß ich sein Geld zwar schätzte, aber es nicht ausgeben wollte.
Er brauchte sich nicht besonders anzustrengen, meinen Geschäftssinn zu entwickeln. Ich scherte mich nicht darum, daß seine beiden Kinder aus erster Ehe mich ablehnten. Ich arbeitete mit ihm im Geschäft, begriff sehr schnell, um was es ging.
Machtlos nur war ich gegen seine Trinkerei. Die ließ er sich einfach nicht ausreden. Ihm war schlecht beizukommen. Während der ganzen Zeit war und blieb ich ihm eine gute Ehefrau. Ich denke nicht im Traum daran, das alles durch eine Liebelei aufs Spiel zu setzen. Da kann kommen, wer will. Ich halte die Stellung, wenn Sie so wollen, weil ich nicht zurück will in den Dreck. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Sehr deutlich«, murmelte Mike Rander.
»Mokieren Sie sich, Rander«, nahm sie ihren Faden wieder auf, »mich kann das nicht erschüttern. Mit Joels Verschwinden habe ich nichts zu tun. Im Gegenteil, er muß so schnell wie möglich wieder zurück ins Haus, sonst ruiniert er das ganze Geschäft. Das sind meine Sorgen.
Um noch mal auf Glidden zurückzukommen, Rander, er interessiert mich nur als Mitarbeiter und Chefbuchhalter. Wegen Glidden werde ich meine Ehe mit Joel niemals platzen lassen. Randy und Maud warten doch nur darauf, daß sie mir ein Bein stellen können. Ich weiß das sehr genau.«
Rander war beeindruckt Er glaubte Gay Harrison. Gerade wegen ihres ausgeprägten Geschäftssinns.
»Wie sieht es mit der Erbfolge nach Joels Tod aus?« fragte er unverblümt. Mit dieser attraktiven Frau, die kalt rechnete, konnte man Fraktur reden.
»Sagte ich Ihnen doch schon, ich würde die Alleinerbin sein, vom mütterlichen Erbteil der ersten Frau abgesehen. Rander, glauben Sie, Joel könnte etwas passieren?«
»Schwer zu sagen, wir wissen schließlich nicht, wer ihn unter Alkohol hält.«
»Sie suchen doch schon seit Tagen nach ihm. Da müssen Sie doch irgendeinen Hinweis bekommen haben.«
»Wissen Sie mit dem Namen Hostans etwas anzufangen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ihr Mann muß doch vor seinem Verschwinden einen besonders guten Freund gehabt haben, einen, mit dem er gern und oft trank.«
»Diese Freunde brachte er niemals ins Haus.«
»Sie glauben aber, daß er nach seiner Kur erst richtig trank?«
»Habe ich das gesagt?«